Hans Markus Heimann: "Deutschland als multireligiöser Staat"

Muslime lassen Staatskirchenrecht alt aussehen

Eine deutsche Fahne weht neben dem Minarett einer Moschee am Rande von Schwäbisch Hall
Eine deutsche Fahne weht neben dem Minarett einer Moschee am Rande von Schwäbisch Hall © dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst
Hans Markus Heimann im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 06.08.2016
Sich zu einer multireligiösen und zunehmend areligiösen Gesellschaft zu entwickeln, hält Staatsrechtler Hans Markus Heimann für eine Herausforderung. Verfassungsrechtlich sei Deutschland ihr aber durchaus gewachsen.
Das Grundgesetz habe den deutschen Staat religionsneutral angelegt und gewähre Religionsfreiheit. Auch wenn den Angehörigen aller Religionen gleichermaßen Freiheit und Gleichheit garantiert sei, wären beschränkende Eingriffe erlaubt – wie in anderen Grundrechtsfragen auch.
Wo nämlich Grundrechte kollidierten und entsprechend ausgeglichen werden müssten, könnte die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung Religion und Weltanschauung relativieren. So müsse die Praxis religiöser Beschneidung am Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit eines Kindes gemessen werden. Dagegen sehe er keines, das mit Bekleidungsvorschriften abgewogen werden sollte. Aus diesem Grund dürfte hierzulande ein "Burka-Verbot" verfassungsrechtlich nicht bestehen.

Weltanschauung verpflichtet nicht zu Verfassungstreue

Einerseits habe der Einzelne zu akzeptieren, dass staatliches Handeln nicht den Normen einer Religion unterworfen werden könne. Andererseits sei es erlaubt, wenn auch problematisch, ein religiöses Weltbild zu haben, das den Prinzipien des Grundgesetzes widerspreche, solange dadurch nicht Straftaten gerechtfertigt würden oder der betreffende Gläubige nicht als Beamter zu umfassender Verfassungstreue verpflichtet sei.
Natürlich, so gibt der Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl zu Bedenken, dürfe der Anteil derer, die aktiv oder passiv die Verfassung ablehnen, nicht so groß sein, dass die Existenz des multireligiösen Staates gefährdet werde.
Um Muslime in die deutsche Gesellschaft zu integrieren und ihre religiösen Rechte zu respektieren, reiche das Verfassungsrecht aus. Ja, er sei optimistisch, dass sich mit ihm immer wieder neue Einzelfragen beantworten ließen, da es flexibel und anpassungsfähig genug sei, wenn auch der Weg durch politische und gerichtliche Instanzen sich als langwierig zeige.
Cover von Hans Markus Heimann "Deutschland als multireligiöser Staat. Eine Herausforderung"
Cover von Hans Markus Heimann "Deutschland als multireligiöser Staat. Eine Herausforderung"© C. Bertelsmann

Körperschaftsstatus für Religionen ist aus der Zeit gefallen

Des traditionellen Staatskirchenrechts – oder eines Religionsverfassungsrechtes – bedürfe es dazu allerdings nicht. Staatliche Verträge mit Religionsgemeinschaften wie auch der Körperschaftsstatus seien aus der Zeit gefallen, auch wenn sie noch nicht zur Gänze anachronistisch wirkten.
Schließlich würden sich die Interessen von Staat und Kirchen in Zeiten, in denen sie den Charakter von Volkskirchen verlören, nicht länger überschneiden, sondern voneinander entfernen.
Privilegien, so sie noch gerechtfertigt wären, könnten genauso gut an privatrechtliche Rechtsformen gebunden werden. Beispielsweise wünschte er sich, der Staat würde nicht länger finanzielle Subventionen an Religionsgemeinschaften und kirchliche Träger der freien Wohlfahrtspflege zahlen.
Für muslimische Verbände wie für alle neugegründeten Religionsgemeinschaft sei es überlegenswert, an Schulen ihren Religionsunterricht anzubieten, weil dann die zuständigen Behörden verpflichtet seien, Lehrinhalte daraufhin zu prüfen, ob sie verfassungsrechtlich konform gestaltet seien.

Hans Markus Heimann: Deutschland als multireligiöser Staat. Eine Herausforderung
Fischer Verlag, Frankfurt 2016
256 Seiten, 22,99 Euro, auch als E-Book erhältlich

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