Halbszenische Gespenstersonate

Von Jörn Florian Fuchs · 01.08.2011
Seine Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele im Jahr 2009 sorgte sowohl für vehemente Zustimmung wie brüske Ablehnung. Auf das Regietheater hatte es Daniel Kehlmann abgesehen - selbiges spielt bekanntlich auch an der Salzach eine gewisse Rolle.
Als Akt der Freundschaft boten die Festspiele dem Autor an, selbst ein Stück zu schreiben und es in Salzburg - ohne regietheatrale Exzesse - uraufführen zu lassen. Das Ergebnis heißt "Geister in Princeton" und war jetzt im Landestheater zu begutachten.

Um es vorwegzunehmen: Das Publikum applaudierte heftig und kein Regiewüterich störte Kehlmanns klug gebauten Neunzigminüter. Schriftsteller und Regisseur Christopher Hampton (er erhielt für das Drehbuch zum Film "Gefährliche Liebschaften" einen Oscar) richtete "Geister in Princeton" als szenische Lesung ein. Im Zentrum steht der Mathematiker Kurt Gödel, auf seinem Sterbebett erinnert er sich an zentrale Wegmarken. Auch nach dem Tod geht die Rückschau weiter. Gödel war ja der Ansicht, es gebe keine Zeit, nur das Hier und Jetzt, also sei prinzipiell alles möglich. Somit sind die Toten nicht tot und können mit den Lebenden in Kontakt treten. Dieser Gedanke dient Kehlmann gleichsam als dramaturgische Legitimation.

Gödel diskutiert mit Albert Einstein über dessen Relativitätstheorie, er gerät ins Umfeld des Wiener Kreises und schlägt sich mit den materialistischen, reduktionistischen Ideen eines Otto Neurath, John von Neumann oder Moritz Schlick herum. Schlick wird von einem verrückten Studenten erschossen, auch Kurt Gödel hat Wahnvorstellungen und Panik vor einer Vergiftung. Seine Frau dient ihm als Vorkosterin ...

Schlaglichtartig ziehen die Lebensstationen Gödels vorbei, es gibt allerlei komische Momente (zum Beispiel die durchaus groteske, postume Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreises Zweiter Klasse), aber auch sehr Tragisches: Einsamkeit und Depressionen. Christopher Hampton braucht nur wenige Requisiten, um aus einer szenischen Lesung wirkungsvolles Theater zu machen. Mit einer Brecht-Gardine, Tischen und Stühlen sowie wechselnden Klangkulissen entstehen die jeweiligen Spielorte vor dem inneren Auge. Das zehnköpfige Ensemble rund um Peter Jordan und Bettina Stucky als Ehepaar Gödel macht seine Sache hervorragend, ein paar Akteuren wird man im September in Graz wiederbegegnen, dort folgt die 'vollgültige' szenische Premiere.

Die einzige Schwäche an Kehlmanns Stück ist ein gewisser Hang zum Bildungsbürgerlichen. Ganz voraussetzungslos lassen sich die "Geister in Princeton" nicht goutieren, Grundkenntnisse in (Natur-)Wissenschaften sind von Vorteil, die zentralen Ideen des Wiener Kreises sollte man ebenfalls kennen.

Aufbau und Sprache von Kehlmanns Bühnenerstling sind auf angenehme Weise altmodisch und ähneln sehr einem well-made play britischer Provenienz. Damit füllt der Autor durchaus eine Marktlücke im deutschsprachigen Dramenangebot.


Links bei dradio.de:
Geburtstagsrede und Poetikvorlesung
Daniel Kehlmann: "Lob - Über Literatur", Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, 190 Seiten

Die Außenwelt als Seelenspiegel
Daniel Kehlmann: "Unter der Sonne", Hörbuch Hamburg, 2 CDs, 117 Minuten

"Ich finde, ehrlich gesagt, die Rede von dem Kehlmann ein bisschen peinlich"
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Link zum Thema:

Salzburger Festspiele 2011: "Geister in Princeton"
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