Großes Kino - k(l)eine Kunst?

Von Jochen Stöckmann · 15.04.2010
Die Unternehmerstochter Julia Stoschek sammelt Videokunst und zeigt sie für gewöhnlich in einem eigens ausgebauten Fabrikgebäude in Düsseldorf. Nun präsentiert sie ihre Sammlung erstmals außerhalb des Stammhauses, sozusagen eine Bewährungsprobe in einer ganz normalen Kunsthalle.
Der träge dahinfließende Rhein auf einem Farbfoto von Andreas Gursky. Zwei aufgeregte Rhesusäffchen, die Christoph Schlingensief für seinen "Affenführer"-Film in Hitlerjugend-Uniform vor den Porträts von Honecker, Hitler und Stalin über einen Schreibtisch hüpfen lässt. Außerdem klassische Video-Skulpturen von Martha Rosler: fünf Monitore auf weißen Säulen, über die Frauenporträts flimmern.

Wie bringt Dirk Luckow, Intendant der Hamburger Deichtorhallen, diese Arbeiten der Julia Stoschek Collection zusammen? Mit Überschriften, Schlagzeilen wie "Befragung der Wirklichkeit in der Fotografie", "Makabres Spiel" oder "Body Art und Feminismus":

"Wir haben sechs solcher Themen als gedankliche Stütze für den Besucher. Aber es ist natürlich so, dass man von Werk zu Werk taumelt und jeweils wieder völlig neu gefangen genommen wird. Es ist ja nicht so, dass man an ein Thema denkt und geht zu Björk rein und dann denkt man immer noch an das Thema, sondern da wird man erst einmal erschlagen von den Bildern, von den Bildwelten, die einen da ganz in Bann ziehen."

Bei Björk wird es ernst, kündigt sich die unter Videokünstlern verbreitete Überwältigungsstrategie mit den auf futuristischen Kinosesseln bereitliegenden 3-D-Brillen an: Die Popsängerin stapft, begleitet von einer Yak-Herde, durch einen gewaltig rauschenden Gebirgsbach. Das hat wenig Gehalt, aber Größe - und kam deshalb aus der Düsseldorfer Stoschek-Sammlung nach Hamburg:

"Bei mir ist es natürlich viel, viel kleiner zu Hause. Ich habe nicht diese Deckenhöhe, ich habe nicht diese Dimension. Und es begeistert mich einfach wahnsinnig, dass ich die Arbeiten hier so monumental sehen kann."

Als Sammlerin musste Julia Stoschek einsehen: Überhöhung hat Methode, etwa bei Douglas Gordon. Mittlerweile selbst eine Art Altmeister, paraphrasiert er den "Empire"-Film von Andy Warhol, der seine Kamera 1964 acht Stunden lang auf das New Yorker Empire State Building richtete. Gordon belässt es bei zwei Stunden, bringt aber durch hohe Auflösung und Großformat die Wolkenkratzerspitze zum Zittern - wenn man lange genug hinschaut. Gleich drei Monate dauert das "Empire" von Paul Pfeiffer, der eins zu eins den Bau eines Wespennests dokumentiert hat.

"Videokunst ist anstrengend, das ist ganz klar. Ich mag das auch nicht, wenn ich mich durch black boxes winden muss, an Vorhängen vorbei und in dunklen Räumen sitzen muss. Ich glaube, wir haben das hier geschafft, wirklich einen sehr schönen Parcours zu generieren, der die Synästhetik, die ja dieses Medium mitbringt, dass man es zum einen sehen kann, hören kann, aber eben auch den ganzen Raum als solchen erfahren kann - ich glaube, das haben wir geschafft hier sehr gut umzusetzen."

Teilweise stammen die Installationen aus der Düsseldorfer Sammlung, die derzeit für einen Zyklus von 28 Live-Performances leergeräumt wurde. Da gibt es das raffinierte Rundumkino mit Discokugel für Robert Boyds zeithistorische Stakkato-Montage "Xanadu", einen Sperrholzcontainer, in dem Mike Rottenbergs polternder Slapstick "Tropical Breeze Project" gezeigt wird und gleich mehrere Leinwand-Triptychen, diese neuerdings in der Videokunst so beliebten Raumteiler:

Julia Stoschek: "Das Thema Raum ist eine Sache, die mich sehr fasziniert und interessiert, das sieht man an den ganzen Installationen hier. Ich bin aber auch ein Bauchmensch und ein sehr emotionaler Mensch, ich bin ein Augenmensch. Ich versuche einfach, mir ganz viel anzuschauen und viel zu sehen und meine eigenen Augen zu schulen. Und ebenso meine eigenen Werke zu finden."

Auf die Sammlerin und ihren subjektiven Geschmack scheinen die Arbeiten im Entree zu verweisen: ein Spiegellabyrinth von Jeppe Hein und ein Fotoporträt, mit dem Thomas Ruff Julia Stoschek sehr glatt und sehr gefällig in Szene gesetzt hat. Aber derartige Eitelkeiten spielen keine Rolle, betont Dirk Luckow als Kurator der Hamburger Schau:

"Wenn man spürt, dass es nicht um das Prestige geht, sondern dass es um eine Suche nach Sinn geht, um des Pudels Kern. Auf der Suche nach einer Grammatik - wenn man nur genug Wörter und Buchstaben zusammenhält."

Damit aber tun sich die Videokünstler zunehmend schwer: Boyds "Xanadu" etwa ist eine Aneinanderreihung von Bilderfetzen, von Momenten blutiger Demonstrationen, militärischer Gewalt und hohler staatsmännischer Gesten - keine durchdachte Montage. Und "I want to see how You see", die titelgebende Arbeit von Pipilotti Rist schwelgt so sehr in psychedelischen Farbräuschen und verfließenden Formen, dass darüber jeder Sinn abhanden kommt:

Dirk Luckow: "Die Kunstgattung hat sich extrem weiterentwickelt, auch die Technik. Wenn ich an Isaac Julien denke, das ist ein 16-Millimeter-Film, der auf DVD übertragen nun als Drei-Kanal-Videoinstallation hier zu sehen ist - und einen geradezu umhaut, wenn man dort hineingeht. Also, das sind absolute Kinodimensionen."

Aber auch künstliche Paradiese und aseptische Traumwelten, keine neuen Raumerfahrungen: eine schwarze, kahlköpfige Schönheit bewegt sich bei Isaac Julien über den mit dekorativen Eiskristallen ausgestatteten Gletscherstrand, eine Möwe fliegt in Zeitlupe durch die bläulichen Schwaden des arktischen Wasserfalls. Derart fugenlose Erhabenheit treibt den Betrachter zu den Anfängen zurück, schlichten Schwarz-Weiß-Videos über die Performances von Marina Abramovic oder Gordon Matta-Clarks "Conical intersect", entstanden während der Abrissarbeiten an Pariser Mietshäusern, die 1975 dem Centre Pompidou weichen mussten.

Und mit diesem retrospektiven Zeitsprung demonstriert die Stoschek-Sammlung am Ende nur, wie sehr die technische Entwicklung dem Entstehen einer bewusst experimentierenden Künstler-Avantgarde im Wege steht.

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