Hässlich und herrschsüchtig

Von Ulrich Fischer · 08.01.2011
Ein Egoist, dessen Eigennutz keine Grenzen kennt. So zeichnet der Regisseur Sebatian Schug Molières "Don Juan" am Staatstheater Hannover. Trotz aller Längen ist daraus eine sehenswerte Inszenierung geworden, die Stoff für Diskussionen bietet.
In Hannover ist alles anders. Wenn Don Juan in aller Welt als das Bild eines Grandseigneurs gilt, dann wirkt er in Hannover wie ein heruntergekommener Rocksänger. Kein elegantes Kostüm aus der Zeit Ludwigs XIV., sondern eine Lederjacke von heute. Statt lockenprunkende Perücke lange Haare, die längst hätten gewaschen werden sollen und ein ungepflegter Bart. Um dem Fass die Krone ins Gesicht zu schlagen, ist Aljoscha Stadelmann als Don Juan nicht etwa schlank, sondern im Gegenteil: Er neigt zur Korpulenz.
Wie soll ein solcher Mann schöne Frauen becircen? Wie sollte es ihm möglich sein, Dona Elvira zu bewegen, seinetwegen das Kloster zu verlassen und ihn zu heiraten?

Das ist die zentrale Frage, die Sebastian Schug in seiner Neuinszenierung von Molières Komödie aufwirft – und nur ansatzweise beantwortet. Wie ist es möglich, so scheint der Regisseur zu fragen, dass wir so lange alles über Don Juan wissen und trotzdem auch heute noch ihm immer wieder auf den Leim gehen? Dabei spielt Aljoscha Stadelmann nicht das Äußere des Verführers und Freigeistes, er verkörpert vielmehr dessen Innerstes, seinen Egoismus. Und - schrankenloser Eigennutz gepaart mit der Anmaßung des Hocharistokraten - ist eben nun mal hässlich.
Am stärksten spitzt sich in der Szene mit Pierrot die Frage zu, warum wir uns diesen Eigennutz bis heute gefallen lassen. Pierrot ist mit Charlotte verlobt. Eben hat er Don Juan aus Seenot gerettet, da verliebt sich Don Juan in Charlotte. Als Pierrot seinen Rivalen zur Rede stellen will, ohrfeigt Don Juan ihn. Pierrot protestiert zwar lautstark, aber geht nicht zur Gegenwehr über. Der Standesunterschied …
Ähnlich bei Dona Elvira: Sie klagt, aber überlässt die Rache dem Himmel. Ihre Verwandten, die Don Juan zur Verantwortung ziehen wollen, lassen sich schnell in einen Streit untereinander verwickeln. Don Juan bleibt ungeschoren.
Und Sganarelle, Don Juans Diener, tut, was man ihm sagt. Er warnt seinen Herrn zwar immer wieder, der Himmel werde seiner nicht spotten lassen, aber dennoch folgt er den Befehlen Don Juans und hilft ihm bei seinen Schandtaten.
Don Juan glaubt nicht an den Himmel und lacht über den Komtur. Die Schlussszene verändert Regisseur Sebastian Schug stark. Der Komtur führt Don Juan nicht zum Tor der Hölle, Don Juan spielt den Komtur – und sich selbst. Eine lange Szene, in der Aljoscha Stadelmann dem Affen Zucker gibt. Keine Hölle, nirgends.
Alle anderen Schauspieler verlassen die Bühne – sie überlassen sie Don Juan. Er kann weiter machen, was er will. Am Ende liegt er auf dem Boden – ist er berauscht, schläft er, ist er tot? Der Typ lebt weiter, so lange niemand ihm das Handwerk lebt – und genau dazu fordert die Aufführung auf.
Das siebenköpfige Ensemble spielte engagiert, allen voran Aljoscha Stadelmann – trotzdem gab es immer wieder zähe Passagen. Da half auch die Bühnenmaschine nicht mit spektakulären Effekten - gleißende Scheinwerfer blendeten die Zuschauer, Feuerwerkskörper explodierten. Stadelmanns Tour der Force am Ende als Don Juan und Komtur zog sich – dennoch: Schugs Interpretation ist originell. Wie kommt es, dass die selbsternannte Elite sich immer wieder durchsetzt, anstatt dass ihrer Anmaßung ein Ende gesetzt wird? (Heute liegt es nahe, an Finanzhaie zu denken.)
Sebastian Schug ist ein junger Regisseur, mit einigen seiner Inszenierungen konnte er Aufmerksamkeit erwecken – aber der große Durchbruch blieb bislang aus. Beim "Don Juan" war immer wieder der Eindruck unabweisbar, Schug wolle es nun endlich zwingen, jetzt müsse der unerhörte Erfolg her. Aber der ist nicht gelungen. Trotz aller Längen eine sehenswerte Inszenierung, eine diskussionswürdige Interpretation – aber mehr auch nicht.

Aufführungen am 13., 20. und 23. Januar sowie am 1., 5. und 8. Februar
Mehr Infos: www.staatstheater-hannover.de