Herlinde Koelbls "Refugees"-Ausstellung in München

Zwischen Hoffnung, Stagnation und Langeweile

Die Fotografin Herlinde Koelbl
Die Fotografin Herlinde Koelbl © dpa / picture-alliance / Bernd von Jutrczenka
Herlinde Koelbl im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 15.03.2017
Dem großen Thema "Flucht" widmet sich Herlinde Koelbls neue Ausstellung "Refugees" im Münchner Literaturhaus. Sie habe damit einen Blick hinter die Kulissen der Flucht werfen wollen, sagt die Fotografin. Von Griechenland bis ins deutsche Flüchtlingsheim.
Eckhard Roelcke: Das Thema Flüchtlinge beschäftigt die Menschen, die Politiker, die Journalisten, die Künstler. Das Thema ist wichtig bei den Wahlen, heute in den Niederlanden, bald dann in Frankreich, dann auch bei der Bundestagswahl im Herbst. Keine Frage, das Thema ist eine Herausforderung für Europa, und genauso heißt eine Ausstellung, die jetzt im Literaturhaus in München eröffnet wird: "Refugees. Eine Herausforderung für Europa". Zu sehen sind dort Arbeiten der Fotografin Herlinde Koelbl, die ich jetzt am Telefon in München begrüße. Einen schönen guten Abend!
Herlinde Koelbl: Einen schönen guten Abend, Herr Roelcke!
Roelcke: Ein Thema, das sich aus unendlich vielen Schicksalen zusammensetzt. Es geht um Menschen, Frauen, Männer, Kinder. Wie nähern Sie sich denn einem so umfassenden Thema?
Koelbl: Das ist natürlich eine gute Frage, aber ich wollte wirklich einen Blick hinter die Kulissen werfen. Also immer, wenn die Schlaglichter erloschen sind und wenn die Flüchtlinge angekommen sind. Und wenn deren sogenanntes normales Leben hier beginnt, also in den Flüchtlingsunterkünften, in den Camps. Wie leben sie dort, wie geht es ihnen, wie sind sie untergebracht? Und vor allem, ich wollte einen Überblick geben über die ganze jetzige Situation. Deshalb war ich in Griechenland und habe dort in ganz vielen Camps fotografiert, auch auf der Insel Lesbos oder an der Grenze zu Mazedonien, eben die Grenzzäune. Ich war in Sizilien, wenn die Schiffe ankommen fast täglich. Ich war in Deutschland auch in sehr vielen Flüchtlingsunterkünften, sodass wirklich ein Blick entsteht: Wie sieht es aus, wie sind sie untergebracht, wie wohnen die Menschen, wie leben die Menschen, wenn sie also dann hier entweder gestrandet oder angekommen sind?

Den normalen Alltag bewältigen

Roelcke: Jetzt haben Sie eine sehr schöne Formulierung verwendet, Frau Koelbl. Ein Blick hinter die Kulissen, das heißt, die Kulisse ist der erste Blick, das ist die Oberfläche, aber entscheidend ist, was dahinter stattfindet?
Koelbl: Ja, genau so ist es. Wenn sie dann angekommen sind, und, wie gesagt, wenn der große Rummel vorbei ist, dann geht es ja eigentlich erst richtig los. Und dann heißt es warten, warten, warten. Und natürlich, wenn sie in Griechenland sind, ist es so, dass sie mit einer ganz großen Hoffnung natürlich dort angekommen sind, dass sie es schon bis nach Griechenland geschafft haben. Aber dann geht es erst mal nicht mehr weiter jetzt, weil die Grenzen sind ja alle zu. Das heißt, sie sitzen dort in den Lagern, die sind ja ganz unterschiedlich ausgestattet.
In Athen am Hafen zum Beispiel oder in Idomeni, das sind Camps, wo die Flüchtenden also wirklich auf dem Asphalt oder auf dem blanken Boden hausen, in kleinen Zeltchen untergebracht oder nur mit Ästen und Wolldecken zusammengebaut, also so ganz einfache Campingzelte, leben sie für Monate so auf der Erde. Manche Camps waren besser ausgestattet, und sie hatten schon jeder ein größeres Zelt für sich. Aber das ist dann das alltägliche Leben. Sie sitzen da drin und müssen sozusagen ihren normalen Alltag in irgendeiner Weise bewältigen und vor allem auch die Langeweile auch bewältigen und ihr Leben in irgendeiner Weise gestalten.
Roelcke: Also nach dem Stress, den die Geflüchteten auf der Flucht erlebt haben, nun ja auch eine Unsicherheit und Ungewissheit. Wie spiegelt sich das denn wider in den Gesichtern, gibt es da so etwas wie ein Leitmotiv?
Koelbl: Es ist unterschiedlich. Manche haben wirklich, das ist so eine große Hoffnungslosigkeit und eine Traurigkeit in den Gesichtern. Manche haben, gerade Jüngere haben sozusagen die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, dass es doch noch vorwärts geht. Und ich habe ja auch gefilmt und Videos dazu gemacht, also mich mit den Menschen unterhalten. Und sie erzählen natürlich, dass sie ihren Kindern ein besseres Leben geben wollen, dass sie studieren wollen, arbeiten wollen. Aber das ist natürlich zurzeit überhaupt – was heißt, keine Möglichkeit, keine Aussicht, dass das passieren wird, weil ja, wie gesagt, die Grenzen dicht sind.

Eine Mischung aus Dokumentation und Kommentar

Roelcke: Eine ganz grundsätzliche Frage: Sind diese Arbeiten, sind das Dokumente oder sind das Kommentare? Das ist ja eine Frage, die man eigentlich immer stellen kann.
Koelbl: Natürlich. Ich würde sagen, es ist eine Mischung. Es ist wirklich einerseits natürlich mein Blick auf das Geschehen, das heißt also, mit großem Respekt für die Menschen und auch mit Empathie. Aber andererseits doch so objektiv, dass es ein Zeitdokument ist.
Roelcke: Sie sind also als Fotografin teilnehmende Beobachterin? Ist das vielleicht richtig beschrieben?
Koelbl: Ja, das ist sicherlich richtig beschrieben. Aber es sollte eben auch immer noch etwas mehr sein als nur Betrachterin. Deshalb habe ich eben auch den Film dazu gemacht. Das ist ein kurzer Film, ein kurzes Video. Aber auch Texte werden in der Ausstellung sein, eben auch ein Zitat von Einstein, ich sage es jetzt nur ganz kurz: Wenn man das Geld und die Energie nehmen würde, die für Kriege verwendet werden, könnte man den Menschen, allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen, zum Beispiel.
Es gibt aber auch den Asylparagrafen, damit man weiß, wie wirklich das Gesetz ist. Es gibt ein Zitat dazu von Herta Müller über die Einsamkeit. Es gibt ein Zitat dazu von einem Historiker über die Völkerwanderung, und es gibt noch jetzt im Fall von München zwei Screenplays, wo man sieht, wie die Flüchtlingsströme einerseits von Europa nach Amerika gingen, aber jetzt auch, wie die Flüchtlingsströme von welchen Ländern wohin gegangen sind. Also ein aktives Screenplay gibt es, wo man dann auch sich selbst informieren kann, wie die Ströme sind, das war mir auch wichtig, sodass das also noch mehrere Ebenen hat neben den Bildern eben auch.

"Es ist so eine Stagnation"

Roelcke: Nun entwickelt sich dieses Thema ja weiter, Frau Koelbl, das Thema Flucht, auch visuell-bildnerisch entwickelt es sich weiter. Zäune werden gebaut, in Ungarn entstehen Lager. Ist es für Sie schwierig, so ein Projekt ab einem bestimmten Punkt dann für abgeschlossen zu erklären?
Koelbl: Ich habe es jetzt abgeschlossen, weil im Moment bewegt sich nicht viel. Es ist so eine Stagnation. Es geht nicht weiter. Es geht nicht rückwärts, und es geht nicht vorwärts sozusagen. Gerade in Griechenland sitzen die Menschen einfach fest. Und auch in Deutschland habe ich mit Menschen gesprochen, man hört es, dass sie schon acht Monate zum Beispiel in Hamburg in einer Tennishalle sind, wo es keine Privatheit gibt. Wo die Menschen dort untergebracht sind, unter dieser Situation acht Monate schon, und sie warten und warten und warten und hoffen und hoffen. Das heißt also, im Moment ist so eine Stagnation. Deshalb ist das für mich auch abgeschlossen, und erst, wenn vielleicht wieder eine größere Bewegung eintritt, würde ich weitermachen.
Roelcke: "Refugees. Eine Herausforderung für Europa" – morgen wird diese Ausstellung mit Arbeiten von Herline Koelbl im Literaturhaus in München eröffnet. Frau Koelbl, danke schön!
Koelbl: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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