Hamed Abdel-Samad: "Integration"

Falsch verstandene Religionsfreiheit als Gefahr

Die DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh
Die DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh © picture alliance / dpa / Revierfoto; drömer
Von Eike Gebhardt  · 10.04.2018
Der Islam – eine Religionsgemeinschaft? Der Politologe Hamed Abdel-Samad hält diese Vorstellung für ein Missverständnis. In seinem Buch "Integration – Ein Protokoll des Scheiterns" warnt er vor einer islamistischen Unterwanderung von Staat und Gesellschaft.
So unbefangen radikal wie der in Ägypten geborene deutsche Politologe Hamed Abdel-Samad beleuchtet kaum jemand die kulturellen Kellergewölbe des politischen Islam. Die Reaktionen, die ihn darauf erreichen – von zahllosen Morddrohungen bis zu quasi-amtlichen Fatwas –, sind das beste Indiz dafür, wie viele widersprüchliche Konstrukte und brüchige Grundpfeiler er dabei bloßlegte.
In seinem jüngsten Buch "Integration – Ein Protokoll des Scheiterns" wechselt er die Perspektive: Es geht um Verfehlungen der Ankunftsgesellschaft und damit um ihre Mitschuld am Erblühen des Islamismus hierzulande.
"Man kann die Realität ignorieren, aber man kann nicht die Konsequenzen der ignorierten Realität ignorieren", so das Motto des Buches, das der Autor von der radikal libertären Autorin Ayn Rand zitiert. Und das deprimierende Fazit: Allen öffentlichen Bekenntnissen zum Trotz sei fast niemand ernsthaft an Integration interessiert.
"Die Wirtschaft und ihre exportorientierten Interessen, der Sozialstaat und seine Profiteure, die Kirchen und ihre Privilegien, die Islamverbände und ihre Agenda wehren sich gegen ein umfassendes Integrationskonzept", so Abdel-Samad.

Integrationsgebote seien nötig

Konservative bis rechtsradikale Politiker und Bevölkerungsschichten sind da noch diskret ausgespart. Das Grundübel sei die Annahme, bei dem von den Islamverbänden vertretenen Islam handele es sich um eine Religionsgemeinschaft – ein Status, den man den Verbänden laut Abdel-Samad keinesfalls zugestehen dürfe.
Blauäugig verhandelten deutsche Regierungsstellen dennoch mit selbsternannten Islam-Vertretungen, deren erklärte Gegnerschaft zum Grundgesetz diese eigentlich disqualifizieren müsste. Falsch verstandene Religionsfreiheit sei der Hebel, mit dem deutsche Politiker regelmäßig in die Knie gezwungen würden.
Deshalb meint Abdel-Samad: "Wir brauchen nicht nur Integrationsangebote, sondern auch Integrationsgebote." Dazu gehöre vor allem, das Gewaltmonopol des Staates konsequent durchzusetzen, auch in sogenannten No-Go-Areas.
Und schließlich sei die Strategie des langen Marschs durch die Institutionen längst offenkundig: Die Polizei, die Justiz, das Bildungswesen zeigten Zeichen der Unterwanderung. Doch da die Grundwerte der Würde des Einzelnen an erster Stelle des Grundgesetzes stünden, müssten religiöse Gebote und Werte spezifischer Gemeinschaften dahinter zurückstehen.
Vor allem aber empfiehlt Abdel-Samad, sich über die Absichten der konservativen islamischen Verbände nicht zu täuschen: "Es gibt im Islam keine Gleichwertigkeit von Werten und Sitten. Nur die islamische Moral ist wirklich eine Moral. Und Moral ist gleich auch Gesetz."
Und schließlich: "Wir brauchen keine Synthese von Islam und Europa, sondern von Freiheit und Verantwortung; von Spiritualität und Vernunft; von Toleranz und Wachsamkeit".
Abdel-Samads neues Buch ist nicht weniger kontrovers als seine vorigen – meiner Meinung nach eine in ihrer Direktheit erfrischende Diagnose. Nur fraglich, ob seine Rhetorik dem Integrationsdialog am Ende tatsächlich hilft.

Hamed Abdel-Samad: Integration. Ein Protokoll des Scheiterns
Droemer Verlag, München 2018
272 Seiten, 19,99 Euro

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