Heil: Strafrecht für Jugendliche in Deutschland scharf genug

Moderation: Marie Sagenschneider · 07.01.2008
Die SPD hat sich erneut gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts in Deutschland ausgesprochen. Es sei ganz wichtig, hart gegen Jugendkriminalität zu kämpfen, aber noch härter gegen die Ursachen, sagte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Das Strafrecht in Deutschland, auch gegen Jugendkriminalität, sei scharf genug. Es müsse nur konsequent angewandt werden. In den Bereichen Justiz und Polizei und vor allem bei der Prävention sei zu wenig getan worden.
Marie Sagenschneider: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat sein Wahlkampfthema gefunden - der Kampf gegen jugendliche Gewalttäter - und die CDU folgt ihm darin. Am Wochenende hat sie weit reichende Vorschläge präsentiert, die von Erziehungs-Camps bis zu rascher Abschiebung ausländischer Jugendlicher reichen, von zusätzlichem Arrest zur Bewährungsstrafe bis hin zu einem höheren Strafmaß bei schweren Verbrechen. Das lässt offenbar auch die SPD nicht ganz unbeeindruckt. Sie hat auf ihrer Klausur in Hannover angekündigt, ein eigenes Konzept vorlegen zu wollen. Wie das aussehen soll, auch darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Hubertus Heil sprechen, dem Generalsekretär der SPD. Guten Morgen Herr Heil!

Hubertus Heil: Schönen guten Morgen. Ich grüße Sie!

Sagenschneider: Welche Ideen hat die SPD zum Thema Jugendkriminalität?

Heil: Für uns ganz wichtig, dass wir hart gegen Verbrechen kämpfen, auch gegen Jugendkriminalität, aber noch härter gegen die Ursachen. Es sagen ja alle Experten an diesem Punkt und vor einigen Tagen auch noch Herr Schäuble, das Strafrecht in Deutschland auch für Jugendliche ist eigentlich scharf genug. Es muss nur konsequent angewandt werden und was nützen die schärfsten Gesetze, wenn wie in Hessen und in Niedersachsen zu wenig Polizisten, zu wenig Richter, zu wenig Staatsanwälte, vor allen Dingen aber zu wenig Jugendhelfer da sind und wenn 80 Prozent derjenigen, die in Hessen im Jugendarrest sitzen, anschließend wieder rückfällig werden. Also es braucht da eine seriösere Debatte. Wir haben scharfe Gesetze. Es braucht keine Verschärfung in dem Bereich, aber es braucht eine konsequente Anwendung. Dazu gehört übrigens auch, dass die Strafe auf dem Fuße folgen muss und dass man nicht über Jahre dort Verfahren auch verschleppt.

Sagenschneider: Das heißt, Sie werfen der Justiz vor, zu behäbig zu sein?

Heil: Nein. Ich werfe vor allen Dingen den zuständigen Ländern Hessen, Niedersachsen und Bayern - das muss man an dieser Stelle auch erwähnen - vor, dass sie dort zu wenig getan haben, um vorbeugend gegen Jugendkriminalität vorzugehen, um Integration zu verbessern. Wenn sie bei Sprachkursen kürzen und wenn sie anschließend im Bereich auch der Repression keine Möglichkeit haben, genug Polizei, genug Staatsanwälte und Jugendrichter in diesem Bereich zu haben, dann muss man sich über das nicht wundern. Dass Herr Koch das jetzt intoniert, ist ja ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver. Der hatte neun Jahre Zeit, in Hessen das zu tun. Die stehen in der Verantwortung als Länder für eine vernünftige Ausstattung von Sicherheit, von Polizei, aber vor allen Dingen von Bildung und von Jugendhilfe.

Sagenschneider: Und dennoch, Herr Heil, setzt die CDU die SPD mit diesem Thema nicht doch sehr unter Druck?

Heil: Nein. Ich glaube, dass man sich angucken muss, dass alle Expertinnen und Experten, vor einigen Tagen wie gesagt auch Herr Schäuble noch, deutlich gemacht haben, wie die Debatte richtig laufen muss. Man muss klar machen: Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht, vor Kriminalität geschützt zu werden. Da darf man auch nicht Dinge verniedlichen, die nicht in Ordnung sind. Man muss an die Ursachen heran und nicht an die Symptome des Ganzen. Für die Landtagswahlkämpfe in Hessen, Niedersachsen, auch in Hamburg stehen andere Themen im Vordergrund. Da interessiert die Menschen vor allen Dingen: Geht das wirtschaftlich mit dem Aufschwung weiter und kann man dafür sorgen, dass das ein Aufschwung nicht für wenige, sondern für alle wird? Da steht das Thema Mindestlöhne ganz oben auf. Die CDU ist ja auch, wenn Sie sich die Umfragen angucken, in allen Ländern auf dem Abwind, und die SPD ist im Aufwind, und das freut mich natürlich.

Sagenschneider: Nicht unbedingt in Niedersachsen?

Heil: Da hat sich auch einiges bewegt. Wir hatten gestern Wahlkampfauftakt hier in Niedersachsen als SPD mit 1200 Menschen in Braunschweig mit einer absolut guten Stimmung. Ich erlebe einen hohen Zuspruch in diesem Bereich. Ich gebe zu, dass wir in Hessen noch ein Stück weiter sind. Dort bricht die CDU massiv auf breiter Front auf und die SPD holt auf. Aber auch in Niedersachsen ist das in Bewegung. Der Wahlkampf kommt ja erst jetzt und das ist eine ganz interessante Situation. Vor Weihnachten findet Wahlkampf nicht so richtig statt. Vielen Menschen ist nicht im Bewusstsein gewesen, dass überhaupt Landtagswahlen sind. Jetzt hängen die Plakate, die Veranstaltungen sind da, und da spitzt sich auch einiges zu.

Sagenschneider: Ich komme noch mal zurück auf die Frage nach dem: Setzt die CDU sie unter Druck? Denn immerhin hat es die CDU ja doch geschafft, mit diesem Thema Jugendkriminalität beziehungsweise Kampf dagegen die Schlagzeilen zu erobern. Vom Mindestlohn spricht derzeit kaum noch jemand, und das soll ja nun der Wahlkampfschlager der SPD sein. Sind Sie da doch nicht ein bisschen ins Hintertreffen geraten?

Heil: Nein. Beim Mindestlohn geht es nicht darum, dass wir das jetzt kurzfristig entdeckt haben - Sie wissen, wir sind dort nicht seit gestern da -, sondern dass wir das auch durchsetzen. Das ist nicht nur ein Thema für Wahlkämpfe, sondern für die Regierungsrealität, und das wird sich in den nächsten Tagen auch zeigen. Wir haben in der Koalition eine Verabredung, dass nach Bauarbeitern, nach Gebäudereinigern, nach Briefdienstleistern auch weitere Branchen in den Mindestlohn kommen. Und wir haben dort Druck auf die Union zu machen, weil wir immer wieder erleben, dass sie die Reformbremse einlegen. Wir wollen, dass Menschen, die vollbeschäftigt arbeiten, von ihrer Arbeit auch leben können. Das muss man deutlich machen, und das muss auch in Wahlkämpfen angesprochen werden, weil dort Ministerpräsidenten wie Koch und auch Wulff die eigentliche Reformbremse an diesem Punkt sind. Nein, nein, ich bin da ganz zuversichtlich, dass die Menschen sich von Herrn Koch, der jetzt auf einmal von Wahrhaftigkeit und Anstand in Deutschland predigt und an diesem Punkt weiß Gott nicht der schlimmste Experte ist oder der brutalstmögliche, die Leute nicht hinter die Fichte führen lassen. Jetzt panisch nach dem zu suchen und um sich zu hauen, das wird sich nicht auszahlen.

Sagenschneider: Aber er hat es leichter. Er hat es leichter mit Schlagworten wie Warnschussarrest, schnellere Abschiebung und höhere Strafen. Da steht man wahlkampftechnisch gesehen schon ein bisschen besser da als mit einer vorsichtigeren Herangehensweise, oder wenn man auf Ursachenbekämpfung verweist. Das könnte der SPD ja auch vom Wähler ausgelegt werden als: Die tun nichts.

Heil: Nein. Wir sind im Bereich innere Sicherheit nicht in der Situation, dass die SPD irgendwelchen Nachholunterricht braucht. Wir kämpfen hart gegen das Verbrechen. Das ist gar keine Frage. Aber diejenigen, die zuständig sind - und das sind die Länder im Bereich Justiz, was die Repression betrifft, und Polizei -, die müssen auch ihren Job tun, und vor allen Dingen was die Vorbeugung, die Prävention betrifft ist zu wenig getan worden. Wir lassen uns nicht in einen Wettbewerb um die wildesten und härtesten plakativen Forderungen in diesem Bereich ziehen, die aber in der Praxis keinen Bürger und keine Bürgerin vor Kriminalität wirklich schützen. Was nützt es, wenn sie 14-, 15-Jährige jahre- oder meinetwegen jahrzehntelang in den Knast stecken, aber anschließend dann jemand raus kommt, der wieder rückfällig wird an diesem Punkt. Das ist zu kurz gedacht. Das wissen die Menschen auch. Also noch mal: Hart gegen das Verbrechen, aber noch härter gegen die Ursachen. Bei der Linie bleiben wir.

Sagenschneider: Diese deutliche Positionierung aller Parteien jetzt vor den Landtagswahlen, wie sehr, Herr Heil, belastet das die Große Koalition?

Heil: Die Große Koalition muss weiterarbeiten. Wir haben noch viel zu tun in den nächsten zwei Jahren. Und ich warne auch davor, dass wir in der Großen Koalition in Stillstand verfallen. Das würden uns die Bürgerinnen und Bürger insgesamt übel nehmen, und zwar CDU/CSU und SPD. Man darf jetzt nicht auf der Reformbremse sein, wie das CDU und CSU immer wieder getan haben in den letzten Tagen, sondern wir müssen weiterarbeiten. Aber wir erleben auch, wenn die SPD ordentlich Druck macht, dann geht das auch weiter. Es sind ja im Wesentlichen sozialdemokratische Themen, die dann immer auf der praktischen Tagesordnung der Regierung stehen. Ob in der Familienpolitik oder beim Mindestlohn oder im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik bleiben wir die treibende Kraft in dieser Großen Koalition, und sie muss weiterarbeiten. Wahlkampf auf Bundesebene ist erst wieder 2009, und wir dürfen uns auch nicht von Landtagswahlen in dem, was zu tun ist, aufhalten lassen.
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