Griechenland

"In manchen Bereichen funktioniert überhaupt nichts"

Ein Obdachloser liegt auf seinem Schlafplatz auf dem Bürgersteig vor einer Filiale der Emporiki Bank in Athen
Grassierende Armut in Griechenland: ein Obdachloser in Athen. © picture alliance / dpa / Michael Anhaeuser
Unternehmer Athanasios Syrianos im Gespräch mit Nana Brink · 19.02.2015
Quo vadis, griechische Wirtschaft? Unternehmer wie der Brauereibesitzer Athanasios Syrianos sind besorgt angesichts der stockenden Verhandlungen zwischen der EU und der griechischen Regierung: Die Wirtschaft stehe am Abgrund, die grassierende Armut in der Bevölkerung führe direkt in eine "humanitäre Katastrophe".
Nana Brink: Post aus Athen wird heute in Brüssel erwartet. Hoffentlich haben sie da die richtige Briefmarke draufgeklebt! Heute will die griechische Regierung einen Antrag auf Verlängerung der Finanzhilfen stellen. Sie erinnern sich, das hatten sie am Montag beim Treffen der Euro-Finanzminister ja vehement abgelehnt, weshalb diese dem Land ein Ultimatum gestellt hat bis Freitag, und das ist ja bekanntlich morgen. Nun also soll es doch einen Antrag geben, den die Syriza-Regierung in Athen natürlich nicht als Verlängerung verstanden wissen will, inklusive der Sparauflagen, auf die die Euro-Staaten drängen, sondern sie wird es wahrscheinlich als Kreditprogramm verkaufen wollen. Was wir davon zu halten haben, überhaupt vom Auftreten der neuen Regierung in Athen, das will ich jetzt wissen von dem griechischen Unternehmer und Brauereibesitzer Athanasios Syrianos. Guten Morgen, Herr Syrianos, nach Athen!
Athanasios Syrianos: Guten Morgen aus Athen!
Brink: Sind Sie beruhigt, weil die Post vielleicht in Brüssel ankommt und die Pleite abgewendet wird?
Syrianos: Wir sind beunruhigt, aber nicht so besorgt, dass wir den Glauben verlieren, dass wir im Euro-Land bleiben.
Brink: Als Geschäftsmann, wie beurteilen Sie denn das Auftreten der neuen griechischen Regierung in Europa?
Syrianos: Es ist fulminant, aber die neue Regierung hat neue Akzente setzen wollen. Das berührt natürlich die Herzen der Griechen. Die Begegnung der humanitären Katastrophe ist ein wichtiges Thema, die Eindämmung der Korruption, auch das effiziente Eintreiben der Steuern, was sie letztendlich auch von den geschickten Steuervermeidern in Griechenland durchsetzen wollen, wie die Verfolgung vom Kartell und dergleichen. Und nicht zuletzt das Versprechen der Wiederbelebung der Wirtschaft durch eine Verlagerung der Politik vom Sparen hin zum Wachstum ist schon ein Thema, was nicht unbedingt nur das Wählerpotenzial der Syriza-Wähler berührt.
Brink: Nun ist das die Meinung, die in Griechenland herrscht. Aber wie sehen Sie das Auftreten denn in Europa, also, wenn es um die Verhandlungen zum Beispiel in Brüssel geht, denken wir an den Montag und den Auftreten des Finanzministers!
Syrianos: Gut, das Auftreten ist, glaube ich, etwas ungeschickt gewesen insofern, als die Vorbereitungen vielleicht nicht so ganz trefflich waren. Aber die Regierung hat ja keine Zeit gehabt, letztendlich diese Themen so zu bearbeiten, wie es notwendig wäre. Und vielleicht ist auch die Frist zu kurz gesetzt worden, um so wichtige Themen in der Politik auszuarbeiten. Das heißt, man ist direkt vom Wahlgang in die dicken Verhandlungen gekommen. Und ich glaube, da ist auch der Druck geschickt von den Europäern ausgeübt worden, um die Regierung vielleicht vor vollendete Tatsachen zu setzen.
Die vorherige Regierung hätte längst handeln müssen
Brink: Aber war es nicht ein bisschen ungeschickt, solche Forderungen zu stellen, ohne Gegenleistung zu bieten? Also, wie geht Ihnen das, wenn Sie Geschäfte machen und einen Geschäftspartner haben ...
Syrianos: Das ist richtig, was Sie sagen, aber das ist keine geschäftliche Verhandlung, sondern es geht wirklich hier um eine ganze Regierung und ein ganzes Volk, was von der vorherigen Regierung ja immer zu hören bekommen hat, dass die Troika irgendwelche Maßnahmen in gedrungener Weise der griechischen Regierung aufgezwungen hat, was die griechische Regierung ja nicht unbedingt hätte haben wollen. Und ich glaube, was wir im Moment sehen, ist auch eine Reaktion darauf. Denn hätte man ein eigenes Programm oder es so empfunden, dann wäre auch das Wahlergebnis nicht so gekommen. Also, ich mache nicht nur den Vorwurf dieser Regierung, sondern auch der vorherigen, die ja etwas ungeschickt mit dem Programm umgegangen ist.
Brink: Aber ist es nicht unverantwortlich, den Ast dann abzusägen, auf dem man sitzt, auch ein ganzes Volk sitzt?
Syrianos: Ja, warten wir doch erst mal ab! Ich glaube nicht, dass sie den Ast wirklich absägen. Es ist schon grenzwertig, aber ich glaube nicht, dass letztendlich eine Europäische Union nicht über die Stoßdämpfer verfügt, um auch so etwas abfangen zu können.
Brink: Sie drücken sich sehr diplomatisch aus Ihrer eigenen Regierung gegenüber. Wir wissen ja noch nicht wirklich, was in dem Antrag steht, das wird ja erst morgen wahrscheinlich bekannt werden, morgen wird dann weiter verhandelt. Wenn wir die Szenarien durchspielen, die ja immer an der Wand stehen: Fürchten Sie denn die Pleite? Was würde das für Sie als Unternehmer bedeuten?
Syrianos: Ja, das wäre natürlich katastrophal. Wir sind ja mitten in einem großen Investitionsprogramm als Unternehmen, wir glauben an die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens und auch der griechischen Wirtschaft. Ich meine, in der deutschen Öffentlichkeit wurde versäumt zu sehen, dass das Programm, was durchgeführt worden ist, nicht so erfolgreich war. Also, das ist die halbe Wahrheit.
Wir haben ein Programm durchgeführt, aber wenn Sie sich die Ziele und die Planzahlen, die Ziele des Programms gegenüber den tatsächlich erreichten Zahlen vom Bruttosozialprodukt, von Arbeitslosigkeit, von Exportquote, von Staatshaushaltsdefizit, von Schuldenquote zum Bruttosozialprodukt und so was sehen, dann werden Sie große Abweichungen feststellen. Das heißt, das, was vorher auf Papier geschrieben worden ist mit dem ersten und zweiten Memorandum, werden Sie durchaus feststellen, dass es nicht erreicht worden ist.
Das heißt, zwischen Plan, Programm und Realität ist eine Abweichung gekommen, und diese Abweichung – sie war ja konstant gesteuert auch von der Troika, es gab ja drei Monatsanpassungsprogramme – ist ein Diskussionspunkt, das darf man nicht verkennen!
Dramatische Kinderarmut
Brink: Fürchtet denn die Mehrzahl der Griechen die Pleite auch? Wie erleben Sie das in der Geschäftswelt?
Syrianos: Nein, ich glaube das nicht so. Ich glaube, die Griechen haben ja nicht gewählt, dass wir aus dem Euro austreten und dass wir letztendlich Europa den Rücken kehren, wohin denn sonst. Sondern das Volk will, vor allem die in Armut lebenden Bevölkerungsschichten wollen schon eine Aussicht sehen. Denn man beurteilt Arbeitslosigkeit ja unterschiedlich. In Griechenland haben wir eine Arbeitslosigkeit von über 26, 27 Prozent. Von diesen Menschen bekommen ja nur zehn Prozent ein Arbeitslosengeld, alle andern haben überhaupt keine sozialen Netze, die die stützen können.
Das heißt, wir haben eine Katastrophe bei den Kindern. Wir haben ja 600.000, 700.000 Kinder, die in Armut leben, und davon 300.000, wo kein Elternteil irgendwas verdient. Und diesen Problemen muss begegnet werden. Das hat ja Vorrang vor allen volkswirtschaftlichen Kennzahlen, das ist ja eine Kriegssituation hier! Es funktioniert in manchen Bereichen überhaupt nichts!
Athanasios Syrianos, Inhaber einer Brauerei und Vize-Präsident der Deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in der Sendung "Maybrit Illner" im ZDF
Athanasios Syrianos ist Inhaber einer Brauerei und Vize-Präsident der Deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer© imago / Metodi Popow
Brink: Also ist dann die Gefahr der Radikalisierung groß, fürchten Sie das?
Syrianos: Ich fürchte das, und das glaube ich ... Man darf das ja nicht anders sehen, dass die Ränder ... Und Syriza ist vielleicht nicht ganz am Rand, aber wir haben den rechten und linken Rand, wo die Radikalisierung vielleicht so zunehmen könnte, dass wir Situationen erleben, die noch schwieriger zu behandeln sein werden als die jetzige!
Brink: Wenn Sie jetzt einen Ausblick wagen – das müssen Sie als Unternehmer ja auch immer tun, um Prognosen auch für Geschäft zu machen –, wie geht das jetzt aus? Wird man eine Einigung erreichen?
Syrianos: Wir werden eine Einigung erreichen, das wird ein ... ja, ein Juniorpartner sein, der eine große, steile Lernkurve hat. Sie haben eine reine Weste, die Leute, die hier jetzt sind, und werden wahrscheinlich das Steuerproblem etwas geschickter angehen als die vorherigen Regierungen. Und das große Thema und Dilemma wird sein, dass wir eine Verzögerung des Wachstumsparts haben, der ja schon vorher durchaus zaghaft da war. Also, Griechenland hat ja im vergangenen Quartal ein Wachstum erzielt, und jetzt wird durch die Wandlungen der Politik und durch die Maßnahmen, die ergriffen werden oder zu ergreifen sein werden, eine Verzögerung des Wachstums ... Das heißt, wir haben eine Verlängerung jetzt unserer Krisensituation und wir kommen nicht so seicht heraus.
Die Erfahrung fehlt
Brink: Das heißt, Sie müssen eigentlich schneller reagieren?
Syrianos: Die Regierung hätte schneller reagieren müssen. Aber ich glaube, die politische Situation ist nicht derart, dass die Menschen, die im Moment an der Regierung sind, über die Erfahrung verfügen, das auch durchzuführen.
Brink: Also Learning by Doing! Der griechische Brauereiunternehmer Athanasios Syrianos aus Athen, danke für Ihre Zeit und das Gespräch!
Syrianos: Danke aus Athen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema