Heitere Männerphantasien

Ein Hörbuch-Tipp von Adelheid Wedel · 29.04.2005
Péter Esterházy gilt als einer der wichtigsten Gegenwartsautoren Ungarns. Nun liegt sein Bändchen "Eine Frau" bei uns als Hörbuch vor. 97 Frauen in der Phantasie eines Mannes werden vorgestellt, höchst abwechslungsreiche, meist heitere und phantasievolle Episoden, vorgelesen von Ulrich Pleitgen.
"Es gibt eine Frau, sie liebt mich. Es gibt eine Frau, sie hasst mich, sie will mich. Es gibt eine Frau, sie hasst mich. Unentwegt schmeißt sie mich hinaus. Es gibt eine Frau, sie liebt mich, fortwährend heiratet sie einen anderen. Es gibt eine Frau, in den Wochen mit geraden Zahlen liebt sie mich, in denen mit ungeraden Zahlen hasst sie mich."

In 97 Episoden erfährt man von Péter Esterházy: es gibt mehr Beziehungsvarianten zwischen Mann und Frau, mehr Dinge zwischen Liebe und Hass, als man gemeinhin annimmt. Esterházy schildert Nuancen, in denen Männerphanatsie eine Frau umkreist. Es werden freche, nachdenkliche, bewundernde, verachtende Töne angeschlagen. Als Zuhörer gerät man in einen Strudel von Frauenbildern bis auf eine Episode, die von einem Mann erzählt.

"Es gibt einen Mann, der liebt mich mit der Liebe einer Frau. Das habe ich schon früher geahnt, aber ich dachte nicht daran. Ich habe weniger daran gedacht als zu erwarten wäre. Einen Grund dafür zu nennen, wäre schwierig. Gestern habe ich folgenden Brief von ihm erhalten."

Den dann folgenden berührenden Liebesbrief kann man weder typisch weiblich noch typisch männlich nennen, ein Liebesbrief eben. Und deswegen hat er trotz eines männlichen Absenders seinen Platz in der Sammlung "Eine Frau2.

Mit seinem Hauptwerk "Harmonia Caelestis" hat Esterházys "Eine Frau" neben der Entstehungszeit eine weitere Gemeinsamkeit: "Nummerierte Sätze aus dem Leben der Familie Esterházy" heißt die Überschrift über dem 1. Teil des Buches; auch "Eine Frau" hat nummerierte Kapitel. Mathematisch genau wird durchgezählt, und die streng sich wiederholenden Anfänge der Episoden geben der überbordende Phantasie des Schriftstellers einen gewissen Halt. Diese Methode gibt gleichzeitig den Grundton vor: Hier ist nicht mit Herz-Schmerz-Ergüssen zu rechnen, sondern eher mit genau beobachteten, ja sezierten Gefühlen von Gemeinschaften unterschiedlichster Art.

Wer den Autor bei einer seiner zahlreichen Lesungen in Deutschland erlebt hat, kennt sein spitzbübisches Lachen. Dieser Gesichtsausdruck ist bei den Frauenepisoden gegenwärtig. Was immer an Absurdem, Alltäglichem, an Verwunderlichem ausgemalt wird – immer scheinen die lachenden Augen Esterházys die Erkenntnis befördern zu wollen: Auch das gibt es. Und im Spiegel der Frauenbilder erkennt man auch Züge des Schriftstellers:

"Es gibt eine Frau, sie liebt mich. Liebend gerne hätte sie, dass ich schlank wäre, spindeldürr. / Es gib eine Frau, sie hasst mich. Meine ich damit vielleicht, dass ich es bin, der sie hasst."

In den Feuilletons wird Esterházy als ernsthafter Spaßmacher bezeichnet. Diesen Ruf bestätigt er mit "Eine Frau" bestens. Er amüsiert und irritiert. Selten hat man über die Mann-Frau-Beziehung so Zwiespältiges gelesen. Wie einzelne sehr verschiedenfarbige Steine einer bunten Kette reihen sich die Geschichten aneinander; es ist, als erzählte ein Bruder der Scheherezade, allerdings nicht um sein Leben, sondern scherzhaft, leicht, genüsslich, voller Ironie. Es sind kurze und längere Geschichten, pointiert, sinnenfroh, mitunter derb formuliert:

"Es gibt eine Frau, sie liebt mich. Sie liebt gut. Auf gut Deutsch gesagt, sie fickt göttlich. Schwer zu sagen warum. (oder ist es sehr einfach: warum, darum. Auch andere können ihre Muskeln so beherrschen). Auch andere haben diese unbeschwerte Schamlosigkeit, die nicht erschreckend ist, aber ansteckend. Und auch was die Heiterkeit betrifft, die aus ihrem Körper nur so trieft. Sie ist nicht allein. (Auch andere besitzen die Fähigkeit zu Veränderung, die diese Heiterkeit unerwartet ins Dramatische wendet.)"

Als Zuhörer fragt man sich, ob bei all dem Erzählten Erlebtes Pate stand. "Der Text spielt damit, dass er so tut, als kriege man die Wahrheit – und man kriegt Literatur", behauptet Péter Esterházy. Also: erfundene Frauen? Oder kommt man der Wahrheit näher, wenn man die Episoden als erlebt u n d erfunden gelten lässt?

Realität schwingt in den Texten immer dann mit, wenn sich der Blick über die Bettdecke hinaus auf gesellschaftliche Verhältnisse weitet. Die ganze Spannbreite menschlichen Seins wird in einzelne Miniaturen gepresst.

"Es gibt eine Frau, sie liebt mich. Sie kämpft mit der Vergangenheit, vornehmlich mit der persönlichen und der allgemeinen. Mit der eigenen Vergangenheit und mit der des Landes. Sie kann keinen Frieden finden."

Péter Esterházy sagte einmal: In einem Zimmer sitzen und zu schreiben, ist das Beste. Und so kann man sich den Autor vorstellen, am PC sitzend und in Phantasien schwelgend. Er hat ein Rendezvous mit 97 Frauen – sie alle stellt er uns vor.

Der Schauspieler Ulrich Pleitgen leiht dem Autor seine Stimme – professionelles Hörtheater. Reizvoll wäre es gewiss, man könnte auch Esterházy selbst, der ausgezeichnet Deutsch spricht, hören – sein melodiös ungarisch eingefärbtes Deutsch, wenigstens in einigen Episoden. Diese Möglichkeit hat der Hörbuchverlag leider verschenkt.

Péter Esterházy: Eine Frau
Ungekürzte Lesung von Ulrich Pleitgen
Hörbuch Verlag Hamburg
4 CD, 269 Minuten mit 97 Tracks
Preis: 24,90 Euro