"Heilig ist schon diese Notwendigkeit von Kunst"

Von Gerd Brendel · 27.12.2012
Stéphane Braunschweig zählt zu den bekanntesten Regisseuren Frankreichs und Europas. Heilig ist ihm die Notwendigkeit von Kunst. So könne beispielsweise Theater zwar nicht die Wirklichkeit, wohl aber den Blick des Zuschauers auf die Wirklichkeit verändern.
"Was ist heilig für mich? Komplizierte Frage. Heilig ist 'sacre'? Oder was gilt für mich? 'Sacre', oder? Heilig ist wie 'heilige Familie'.

Ich selbst bin überhaupt nicht religiös. Überhaupt nicht, und das Wort klingt natürlich für mich religiös, und da habe ich Misstrauen vor so einem Wort. Andrerseits ich bin kein Zyniker-Künstler.

Das heißt, es gibt sicherlich noch viel, an was ich glauben kann. Mein Sohn ist heilig, meine Tochter ist heilig.

Heilig ist schon diese Notwendigkeit von Kunst. Zum Beispiel, dass Theater möglich ist, ist ein Glauben, nicht religiös, aber ein Glauben und eine conviction.

Ich glaube, wenn man Theater macht, das ist ein bestimmter Raum, wo die Wirklichkeit, die Zeit gehängt bleibt wie zwischen Klammern. Und dann geht man zurück und die Wirklichkeit ist verändert - nicht die Wirklichkeit, aber der Blick, den wir auf diese Wirklichkeit haben können als Zuschauer.

Und in dieser Welt, wo wir sind, sich alles dreht um Geld, Rentabilität, um Euros, das ist so wichtig, dass die Leute nicht nur sich ökonomischen Fragen stellen können, sondern wirklich auch Sinnfragen.

Ich hab Kirschgarten von Tschechow inszeniert. Im vierten Akt, wenn die Familie den Kirschgarten verkaufen und verlassen muss, man kann das mit großer Melancholie spielen oder mit Lust auf die Zukunft. Diese zweite Lösung habe ich gewählt und deswegen weinten sie nicht so viel, wie man macht im russischen Theater. Und dann haben wir das in Moskau gespielt. Es war genau in der Periode der Perestroika, die Ökonomie war ganz schlecht, aber es gab Leute, die sagten: Das ist für uns nötig zu denken, vielleicht muss man doch in die Zukunft mit Appetit und Hoffnung und Glauben blicken können.

Ich glaube, die Melancholie und die Nostalgie müssen unsere Feinde bleiben.

Über Stéphane Braunschweig:
Der französische Regisseur Stéphane Braunschweig, inszeniert Theater wie ein Chirurg, der am offenen Herzen operiert: Sorgfältig legt er die Bedeutungsschichten des Textes frei. Präzise lässt er Schauspieler und Sänger agieren. Braunschweig wurde 1964 in Paris geboren. Nach einem seinem Philosphie-Studium an der Ecole Normale Superieure besuchte er die Theaterschule am Theatre National de Chaillot.

Mittlerweile zählt er zu den bekanntesten Regisseuren Frankreichs und Europas. 2000 wurder er Intendant des Théâtre National de Strasbourg (TNS), wo unter anderem Inszenierungen von Tschechow, Kleist, Ibsen und Molière entstanden. Daneben inszeniert er regelmäßig für die großen europäischen Opernhäuser wie Paris, Brüssel, Venedig, Mailand und Berlin.

2006 bis 2009 entstand in Zusammenarbeit mit Sir Simon Rattle Wagners Ring-Tetralogie für das Festival in Aix-en-Provence und die Osterfestspiele Salzburg. Für seine Inszenierung des Woyzeck am Staatsschauspiel München mit Udo Samel wurde ihm der bayerische Theaterpreis verliehen.

Serie im Überblick:
"Was mir heilig ist" - Prominente geben Antwort
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