Herr Köchel bleibt an Mozart dran

Von Knut Benzner · 21.03.2006
Seine Wohnung? Biographien, Noten, Werke. Alles über Mozart, aus Frankreich, England, Russland, und aus Österreich und Deutschland sowieso. Jürgen Köchel, 79, ehemals Direktor eines Verlages und Gründer der Hamburger Mozart-Gesellschaft, ist Mozart-verrückt.
Geklingelt, gleich paar Mal ...

...Tür geht auf, die Treppe hoch, Altbau, Hamburg-Eimsbüttel, Eimsbüddel sagen einige, ganz oben, Mozart, geboren, gestorben, Geburtstag, Genie.

"Guten Morgen."

"Köchel."

"Knut Benzner. Schön, dass Sie Zeit haben."

Ich sag’ ja: Ganz oben. Welchem Raucher geht da nicht die Puste aus? Mozart ...

In ein Arbeitszimmer ...

So ...

"So. Is’ doch 'n bisschen unbequem hier."

Es geht. Einige Bücher zur Seite gerückt, Mozart, ein Bild ...

"Ja, das ist Bild des Musikverlages Böhme, das ist hier unser Mozartverlag in Hamburg gewesen, das Bild ist ungefähr von 1840, und hier sieht man die Böhmesche Musikalienhandlung, wo sich eben auch der Verlag befand, der hat ungefähr 240 Mozartausgaben herausgebracht, also ein echter Mozart-Verleger hier in Hamburg."

Mozart.

Mozart war, das nebenbei, nie in Hamburg. Beinahe mal, meint Köchel, und den Musikverlag Böhme, ...
"Den gibt es nicht mehr."

... den gibt es schon lange nicht mehr.

"Der ist verkauft worden 1886 an einen anderen Musikverlag, Krantz, hier in Hamburg, Reste des Musikverlages Böhme sind an den Sikorsky-Verlag hier in Hamburg gegangen, in dem ich selbst 35 Jahre Verlagsdirektor war, daher ist auch für mich eine gewisse persönliche Beziehung zu diesem Verlag gegeben, und ich hab’ mich deswegen auch für diesen Musikverlag Böhme stark interessiert, habe die Mozartausgaben gesammelt und äh, na ja, so bin ich eben auch insbesondere auf das Thema Mozart und Hamburg gekommen."

Obwohl Mozart, wie schon bemerkt, nie in Hamburg war. Aber beinah’.

Jürgen Köchel. Gerade 80 geworden, Musikwissenschaftler und Musikpädagoge, ursprünglich. Musiklehrer in und aus Berlin.

"Habe Instrumente gespielt, Klavier, Flöte, habe viel gesungen, als Oratoriensänger, als Evangelist, in Chören ..."

... verliebte sich nicht nur in eine seiner Schülerinnen, sondern heiratete sie auch – in den 50ern durchaus ein Problem -, war dann in einem pädagogischen Musikverlag in Wolfenbüttel ...

"Und diese Arbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht, weil ich aus der Praxis kam, habe dann aber nach acht Jahren hier nach Hamburg gewechselt, zum besagten Sikorsky-Verlag, der sich mit der russischen Musik beschäftigt."

Das war 1969.

Mozart.

Schon in Wolfenbüttel.

"Ja, da war schon einiges zusammen gekommen, da haben sie recht."

"Allerdings hier in Hamburg hat sich das erst richtig entfaltet, da hatte ich auch bessere finanzielle Möglichkeiten, ich habe neben meinem Beruf als Verlagsdirektor für Orchester und für Festivals Programmhefte und Programmbücher gestaltet und die Texte geschrieben und zum Mozart sammeln gehört eben auch das nötige Kleingeld."

Zum Lesen war Köchel als Kind gekommen. Oft krank, griff er zum Buch – und sammelte. Zuerst Bücher eben, und dann ...

... Mozart.
Durchs Lesen. Einer Mozartbiographie, durch die stieß er auf Constanze, Mozarts Frau – und die kam, nicht nur in dieser Mozartbiographie, recht schlecht weg. Verschwenderisch, ohne Verständnis, verbal sowieso daneben und ohne Orthographie.
Das ganze Gegenteil, sagt Köchel, war der Fall.

"Sie ist vor allen Dingen eine wunderbare Ehefrau für Mozart gewesen, die richtige Ehefrau, die er brauchte, und der Briefwechsel ist einmalig zwischen den beiden und man spürt, dass da eine ganz innige, tiefe Verbundenheit zwischen zwei Menschen war und wie gesagt, diese Kritik, die da immer wieder laut wird, das ist so 'ne Art Neid, dass man sie beneidet, dass sie an diesen wunderbaren Mann gekommen ist, nicht wahr. Aber das ist eine totaler Ungerechtigkeit."

Zumal manch einer der Meinung gewesen sein mag: Standesgemäß war diese Ehe nicht.
Wie auch immer: So kam Köchel in die Materie – über Constanze.
Zur Sache: Immer noch im Arbeitszimmer seiner Wohnung. 75 Quadratmeter, drei Zimmer, Küche, Bad. Die anderen Zimmer sehen alle so aus wie dieses.

"Ja, absolut."

Das heißt, das Arbeitszimmer ist gleichzeitig Bibliothekszimmer, aber die anderen Zimmer sind auch Bibliothekszimmer, manchmal arbeitet Köchel sogar in der Küche. Darin mitten drin im Mozartjahr: ein großes Holzregal.

Der Schreibtisch. An der einen Seite des Arbeitszimmers ein schlichtes Holzregal, dann das Fenster, auf der anderen Seite ein weißes Regal, daneben ...

"Ja, das ist schon eine Bücherwand."

Kann man so bezeichnen. Und in allem, sie ahnen es ... Mozart.
1000 Notendrucke, 5000 Schriftstücke, Biographien, Bildbände, Bilder, Erstdrucke, Frühdrucke, Textdrucke, Textbücher, Gedenkmünzen, Gedenkschriften. Aus Frankreich, England, Russland, Niederland, Österreich und Deutschland.
Ein Erstdruck aus Mozarts Lebzeiten: 10.000 Euro.

"Na ja, das ist eben dann eine Entscheidung, die man treffen muss, nicht?!"

Raritäten überall.

"Ja, hier oben stehen zum Beispiel alle Partituren der Opern, das sind diese großen Bände. Die Klavierauszüge sind in diesen Schränken, und in den Schubladen sind Kammermusik, Klavierwerke, Quartette, Lieder, Arien. Das ist alles sehr gut geordnet, so dass ich also auch im Dunkeln eine bestimmte Note sofort finde."

Auf dem Dachboden: Alle Mozartzeitschriften, die je erschienen sind. Lückenlos. Faksimiledrucke seiner Handschrift, ein Erlebnis, seine Musik zu hören und die Handschrift dazu zu lesen.
Kurzer Szenenwechsel:

Frau: "In der Staatsbibliothek in Hamburg."

In der Staatsbibliothek in Hamburg, in einem kleinen Raum.

"'n kleiner Raum, 'n niedriger Raum. Mit Holztäfelung und grauem Teppichboden. Und einigen Vitrinen, vielleicht 20 Stück, mit Noten, Dirigierstöcken und verschiedenen Stichen."

Mozart.

"Mozart."

Eine Ausstellung. Konzeption, Leihgaben und so weiter: Jürgen Köchel.

"Überall Mozart?"

Eine Besucherin.
Besetzungslisten seiner Opern.

"Das fängt an mit der Entführung, die Entführung aus dem Serail, Don Juan, und was ist das?, Figaros Hochzeit natürlich, die Zauberflöte, ... kleinere Sachen, die kenne ich nich’, und dann gibt es noch huahahä ..."

Das Baby der Besucherin ...

"... die Wette, das kenn’ ich nich’. Heute wohl vergessen. Und hier, musikalische Akademie, Titus, das ist auch noch 'ne Oper, die man kennt. Und in den Vitrinen vergilbte Schriften."

Fast alles von Köchel.

"Das sieht ja schön aus. Das ist hier aus der Entführung, die ganzen östlichen Motive und so schöne Farben, blau und türkis und rosa, ... Mozart selber, im Goldrahmen, das sieht 'n bisschen verhungert aus, untypisch eher, ganz schmal der Kopf und so 'ne lange Nase. Ist das von Horst Jansen?"

Es ist von Horst Jansen.

"Hier hat man wohl noch versucht, 'n Bezug zwischen Hamburg und Mozart herzustellen, aber wie der konstruiert ist, da muss man vorher noch viel lesen."

Mozart wäre beinahe in Hamburg gewesen.

"Wann?"

In seiner Kindheit, er war neun, aus England und Holland zurückkehrend, verabredet höchstwahrscheinlich mit Carl Phillip Emanuel Bach.

"Aber er hat die Biege nich’ bekommen."

Mozart war krank geworden ...

"Ach so, na ja, er war ja viel krank."

... und seine Schwester auch und dann mussten sie zurück nach Salzburg.

"Da sind wir schlecht bedient worden, aber das ist das Schicksal."

Jürgen Köchel. Der Sammler Mozarts.

"Die erste Biographie ist eigentlich nach dem Tode erschienen, ein Jahr nach dem Tode, und zwar ist das der so genannte Nekrolog von Schlichtegroll. Der liegt hier auf’m Tisch zufälliger weise. Das isser hier, das sind die Nekrologe von Schlichtegroll, und da haben wir also hier, ich brauch' die Brille, da haben wir also hier unter dem Todesdatum von Mozart, er ist am 5.Dezember gestorben, ..."

... 1791, knapp 35 Jahre alt ...

"... und da sehen Sie den 5.Dezember Johannes Cresostomus Wolfgang Gottlieb Mozart, das sind seine Geburtsnamen, später hat er die ja selber geändert, und hier findet sich nun auf ungefähr 40 Seiten eigentlich die erste sehr ordentliche und sehr sorgfältig zusammen getragene Biographie, die von Mozart erschienen ist."

Das ist ein Original.

"Das issn Original. Also ich habe nur Originale."

"Ja, dann, ein interessantes Stück darf ich Ihnen zeigen, das besonders kostbar und wertvoll ist, das ist das erste thematische Werkverzeichnis von Mozart. ... Es ist der erste lithographische Druck in Deutschland, ... ich habe das durch einen unglaublichen Zufall erworben. Bei einem holländischen Antiquar stand ein Werk im Katalog, da war aber nur der Betrag zu lesen, 600 Mark, und gut erhalten und wie viel Seiten. Aber der Titel fehlte, der war beim Umbruch irgendwie weg gefallen ... ich rief ihn also sofort an und sagte: Was ist denn das, was Sie da haben für 600 Mark? Und da sagte er, ja, das ist das Werkverzeichnis von Mozart, ich sage, aus welchem Jahr, ... da sagt er mir, das ist ein Druck von 1889. Ich sage, total uninteressant, können Sie behalten, bin nich’ interessiert. Jetzt lese ich och einmal nach über das thematische Werkverzeichnis, und da stellt sich heraus, 1889 ist keine Jahreszahl, die er mir genannt hat, sondern das ist eine Verlagsnummer, und hier steht die Jahreszahl, vier Zeilen drüber, 1805. Es war also genau das, was ich suchte. Ich hab’ ihn also am nächsten Tag sofort wieder angerufen und hab’ gesagt, ach, ich nehm’ das doch, auch wenn’s so spät ist, sag’ ich zu ihm, und dann wie gesagt, ne Woche später hatt’ ich’s auf’m Tisch."

Der Wert?

"Also, ich würde mal sagen, das liegt schon bei 20.000 Euro."

Und der holländische Antiquar ...

... hat natürlich nie von seinem ...

"Wissen Sie, das ist das Glück des Sammlers: Die Unwissenheit eines Buchhändlers, nicht wahr?! Ich hab’ hier in Hamburg eine Note erworben, die also bestimmt auch bei 6, 8.000 Euro liegt für 25 Mark."

Die Erstausgabe der Auernhammer-Sonaten, sollten erst 30 Mark kosten. Unten war ein wenig Schmutz dran.

Eine Mozart-Medaille.

"Dann habe ich hier noch etwas besonderes, davon gibt es nämlich nur noch drei Exemplare, das ist eine Eintrittskarte zu einem Klavierkonzert von Mozart, wo er selber spielt, ungefähr aus dem Jahr 1785, wo er also in der Mehlgrube konzertierte, alle 14 Tage ..."

Ein Saal, die Mehlgrube, im Zentrum von Wien.

"... und das schöne an dieser Karte, und deswegen ist sie einmalig, dieser Stempel, mit dem die Karte entwertet wurde, ist nur bei meiner Karte zu lesen, und sie zeigt, dass es die Anfangsbuchstaben W.A.M., Wolfgang Amadeus Mozart darstellen. ... Is’ ein wertvolles Stück."

Köchel hat die Karte im vergangenen Jahr geschenkt bekommen.
Wir machen einen Rundgang durch seine Wohnung ...

"Sehr ungerne, sehr ungerne. Also nur bitte aus der Ferne 'n Blick. Also es ist jetzt wirklich ziemlich unaufgeräumt, also hier stehen vor allen Dingen überall CDs herum und hier hab’ ich so einen Sammlungsschrank, wo ich also besonders große Drucke oder auch Abschriften, Handschriften und solche Dinge habe, das andere ist Lyriksammlung, das hat also mit Mozart nichts zu tun, dagegen, hinter Ihnen, diese Schränke sind wieder alle Mozart."

Lyriksammlung?
Da hinten, sagt Köchel, steht französische, da und russische Literatur, ...

"Man muss die Lebenszeit nutzen, und Mozart ist nicht mein einziges Sammelgebiet. Ich habe ungefähr 30 andere Sammelgebiete."

Benn, Trakel, Swetajewa, Klabund, ...

"Ich bin ja Textdichter, und habe sehr viele Übersetzungen gemacht, ich hab’ ja 18 Opern in’s Deutsche übertragen, aus allen Sprachen. Aus dem russischen, aus’m englischen, aus’m französischen, und selbst aus dem georgischen habe ich drei Opern übersetzt."

Dann das eingangs erwähnte Regal mitten in der Küche, ein Zimmer, das man als Wohnzimmer bezeichnen könnte, läge und stände nicht alles voll, ...

"Und hier sind so die Handbücher, die ich täglich in die Hand nehme, nicht?, also, das gehört einfach dazu, das ist hier der Alfred Einstein, da guckt man jeden Tag rein."
Alfred Einstein – Münchner, Musikwissenschaftler, Herausgeber des "Riemann Musiklexikons", Verfasser diverser Bücher, unter anderem von "Mozart, sein Charakter, sein Werk". Einstein emigrierte 1933 aus Deutschland und lebte ab 1939 in den USA.
Sammeln hält jung.

"Natürlich, natürlich."

Und sonst ist der Berliner Köchel Hamburger.

"Ja, Hamburg ist mir an’s Herz gewachsen, nich’, das ist eine aufgeschlossene, lebendige Stadt, und ich wohne ja hier nun in einem Studentenbezirk, hier kommt man mit vielen jungen Menschen zusammen, ... und der Kultur sehr aufgeschlossenes Terrain, und, wie gesagt, ich hab’ hier in Hamburg viele Freunde gefunden, und wie gesagt, ich hab’ ja nun diese Mozartgesellschaft gegründet und das ist schon jetzt für mich ein Lebensthema."

2003, die Gründung der Mozartgesellschaft, an Mozarts Geburtstag. Somit am 27.1.
Köchels Cembalo steht hochkant.
Jürgen Köchel.
Köchel? Köchel?
Da war doch was?

Das Köchelverzeichnis. 1862 von dem Österreicher Ludwig Ritter von Köchel heraus gegeben – ein chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amadeus Mozarts.
Jürgen Köchel.

"Ja, das issn schöner Zufall, nich’? Mich haben also 1000 Leute gefragt in meiner Berufspraxis, ob ich mit Köchel verwandt bin, ... ich bin nicht mit ihm verwandt, er war Junggeselle, hat keine Kinder gehabt, und aber ich hab’ mich mit ihm auch stark beschäftigt, ... und so bin ich eigentlich immer wieder auf das Thema Mozart gestoßen."