Grossprojekte

Öffentliche Debatten statt schnelle Deals mit Investoren

Moderation: Korbinian Frenzel · 05.02.2014
Städte sollten im öffentlichen Raum Platz für die Vorstellungen ihrer Bewohner lassen – auch, wenn es sich dabei um unangepasste Projekte wie die 'Rote Flora' in Hamburg handelt, findet Klaus Selle, Professor für Stadtentwicklung in Aachen. Sonst entstünden schnell Irritationen und Wut.
Korbinian Frenzel: Vor Weihnachten ging es heiß her in Hamburg. Demonstrationen, Hunderte Verletzte und viel Unmut auf allen Seiten. Die Rote Flora hatte all das ausgelöst, ein besetztes ehemaliges Theater, das geräumt werden soll, weil der Besitzer, ein Investor, das tun will, was Investoren tun – investieren. Die Stadt Hamburg hat dem Mann angeboten, die Rote Flora zurückzukaufen. Das Angebot schlägt Klaus-Martin Kretschmer aber aus, das ist jetzt wohl endgültig klar, und damit landet die Geschichte vor Gericht, die Geschichte der Roten Flora, die uns Axel Schröder kurz vorstellt.
Beitrag: Die "Rote Flora" in Hamburg; Beitrag von Axel Schröder
Müssen Städte diesen Raum bieten? Diese Frage stellt sich in Hamburg, aber sie stellt sich natürlich auch anderswo. Wem gehört der öffentliche Raum? In Berlin gibt es Debatten, in Stuttgart, in vielen deutschen Städten. Und da schließt sich dann immer an, wie kriegen wir es hin, dass Planungen nicht an den Menschen vorbeigehen. Am Telefon ist ein Mann, der sich von Berufs wegen genau damit befasst, Klaus Selle, Professor für Stadtplanung an der RWTH Aachen. Einen schönen guten Morgen!
Klaus Selle: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Selle, müssen Städte Platz haben, wie wir es gerade gehört haben, Platz lassen für solche Szenen wie die um die Rote Flora in Hamburg?
Metropolen brauchen Spielräume jenseits des Mainstream
Selle: Ja, eindeutig. Also gerade Städte wie Hamburg, die auf ihr Weltstadtniveau großen Wert legen, die brauchen so etwas, was abweicht vom Mainstream, eine andere Kultur. Das ist eindeutig so, solche Spielräume müssen erhalten bleiben.
Nun ist die Geschichte der Roten Flora sehr verwickelt und über viele inzwischen ja schon Jahrzehnte schieben sich da die Beteiligten die Schwarzen Peter hin und her. Aber der Anfang dieser Geschichte, der ist, glaube ich, sehr typisch für vieles von dem, was Sie gerade angesprochen haben. Dass da ein damals ein Musicalproduzent herkam und sagte, ich will da einen Musicalpalast bauen, und das über die Köpfe der Menschen in dem Quartier hinweg, was dann viel Verunsicherung, viele Ängste ausgelöst hat. Und wo immer dies passiert, also wo immer in den Städten über die Köpfe der Menschen hinweg geplant wird, entsteht sehr schnell Irritation und dann auch wohl man gelegentlich Wut.
Frenzel: Ist das der Grund, warum es immer wieder knallt, weil über die Köpfe der Menschen hinweg geplant wurde?
Selle: Ganz genau. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat 2010, als das Wort Wutbürger aufkam, gesagt, dieses Wort steht für die Erregung, die die Menschen fasst, wenn über ihre Köpfe hinweg geplant wird. Also genau das ist der Hintergrund dafür, warum sich vielfach Konflikte zuspitzen, weil man vorher nicht den Eindruck hatte, beteiligt worden zu sein.
Frenzel: Aber die Frage ist natürlich, warum diese Konflikte erst auch entstehen, warum Planungen so entstehen. Ist es immer das Geld, das dahintersteht, Investoreninteressen, Profitinteressen?
Selle: Das wäre zu schwarz-weiß. Es ist auch oft, sagen wir mal, die Absicht der Politik, mit den wesentlichen Entscheidern in der privaten Wirtschaft, den Grundeigentümern sehr schnell wichtige Deals zu machen, damit die Stadt weiterkommt. Die haben möglicherweise auch nur Gutes im Sinn, aber das geht an der Stadtgesellschaft vorbei. Und deswegen sind alle gut beraten, die heute Projekte wirklich sagen wir mal im Konsens mit der Stadt auch durchführen wollen, das sehr frühzeitig in die Öffentlichkeit zu geben und gemeinsam dann auch zu erörtern, warum man das eigentlich braucht.
Frenzel: Wie sortiert man denn dann, wer recht hat? Da gibt es natürlich immer erst man so einen kleinen Sympathievorsprung, den wir haben für die Robin Hoods, für die Besetzer und andere Protestler, aber die Frage ist ja schon da: Haben die eigentlich die größere Legitimation, zu sagen, das ist unser Land, das ist unsere Fläche in der Stadt, als zum Beispiel ein Investor, der ja immerhin dafür bezahlt hat auch?
Mit transparenten Interessen zu gemeinsamen Lösungen kommen
Selle: Das ist eine sehr wichtige Frage, weil es natürlich immer sehr verschiedene Interessen gibt, und es ist die Frage nach dem Gewicht dieser Interessen. Aber vorher muss ja mal zunächst klar gemacht werden, welche Interessen sind überhaupt im Spiel. Und das ist oft der Punkt, wo es schon scheitert, wo also nicht klar gemacht wird, es sind diese Interessen im Spiel. Und wenn man sie dann öffentlich gegeneinander setzt und sagt, lasst uns mal gemeinsam reden, dann lassen sich oft auch mit denen, die jetzt zunächst unvereinbare Interessen zu haben scheinen, Dinge zusammen entwickeln. Da habe ich schon viele Prozesse erlebt, in denen das, wenn man das wirklich offen, mit dem klaren Bekenntnis zu einer auch transparenten Durchführung dieses Entscheidungsprozesses beginnt, dass man da auch zu Lösungen kommt, die nicht nur in dem Schwarz-Weiß von mächtigen Interessen und schwachen Interessen enden.
Frenzel: Aber jetzt mal Hand aufs Herz: Wenn wir starke Bürgerbeteiligung haben, kriegt man dann Großprojekt überhaupt noch hin, oder tendiert der Wutbürger nicht dazu, es alles klein und gemütlich zu lassen, so wie er es kennt?
Selle: Ich glaube, nur dann bekommen wir sie hin. Also nur dann, wenn wir sehr frühzeitig auch deutlich machen, wozu etwa eine neue Bahnlinie notwendig ist, wem sie nutzt und wem vor allen Dingen auch nicht, welchen Schaden sie erzeugt – dann erst können wir wirklich davon ausgehen, dass wir die Menschen mitnehmen. Wenn man das lange im stillen Kämmerlein vor sich hin plant und dann damit rausgeht und sagt, wir haben was Tolles für euch, dann wird es jedes Mal Ärger geben.
Frenzel: Das sagt Klaus Selle, Professor für Stadtentwicklung an der RWTH Aachen, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Selle: Ich danke auch!
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