Herbert Blomstedt und Martha Argerich in Luzern

Große Aussage mit kleinem Ensemble

Der Dirigent Herbert Blomstedt im Wiener Musikverein im Januar 2020
Der Dirigent Herbert Blomstedt im Wiener Musikverein im Januar 2020 © imago images/SKATA
Moderation: Volker Michael · 16.09.2020
Er ist der älteste praktizierende Dirigent weltweit - Herbert Blomstedt hat beim Lucerne Festival eindrückliche Konzerte mit dem Lucerne Festival Orchestra geleitetet - mit dabei in den reinen Beethoven-Programmen die Pianistin Martha Argerich.
Irgendwie hat es dann doch stattgefunden – das Lucerne Festival im 82. Jahr seiner Existenz. Und am Ende war der Saal des KKL, des Kultur-und Kongresszentrums Luzern, am Vierwaldstätter See fast komplett gefüllt mit Musikfreundinnen und –freunden.

Dirigent mit langer Erfahrung

Der Dirigent des Konzerts am 14. August 2020 hatte keinen langen Anfahrtsweg – Herbert Blomstedt wohnt in Luzern – und er ist inzwischen der älteste aktive Dirigent auf den internationalen Konzertpodien mit seinen 93 Jahren.
Herbert Blomstedt leitete das Lucerne Festival Orchestra. Die Solistin war Martha Argerich. Das Musikprogramm bestand nur aus zwei Werken, und beide stammen vom Jubilar des Jahres 2020, von Ludwig van Beethoven.

Jubilar im Programm

Es ist nicht der ganz bekannte Beethoven – denn es gibt sein erstes Klavierkonzert und seine zweite Sinfonie. Herbert Blomstedt leitete im August das allererste Mal das Lucerne Festival Orchestra.
Das hatte Claudio Abbado vor siebzehn Jahren ins Leben gerufen. Und Martha Argerich stand auch in einer gewaltigen Tradition in Luzern, was das erste Klavierkonzert von Beethoven angeht: Denn 1939 hat ein gewisser Sergej Rachmaninow das Werk erstmals beim Festival als Solist aufgeführt. Auch er, der russische Exilkomponist, lebte ja in dieser Zeit am Vierwaldstätter See.
Die Pianistin Martha Argerich
Die Pianistin Martha Argerich© Adriano Heitmann/Wasmuth-Gesellschaft
Das Klavierkonzert C-Dur op. 15 schrieb Beethoven am Beginn seiner Wiener Jahre. Da hatte er gewaltigen Erfolg, bei adligen Gönnerinnen und Gönnern wie bei bürgerlichen Zuhörerinnen und Zuhörern. Obwohl er ganz in der Tradition der Wiener Schule stand, hat der Bonner Meister doch einiges anders gemacht.
Interessant ist bei den Klavierkonzerten, die er natürlich für sich selbst geschrieben hat, die große Rolle der Improvisation. Das meiste, was das Soloklavier ausführt, ist letztlich frei erfunden – Beethoven hat es wohl erst später aufgeschrieben, als er die Noten seiner Klavierkonzerte auch verkaufen wollte.

Geist der Freiheit und der Revolution

Insofern atmet seine Musik schon hier den Geist der Freiheit. Frei agiert das Klavier auch in Hinsicht auf die Haupthemen, des ersten Satzes zum Beispiel – sie originalgetreu vorzutragen, das ist die Aufgabe des Orchesters. Die Solistin muss eher beweisen, dass sie mit diesen Themen fantasievoll umzugehen weiß.
Außerdem verwendet der Komponist natürlich die Melodien und Rhythmen, die damals auf den Straßen Europas gesungen und gepfiffen wurden. Und die trugen selbstverständlich den revolutionären Geist in sich, den wir so sehr mit Beethovens Musik verbinden. Und dass der Meister vom quasi orientalischen Timbre der Habsburger Metropole Wien affektiert war, merkt man im dritten Satz dieses Klavierkonzerts. Da geht es rhythmisch und melodisch schon sehr balkanmäßig zu.

Debüt mit 93 Jahren

Herbert Blomstedt gastierte erstmals beim Lucerne Festival mit der Staatskapelle Dresden 1979, dann war er noch einmal mit einem anderen sächsischen Orchester dort. Und zwar mit dem Gewandhausorchester Leipzig, vor vier Jahren erst. Nun also das Debüt beim Lucerne Festival Orchestra mit einer Sinfonie Ludwig van Beethovens, die nicht so häufig zu hören ist, nämlich der zweiten in D-Dur.

Schroffheit abgemildert

Aufrührerischen Geist, zumindest eine deutlich spürbare Unruhe strahlt schon diese zweite Sinfonie aus. Während bei Joseph Haydn viele reißende Kontraste und Überraschungen hörbar sind, weil er sein Publikum interessieren wollte, scheint es bei Beethoven noch mehr innerer Drang zu sein, diese schroffe und verstörende Musik zu schreiben. Man kann die zweite Sinfonie auch wilder, härter und pointierter spielen, als es Herbert Blomstedt und das Lucerne Festival Orchestra getan haben.
Aber zu viel Aufruhr und Ruhelosigkeit sollte man Beethoven nun auch nicht zuschreiben. Sicher verstärkt wird das fahl-milde Licht, das auf diese Sinfonie fällt, durch die pandemie-bedingte Distanz zwischen den Musikerinnen und Musikern auf der Bühne des KKL.
Lucerne Festival
Konzertsaal des Kultur- und Kongresszentrum Luzern
Aufzeichnung vom 14. August 2020
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36
Mehr zum Thema