Hakenkreuzschmiererein in der BRD

Von Winfried Sträter · 24.12.2009
Mitten in den Jahren der Wirtschaftswunderzeit brach die antisemitische Gesinnung vieler Deutscher sich die Bahn: Nachdem am 24. Dezember 1959 die neu eingeweihte Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen verschandelt wurde, folgte eine Welle antisemitischer Schmierereien in der ganzen Bundesrepublik.
"Mit Entsetzen vernahm nicht nur die deutsche Bevölkerung, auch das Ausland die Nachricht von der Schändung der eben erst wieder aufgebauten Kölner Synagoge und des Kölner Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus."

Das meldete der RIAS. Am Heiligen Abend 1959 hatten zwei 25-jährige Mitglieder der rechtsradikalen "Deutschen Reichspartei" Hakenkreuze und die Parole "Deutsche fordern: Juden raus" an die Synagoge geschmiert. Die Tat erregte internationales Aufsehen. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galinski, kommentierte:

"Die Synagogenschändung in Köln stellt eine Kette unliebsamer Ereignisse in der Bundesrepublik dar. Die Warnungen, die von unserer Seite in letzter Zeit erhoben wurden, sind immer wieder verniedlicht worden."

Nach der Tat folgte eine Welle antisemitischer Schmierereien in der ganzen Bundesrepublik, in Westberlin und in mehreren westlichen Ländern. Plötzlich grassierte die Angst, dass die Bundesrepublik von der Vergangenheit eingeholt würde. Im Berliner Abgeordnetenhaus gab der Regierende Bürgermeister Willy Brandt eine Erklärung ab:

"Wenn man die Meldungen aneinander reiht, könnte man meinen, eine weit verstreute Brigade des Teufels habe Urlaub bekommen und sei auf uns losgelassen worden. Wir haben alle miteinander Grund, uns zu schämen."

Noch herrschte in weiten Teilen der Bundesrepublik eisiges Schweigen über die NS-Verbrechen. Der Kalte Krieg hatte die Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte überlagert. Bundeskanzler Adenauer konzentrierte sich ganz auf die politischen Weichenstellungen für die Zukunft und vermied die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Zu viele waren darin verstrickt. Reichte das, um die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik zu sichern? Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) bekannte in einer Regierungserklärung am 18. Februar 1960:

"Wir stellen uns ernsthaft der Frage, ob wir den nach 1945, insbesondere seit der Bildung der Bundesrepublik 1949, eingeschlagenen neuen Weg ohne Beeinträchtigung fortsetzen können."

Willy Brandt forderte eine offene Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen:

"Wer zumal in Deutschland wieder den makabren Trommelschlag des Rassenhasses, des Antisemitismus ertönen lässt, der fordert alles das heraus, was nach den Millionenmorden in den Gaskammern und in den Vernichtungslagern im Grunde ungesühnt geblieben ist."

Fast 700 Anschläge dokumentierte ein Weißbuch der Bundesregierung in den Wochen nach Heiligabend 1959. Bundeskanzler Adenauer gab Polizisten den Rat:

"Wenn Ihr irgendwo einen Lümmel erwischt, vollzieht die Strafe auf der Stelle und gebt ihm eine Tracht Prügel."

Die Bundesregierung warf der DDR vor, dass sie zu diesen Taten angestiftet habe. Tatsächlich unternahm der Staatssicherheitsdienst der DDR viel, um Westdeutschland als Hort von Naziverbrechern international in Verruf zu bringen. Bis heute ist die These verbreitet, dass die Stasi bei den Hakenkreuzschmierereien 1959 den Pinsel geführt habe. Belege dafür gibt es allerdings bisher nicht.

Entscheidend ist jedoch: Die Ereignisse 1959/60 markieren einen Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte. Denn das öffentliche Entsetzen war groß. Der Rektor der Freien Universität Berlin sagte auf einer Demonstration vor 3000 Studenten:

"Für uns, die Professoren und Studenten der Berliner Hochschulen, ist das eine ernste Mahnung, den Anfängen zu wehren."

Unter dem Eindruck der Hakenkreuze an jüdischen Einrichtungen verabschiedete der Bundestag 1960 ein Gesetz gegen Volksverhetzung. Die Debatten um die NS-Vergangenheit bekamen eine neue Qualität. Die beiden Täter vom Heiligabend 1959 wurden allerdings nur wegen Sachbeschädigung verurteilt - zu zehn beziehungsweise 14 Monaten Haft.