Heribert Prantl: Hätte bei TV-Interview mehr Reue von Wulff erwartet

Heribert Prantl im Gespräch mit Ute Welty · 05.01.2012
"Das reicht nicht für einen Präsidenten zu sagen, ich bin ein Mensch wie andere auch, hier bin ich Mensch, hier darf ich sein. Er ist nicht beim Osterspaziergang. Er ist im Schloss Bellevue", sagt der Journalist Heribert Prantl über den TV-Auftritt von Christian Wulff.
Ute Welty: Zwei Frager, ein Befragter, oder ein Gejagter. Christian Wulff hat sich den Journalisten gestellt, genauer den Hauptstadtstudioleitern von ARD und ZDF. Ein Fernsehinterview von rund 20 Minuten, natürlich scharf beobachtet von den Journalisten dieser Republik. Auch von Chefredaktionsmitglied Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. Guten Morgen!

Heribert Prantl: Guten Morgen, Frau Welty.

Welty: Die erste Frage an Christian Wulff lautete: Haben Sie in den letzten Tagen an Rücktritt gedacht. Hätten Sie die auch gestellt?

Prantl: Ja.

Welty: Warum?

Prantl: Das ist die Frage, über die diskutiert worden ist. Man versucht ja, in einer solchen Situation sich in den Mann hineinzudenken, und natürlich fragt man sich angesichts der Vorwürfe, angesichts der Reaktionen, angesichts der Gesamtgeschichte Kreditaffäre, kann ich denn, ich sage es jetzt mal ein bisschen pathetisch, meinem Amtseid noch genügen, bin ich noch damit beschäftigt, Schaden vom Volk abzuwenden, oder bin ich damit beschäftigt, Schaden von mir selbst abzuwenden. Und der Präsident hat in den vergangenen Wochen seine ganze Kraft damit verbraucht, sich selber zu erklären, sich selber zu entschuldigen, sich und sein Fehlverhalten zu erklären, und das ist nicht das, was ich mir von einem Bundespräsidenten erwarte. Er hat sich selber in die Situation manövriert, in der er sich gestern Abend befunden hat, öffentlich beichten zu müssen und dann doch weitgehend sich ohne Einsicht zu zeigen.

Welty: Haben Sie ihm die Antwort geglaubt, dass er nicht an Rücktritt gedacht hat?

Prantl: Ich habe sie ihm nicht geglaubt, weil die Frage ist ihm natürlich gestellt worden, er musste sich damit beschäftigen. Er ist gestern zu meiner Überraschung doch sehr selbstbewusst aufgetreten, jedenfalls in weiten Teilen des Interviews, was dafür spricht, dass er nicht oder wenig an Rücktritt gedacht hat, dass er doch eigentlich sich sehr wenig einsichtig gezeigt hat. Er hat sich zwar entschuldigt für dieses Telefonat, bei dem er auf die Mailbox rabaukt hat, aber letztendlich, sagt er doch, war alles, was ich gemacht habe, richtig, und ich möchte doch nicht Präsident in einem Land sein, in dem ich keinen Privatkredit von Freunden nehmen darf, und das ist doch ein Ausmaß an Uneinsichtigkeit, das fast schon ein bisschen an Chuzpe grenzt.

Welty: Sie selbst kommen in Ihrem Kommentar zu dem Schluss, der Bundespräsident begnadigt sich selbst. Haben Sie wirklich damit gerechnet, dass er sich selbst anklagt?

Prantl: Ich habe damit gerechnet, dass er ein bisschen einsichtiger ist und dass er - ja es klingt jetzt eigenartig - mehr Reue zeigt über das, was er gemacht hat. Er muss ja sagen, ich bin jetzt hier, um einen Schnitt zu ziehen, ich bin in einer Lage, die desolat ist für einen Präsidenten, und wenn ich hier rausgehe, muss die Öffentlichkeit oder soll die Öffentlichkeit den Eindruck haben, die Sache, die Präsidentschaft beginnt sozusagen neu. Den Eindruck konnte niemand haben. So wie ein Kollege heute schreibt: Er fängt nicht bei Null an, sondern er fängt unter Null an. Und dass er unter Null anfängt, liegt an der Art und Weise auch, wie er sich gestern doch letztendlich ausweichend erklärt hat. Das reicht nicht für einen Präsidenten zu sagen, ich bin ein Mensch wie andere auch, hier bin ich Mensch, hier darf ich sein. Er ist nicht beim Osterspaziergang. Er ist im Schloss Bellevue, und als Staatsoberhaupt ist man zwar ein Mensch, aber man ist nicht unbedingt ein Mensch wie jeder andere, der sich alles mögliche leisten soll und leisten darf. Eine gewisse Vorbildlichkeit muss schon sein. Der Präsident muss nicht die Mutter Teresa und muss kein Heiliger sein, aber wenn er Fehler macht, dann soll er sich ordentlich dazu erklären und nicht ausweichend und nicht Verständnis heischend.

Welty: Ihre Zeitung, die Süddeutsche, hat an diesem ganzen Geschehen einen nicht unerheblichen Anteil. Sie und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung waren die ersten, die über diese unheilvolle Mailbox-Nachricht berichtet haben. Inwieweit sind Sie auch Nutznießer des präsidialen Ausrutschers?

Prantl: Ich glaube nicht, dass man von Nutznießerei reden kann.

Welty: Na ja, Sie werden viel in anderen Medien zitiert und das treibt die Anzeigenpreise in die Höhe. Das hat schon direkte Auswirkungen auch auf Verdienste des Verlages.

Prantl: Nein. Die Anzeigenpreise treibt so was sicherlich nicht in die Höhe. Die Süddeutsche Zeitung ist auch dann bekannt, wenn wir solche Ausfälle des Bundespräsidenten nicht melden müssen. Es gehört zu den Pflichten des Journalismus, wenn man von solchen Dingen erfährt, das zu recherchieren. Wir haben es am Sonntag erfahren, wir haben am Sonntag die Geschichte recherchiert, wir haben das Telefonat oder Inhalte des Telefonats recherchieren können und haben es mitgeteilt. Ich denke, das gehört zu den Aufgaben, und nicht derjenige ist ein "Schuldiger", der eine Botschaft vermeldet, sondern der, der sie geschaffen hat. Der Bundespräsident ist eine Figur von ganz besonderem öffentlichen Interesse, und wenn er sich in der Weise äußert, wie er es gemacht hat - dieses Telefonat war ja schon schandvoll und das gehörte zu dem wenigen, das er gestanden hat im gestrigen Fernsehinterview -, dann ist das öffentlichkeitsrelevant und das muss in der Zeitung geschildert werden.

Welty: Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Ich danke für dieses Mediengespräch.

Prantl: Ich danke auch.

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