Hampton Sides: "Die Polarfahrt"

Abenteuerreise ins Unglück

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"Die Polarfahrt" von Hampton Sides © Mare Verlag & picture alliance / dpa / Ulf Mander
Von Günther Wessel · 12.04.2017
1879 war der Nordpol noch unerschlossenes Gebiet, das Abenteurer zu wagemutigen Expeditionen anspornte. Darunter: Der US-Seeoffizier George DeLong. Die Fahrt endete in einer Tragödie - sie und die unterschiedlichen Interessen dahinter hat Hampton Sides in "Die Polarfahrt" verarbeitet.
Aus Gotha kam die Idee: Der deutsche Geograph August Petermann behauptete, dass der Nordpol von einem offenen Meer umgeben sei und nur eine Eisbarriere durchbrochen werden müsse. Expeditionen schienen ihn zu bestätigen.
So überzeugte Petermann zwar nicht alle wissenschaftlichen Kollegen, wohl aber den Seeoffizier George DeLong, der sich als Entdecker im Norden beweisen wollte. Und auch James Gordon Bennet, den Verleger des "New York Herald".

Ein grandioser Plan

Dieser war immer bestrebt gewesen, Sensationen für seine Zeitung zu inszenieren. So hatte er Jahre zuvor den Journalisten Henry Morton Stanley beauftragt, den jahrelang verschollenen britischen Afrikaforscher David Livingstone zu finden, und damit für einen Mediencoup gesorgt.
Er witterte einen zweiten und finanzierte deshalb DeLongs Entdeckungsreise auf dem Dampfsegler "Jeannette". Als offizielle US-Nordpol-Expedition löste man am 8. Juli 1879 in San Francisco die Leinen.

Kurz darauf wurde Petermanns Theorie vom eisfreien Polarmeer zwar wissenschaftlich widerlegt. Doch für George DeLong war es zu spät – die Reisenden erfuhren die Schwere des Irrtums in aller Härte am eigenen Leibe.

Heldenhaftes Scheitern, dramatisches Ende

Die "Jeannette", fror im Oktober 1879 im Packeis ein. Etwa anderthalb Jahre driftete das Schiff im Eis nach Nordwesten, am 12. Juni 1881versank es, nunmehr wieder frei, aber den rauhen Verhältnissen nicht gewachsen, für immer im Meer – 1.500 Kilometer von der Küste Nordsibiriens entfernt.
Die 36 Männer kämpften sich auf drei überladenen Rettungsbooten nach Süden – immer wieder waren sie gezwungen, die Boote über das Eis zu ziehen. In einem Sturm vor der sibirischen Küste wurden sie voneinander getrennt.
Ein Boot kenterte, zwei erreichten das Ufer. Die Besatzung des einen, kommandiert von George Melville, wurde gerettet, die des anderen, kommandiert von George DeLong, erfror jämmerlich in der sibirischen Tundra.

Wer hat profitiert?

Was sich so lakonisch berichten lässt, breitet Hampton Sides in einem großen Panorama vor dem Leser aus: Er beschreibt ausführlich und nachvollziehbar die unterschiedlichen Interessen der Akteure. Das Interesse der amerikanischen Regierung, den Pol für sich zu reklamieren, wie auch das Anliegen Bennets, Auflage zu machen, vor allem aber die Liebe George DeLongs zur zerbrechlichen Schönheit des Polarmeers.
Unter Rückgriff auf Briefe, Tagebücher, Zeitungen und Dokumente wird süffig erzählt – vom Leben an Bord vor dem Untergang, von der langen Drift, dem Kampf gegen die Kälte, schließlich vom Sterben der einen und der Rettung der anderen. Mitunter psychologisiert der Autor zuviel. Aber spannend bleibt die Geschichte durchweg, obwohl ihr Ausgang ja bekannt ist.
Am Ende profitierte übrigens nur einer: James Gordon Bennet schaffte es, mit Geschichten über das heldenhafte Scheitern der Expedition und über misslungene Rettungseinsätze die Auflage seiner Zeitung nach oben zu treiben.

Hampton Sides: "Die Polarfahrt. Von der unwiderstehlichen Sehnsucht, einem grandiosen Plan und seinem dramatischen Ende im Eis."
Aus dem Amerikanischen von Rudolf Mast
Mare Verlag, Hamburg 2017
576 Seiten, 28,00 Euro

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