Grüne: Sen soll erneut zu Völkermord an Armeniern Stellung nehmen

Moderation: Joachim Scholl · 13.03.2006
Die nordrhein-westfälischen Grünen fordern von dem Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, Faruk Sen, eine Stellungnahme zu dessen umstrittenen Äußerungen zum Mord an den Armeniern Anfang des 20. Jahrhunderts. Sens kategorische Ablehnung des Begriffs Völkermord würde in keiner Weise die aktuelle Debatte wiedergeben, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Monika Düker, im Deutschlandradio Kultur.
Scholl: In der vergangenen Woche hat Faruk Sen hier im Radiofeuilleton für einen Paukenschlag gesorgt, er sagte in einem Interview: der Massenmord an den Armeniern 1915/1916 sei kein "Völkermord" gewesen - damit stellt er sich gegen die gesamte Phalanx internationaler Wissenschaftler, sowie gegen die Beschlüsse des Europäischen Parlaments und der Vereinten Nationen. Ich bin jetzt verbunden mit Monika Düker, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, guten Morgen!

Düker: Ja, schönen guten Morgen.

Scholl: Frau Düker, ist diese Position von Faruk Sen für Sie haltbar?

Düker: Also ehrlich gesagt hat mich dieses Interview von Faruk Sen doch sehr irritiert, um es mal vorsichtig auszudrücken. Es geht - um das auch noch mal ganz klar zu sagen - es geht nicht darum, die Aufarbeitung von Geschichte der Türkei hier in Deutschland in einer Stellvertreterdebatte zu führen. Das muss in der Türkei passieren. Das gehört auch dahin und ich frage mich, ob diese Äußerungen dann so hilfreich sind, wenn man sieht, dass es in der Türkei da ja durchaus Ansätze gibt, über eine Historikerkommission, über Kongresse, sich dieses Themas endlich einmal anzunehmen, weiß ich nicht - ob das sehr hilfreich ist, wenn Herr Sen aus Deutschland dazu solche Interpretationen von sich gibt.

Scholl: In diesem Interview hat Faruk Sen die Massaker klar beim Namen genannt, er hat sie wörtlich als "Armutszeugnis der osmanischen Geschichte" bezeichnet - dagegen diese hartnäckige Ablehnung des Völkermords. Also hier schwenkt Faruk Sen auf die offizielle Haltung der türkischen Regierung ein. Ist das für Sie eine Verharmlosung des historischen Sachverhalts?

Düker: Ich habe mir daraufhin einfach mal in meinem Bücherregal die neu rausgegebene Welt- und Kulturgeschichte der Zeit zur Hand genommen und da gehe ich mal davon aus, dass das auch seriöse Historiker sind, die da veröffentlichen, habe da mal unter Armenien, A wie Armenien nachgeschaut, und da wird sehr selbstverständlich von Deportationen und Völkermord gesprochen, wie das ja wohl auch die Mehrheit der Historiker tun. Insofern kann man es nur so interpretieren, dass dieser Definitionenstreit sage ich mal - denn es geht nicht um den Sachverhalt, den hat Herr Sen ja sehr klar benannt, sondern dieser Definitionenstreit, dann wiederum so ein Zurückweichen auch vor dieser Debatte in der Türkei ist, wo der türkische Staat sich ja sehr schwer mit dieser Aufarbeitung tut.

Scholl: Faruk Sen stellt sich mit dieser Aussage ja gegen die gesamte Phalanx internationaler Wissenschaftler, aber auch gegen die Beschlüsse des Europäischen Parlaments und der Vereinten Nationen. Allerdings beruft er sich in dem Interview mit DeutschlandRadio Kultur auch auf die Bundestagsresolution vom 16. Juli vergangenen Jahres zum Mord an den Armeniern. In dieser Resolution fällt das Wort Völkermord nur ein einiges Mal und zwar in dieser Formulierung, ich zitiere: "Zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen bezeichnet die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord." Das ist also eigentlich im Grunde nur eine wiedergegebene Meinung, aber keine Feststellung. Warum eigentlich war man in dieser Bundestagsresolution so zögerlich?

Düker: Also ich bin jetzt keine Bundestagsabgeordnete, sondern hier für Migrationpolitik in Nordrhein-Westfalen zuständig, aber die Diplomatie, es war sicher der Diplomatie geschuldet und ich finde das eigentlich auch nachvollziehbar, dass man jetzt schaut, was kann diesen Prozess, der in der Türkei stattfinden muss, der Aufarbeitung und ich sage dazu Völkermord, und Deportationen, ethnische Säuberung, die ja gezielt und systematisch vollzogen wurden, wie man das in der Türkei … endlich diese Blockade auflöst, dass dann auch mal wieder die Beziehungen mit Armenien normalisiert werden. Was hilft dem und was schadet dem. Und so wie ich es verstehe, ist es in der Türkei eine Debatte und sie fängt an und sie muss unterstützt werden und die Frage ist, ob man jetzt mit diesen Beschuldigungen und einer weiteren Polarisierung das stützt oder nicht stützt.

Von daher ist die diplomatische Sprache des Antrages klar in der Sache, vermeidet den Begriff, findet man in der Begründung, ist wahrscheinlich geschuldet der Diplomatie, dass man sich eher mit dieser Sprache den Prozess in der Türkei stützen will, als dass man ihm schaden will. Das ist eine Gradwanderung, das muss man ganz klar so sehen, dass wir hier in Deutschland sehr vorsichtig sein müssen, hier eine Stellvertreterdebatte zu führen, die aus meiner Sicht nicht hierhin gehört, sondern in die Türkei selber.

Scholl: Wir sprechen mit Monika Düker von den Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen über die Frage: Die Massaker an den Armeniern, Völkermord oder nicht? Aufgeworfen hat diese Frage Professor Faruk Sen hier im DeutschlandRadio Kultur. Ebenfalls hier im Radiofeuilleton hat Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung gesagt, eine solche Aussage wie die von Faruk Sen sei keine Wissenschaft, nur politische Propaganda und müsste von den Trägern des Zentrums für Türkeistudien darauf überprüft werden. Das Zentrum ist seit 2002 auch Stiftung des Landes Nordrhein-Westfalen, bezieht von dort einen Teil seiner Finanzierung. Frau Düker, muss man diese politische Aussage auf politische Konsequenzen hin überprüfen?

Düker: Ich erwarte da schon eine Stellungnahme von Herr Sen dazu, in welcher, warum und wieso er solche Interviews von sich gibt. Er wäre gut beraten, sage ich mal vorsichtig, zu diesem Interview doch noch mal eine Stellungnahme abzugeben und sich da zu erklären, weil in dieser kategorischen Ablehnung, wie er ja sagt, Völkermord stimmt nicht, gibt das ja überhaupt nicht die Debatte wieder, die gerade stattfindet und von daher wäre er gut beraten, dazu noch einmal Stellung zu nehmen und ob er sich da in seinen Äußerungen nicht verrannt hat, sollte er doch noch mal überlegen aus meiner Sicht.

Scholl: Wie ist Ihrer Meinung nach von öffentlicher Seite mit diesem Komplex umzugehen? Wir haben am 18. März diesen ominösen Marsch auf Berlin, initiiert von nationalistischen Türken, die sich auch die so genannte Genozidlüge auf die Fahnen schreiben. Sollte man nicht auch von politischer Seite endlich mal klar Stellung beziehen?

Düker: Ja, klar Stellung beziehen ist das eine, das andere ist, dass man die Kräfte in der Türkei, die ja diese Debatte wollen, die diese Aufarbeitung der Geschichte angehen wollen, die mit Historikern darüber diskutieren wollen, die in den Schulbüchern auch die Geschichte anders dargestellt wissen wollen, die das Verhältnis zu Armenien normalisieren wollen, dieses Kräfte in der Türkei sollte man stärken. Und die Frage ist, wie stärkt man sie? Klare Stellungnahmen sind das eine, eine Unterstützung auch hinsichtlich jetzt diplomatischer Art sind das andere. Also von daher, mir geht es darum diese Entwicklung in der Türkei, das müssen wir doch im Auge behalten, es geht nicht drum, dass wir hier in Deutschland irgendeine Stellvertreterdebatte führen. Wie stützen wir diese Kräfte, wie bringen wir auch in der Türkei diese Kräfte dazu, dass endlich diese Historikerkommission oder dieser Kongress, der ja geplant ist, dass das endlich auch stattfindet, dass man darüber redet, nicht über Schuldzuweisung, dass das eine Land an das andere Land gibt, ich glaube, das hilft nicht weiter, sondern es geht darum, dass in der Türkei eine Debatte stattfindet, die diesen Teil der Geschichte beleuchtet und aufarbeitet.

Düker: Monika Düker im Gespräch mit DeutschlandRadio Kultur, sie ist die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen.
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