Grünen-Politikerin: Europa muss Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen

Moderation: Nana Brink · 15.10.2012
Die Gewalt in Syrien reißt nicht ab. Ob neue EU-Sanktionen gegen die Regierung Assad helfen, hält die Grünen-Politikerin Franziska Brantner für fraglich. Sie warnt vor einem "Flüchtlingsdrama", das "die gesamte Region destabilisiere". Hier müsse die EU handeln.
Nana Brink: Was die UN-Vollversammlung nicht geschafft hat, nämlich Einmütigkeit zu demonstrieren, das werden vielleicht die Außenminister der EU heute schaffen. Sie wollen nämlich Sanktionen gegen Syrien beschließen, um genau zu sein, eine Verschärfung bereits bestehender Sanktionen. Bislang hatte man ja nicht den Eindruck, dass Sanktionen überhaupt etwas bewirken, dass es überhaupt irgendeinen Weg gibt, den Konflikt in einem Land zu beenden ohne kriegerische Mittel.

Also Sanktionen. Heute sollen Einreiseverbote gegen etwa 20 Vertraute und Unterstützer von Präsident Assad verhängt werden, ihre Vermögen in der EU eingefroren werden. Am Telefon ist jetzt Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Schönen guten Morgen, Frau Brantner!

Franziska Brantner: Guten Morgen!

Brink: 16 Mal hat die EU schon Sanktionen gegen Syrien verhängt - welchen Sinn macht jetzt diese neue?

Brantner: Ich glaube, sie ist vielleicht etwas mehr als symbolisch, aber es ist leider ein weiterer kleiner Tropfen. Wir haben jetzt schon 16 Mal, wie Sie es gerade gesagt haben, Sanktionen - leider wurden die erst relativ spät angefangen, im Mai 2011. Da gab es die friedlichen Demonstrationen schon ein paar Monate lang, und man hat auch eben immer nur tröpfchenweise die Sanktionen eingeführt, anstatt rechtzeitig genügend Menschen auf diese Sanktionsliste zu setzen, die nahe sind an Assad. Und die Umsetzung ist auch immer fraglich, ob sich wirklich alle Mitgliedsstaaten an die Sanktionen richtig halten.

Brink: Aber 155 Syrer stehen ja schon auf der Liste, jetzt kommen 20 weitere hinzu. Kritisieren Sie das?

Brantner: Nein, ich glaube, dass es wahrscheinlich nicht schaden kann. Die Frage ist, ob es wirklich hilft. Und ich glaube, wenn man es rechtzeitig eingesetzt hätte, letzten Sommer, dann diese 180 Leute, von denen wir jetzt sprechen, die waren damals schon bekannt und wurden damals schon da aufgefordert von der syrischen Opposition, diese Leute auf die Liste zu setzen. Dann, glaube ich, hätte man vielleicht wirklich noch den Verlauf des Konfliktes beeinflussen können. Ob jetzt die 20 weiteren Leute den großen kriegerischen Konflikt beenden können, halte ich erst mal zumindest für fraglich. Schaden wird es wahrscheinlich nicht.

Brink: Warum ist das so spät passiert, Ihrer Meinung nach?

Brantner: Im Gegensatz zu Gaddafi hielt man Assad für einen Freund, und irgendwie nicht für so irrational. Man hat ihm nicht zugetraut, dass er mit seinem Volk so umgehen wird. Wir hatten vor dieser Haltung gewarnt und haben gesagt: Weil seine Frau in Paris shoppen geht, ist er genauso gefährlich wie die anderen Diktatoren der Region. Aber die Einschätzung war damals eine andere. Man hatte, sag ich mal, von mitgliedsstaatlicher Seite aus den Eindruck, man könnte ihn irgendwie zur Räson bringen. Das war ziemlich sicher eine Fehleinschätzung.

Brink: Das ist ja mit Sicherheit nicht passiert. Sanktionen sind aber ja eigentlich nichts wert, wenn sie nicht kontrolliert werden. Wer tut denn das momentan?

Brantner: Momentan machen es die Mitgliedsstaaten. Also Deutschland kontrolliert seine eigene Sanktionsumsetzung, und es gibt keine europaweite Kontrolle. Es gibt da keine Troika, die überwacht, ob sich die Mitgliedsstaaten auch wirklich an die gemeinsam verabredeten Sanktionen halten. Wir hatten ja den Fall mit dem russischen Schiff, das über Zypern gefahren ist, das sogar angehalten wurde. Man hat es aufgemacht, gesehen, dass tonnenweise Waffen darin sind und hat es weiterfahren lassen mit dem Versprechen, es würde nicht nach Syrien fahren. Als es aus den Hoheitsgewässern Zyperns draußen war, hat es natürlich sofort wieder Kurs auf Syrien genommen.

Und das ist einer der bekannten Fälle, bei dem dann nachher nicht einmal mehr die EU Zypern dafür belangen konnte, dieses Schiff weiterfahren haben zu lassen. Zypern hat momentan die Ratspräsidentschaft. Sie erinnern sich an das deutsche Schiff, was zwar nicht unter deutscher Flagge lief, aber dann auf einmal aufgetaucht war. Es verschwand dann wieder, und nach ein paar Tagen, als man es wiederfand, waren keine Waffen drauf. Das sind alles solche Fälle, von denen wir wissen. Es gibt andere, von denen wir immer wieder hören. Daher: Die Umsetzung wird leider nicht durch Brüssel überprüft.

Brink: Wie wollen Sie denn eine solche Kontrolle etablieren, das heißt, wer soll das dann wirklich tun, wenn Sie sagen, na ja, wir können den einzelnen Ländern nicht trauen, oder wir können wirklich nicht überprüfen, wie die einzelnen Länder die Sanktionen wirklich überprüfen.

Brantner: Die Europäische Union überprüft relativ viel. Das wird dann immer durch Kontrollen vor Ort überprüft. Es gibt mögliche Sanktionsfähigkeiten gegen die Mitgliedsstaaten. Ich denke immer, es wäre wert, das auch in unserer Außenpolitik so konsequent umzusetzen, wie wir es nach innen machen. Wir haben jetzt den Friedensnobelpreis bekommen - ich glaube, wenn wir wirklich zum Frieden außerhalb etwas beitragen müssen, könnten wir da ruhig auch etwas strikter mit uns selber sein.

Brink: Sollte es da eine Art von neuer Behörde geben, oder wie muss ich Sie verstehen?

Brantner: Das wäre - erst mal ein paar mehr Menschen. Momentan arbeiten da zwei, drei Leute im Auswärtigen Dienst dazu, die gerade mal fertig damit werden, die aktuell angehenden Sanktionen immer vorzubereiten. Die gar keine Zeit haben, überhaupt nachzufolgen. Da braucht man natürlich etwas mehr Menschen, eine Behörde braucht man dafür nicht unbedingt.

Brink: Nun hat auch der europäische, also der Europaminister der Türkei, Bagis, gefordert, dass auch Europa mehr Flüchtlinge aus der Region aufnehmen soll. Eine richtige Forderung?

Brantner: Ja. Ich halte es für absolut notwendig, dass wir uns endlich dieser Forderung aus der Region stellen. Und wir haben schon seit Monaten gesagt, es ist ein Flüchtlingsdrama, es sind Millionen von Menschen auf der Flucht innerhalb Syriens oder auch nach außen. Das droht die gesamte Region zu destabilisieren. Und ich glaube, dass es jetzt wirklich an der Zeit ist, dass wir auch bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Ansonsten, glaube ich, haben wir noch einen schlechteren Ruf als den, den wir eh schon in der Region haben.

Brink: Wir sehen ja, wie sich der Konflikt auch zwischen Syrien und der Türkei verschärft. Weil wir gerade von der Türkei gesprochen haben. Nicht erst seit der erzwungenen Landung einer syrischen Passagiermaschine, die ja angeblich Rüstungsgüter geladen haben soll. Tragen denn solche Sanktionen, über die wir sprechen, die heute beschlossen werden sollen, wirklich zu einer Deeskalation bei?

Brantner: Ach - wie gesagt, man kann es immer wieder hoffen. Ich glaube, was momentan die Frage ist für die Deeskalation, ist die neue Initiative von dem UN-Beauftragten Brahimi, der ja noch mal jetzt wieder versucht, auch unterschiedliche Akteure zusammenzubringen. Ich halte es da für notwendig, dass der Westen nicht mehr blockiert, den Iran dazu einzubeziehen. Das war bis jetzt die Position. Ich glaube, es ist notwendig, den Iran einzubeziehen, auch wenn man ihn so wenig mag. Aber er ist Teil des Konfliktes.

Ich halte es für notwendig, dass wir jetzt bereit sind zu signalisieren, eine Blauhelmmission hinterher zu senden, wenn es einen politischen Prozess gibt, um den auch wirklich abzusichern. Ich glaube, wir haben jetzt noch einmal eine Chance, das man zu einem friedlichen Auskommen vielleicht doch noch kommt, aber nur, wenn jetzt wirklich alle es sehr ernst nehmen. Und da finde ich dann 20 weitere Leute vielleicht nicht genug auch an Signal an die betroffenen Parteien, sich jetzt wirklich zusammenzureißen.

Brink: Aber sind Sanktionen nicht das einzige Mittel, dass die EU hat?

Brantner: Ich glaube, man könnte eben durchaus auch einerseits sagen, wir nehmen jetzt Flüchtlinge auf, wir sind bereit, signalisieren an Herrn Brahimi, sein Ergebnis hinterher zu unterstützen durch eine eventuelle Blauhelmmission. Man wird noch mal mehr Druck ausüben auf die Russen, auch vielleicht dort Sanktionen gegen einzelne Personen, von denen man weiß, dass sie Waffen liefern an die Syrer. Warum macht man keine Sanktionen gegen diese Personen. Das ist natürlich etwas politisch heikler, aber wahrscheinlich wäre es effektiver, wenn man deren Konten einfrieren würde. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie man noch Druck ausüben kann, die ich mir zumindest in so einer schlimmen Situation vor Ort es wünschen würde.

Brink: Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Schönen Dank für das Gespräch!

Brantner: Ich bedanke mich!

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