Grenzen und Chancen der Überwachungstechnik

Digitale Augen

Am einem ehemaligen Dienstgebäude der Deutschen Bundesbank in Dresden (Sachsen) sind am 18.05.2015 zwei Kameras zur Video- Überwachung zu sehen.
Wie weit darf Video-Überwachung gehen? © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Elmar Krämer · 07.12.2017
Überwachungskameras sind immer häufiger im Alltag anzutreffen. Auf Flughäfen und Bahnstationen, großen Plätzen und Einrichtungen gehören sie dazu. Aber wie sieht es dabei mit den Persönlichkeitsrechten im öffentlichen Raum aus?
Weiße Kästen an Häuserwänden, kleine Glaskuppeln an Decken in Flughäfen, Supermärkten, Bahnhöfen, in Bussen und Bahnen, in Industrieanlagen, Sportarenen, Shopping-Malls – wer darauf achtet, sieht sie immer häufiger überall im Stadtbild: Überwachungskameras.
Die Technik? Immer ausgefeilter. Die Bilder? Immer besser. Gestochen scharf, oft in HD.
Und man kennt sie, die Bilder, die die Überwachungstechnik liefert. Ständig sieht man sie im Internet, in der Zeitung und im Fernsehen. Die Strafverfolgungsbehörden setzen auf die digitalen Augen.
Der Fall des sog. U-Bahntreters, der im Oktober 2016 auf einem Berliner Bahnhof eine junge Frau eine Treppe hinuntertrat und schwer verletzte, sorgte für Aufsehen nicht nur in Berlin und in Deutschland. Dass der Täter auf den Bildern einer Überwachungskamera eindeutig identifizierbar war, war mit ausschlaggebend für einen schnellen Fahndungserfolg.
Auf Seiten der Befürworter sorgen derartige Vorfälle für Forderungen nach mehr, besserer und innovativer Überwachungstechnik. Die Deutsche Bahn setzt ebenso wie die regionalen Verkehrsbetriebe auf Videoüberwachung.
Nach Angaben der Berliner Verkehrsbetriebe BVG würden 80% der Fahrgäste deren Einsatz befürworten. Entsprechend wird im öffentlichen Nahverkehr in Berlin aufgerüstet, sagt Petra Reetz, die Pressesprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe BVG. Depots, Busse, Bahnen, Bahnhöfe – Kameras sind fast allgegenwärtig.

Polizei fragt häufig nach Aufnahmen

Mit zunehmender Verbesserung der Bildqualität und der Ausweitung des Überwachungsbereichs ist auch das Interesse der Polizei an den Aufnahmen gestiegen.
Petra Reetz: "2008 hatten wir noch so im Schnitt 200-300 Nachfragen von der Polizei, jetzt haben wir 5000-7000. Wir können immer genauer sehen und das hilft im Zweifel auch den Kollegen von der Polizei."
Dem Sicherheitsbericht der BVG zufolge sollen bis Ende des Jahres 2018 48,2 Millionen Euro in den Ausbau mit moderner Videoüberwachungstechnik investiert werden. Um die Bahnhöfe der Hauptstadt flächendeckend zu erfassen, sollen dann alle 25-30 Meter Kameras installiert sein.
Unstrittig ist, dass die Bilder aus Überwachungskameras bei der Aufklärung von Straftaten helfen können. Aber sorgen sie für mehr Sicherheit?
An diesem Punkt entbrennt immer wieder die Diskussion zwischen Befürwortern und Kritikern, denn eine Kamera kann einen Vorgang grundsätzlich nur beobachten, direkt eingreifen kann sie nicht.
Benjamin Kees: "Was aber immer wieder erzählt wird ist, dass Videoüberwachung als Sicherheitsmechanismus eigesetzt wird, also dass tatsächlich die Sicherheit an diesem Ort verbessert wird und das ist überhaupt nicht der Fall."
Sagt Benjamin Kees, Autor des Buchs "Algorithmisches Panopticon – Identifikation gesellschaftlicher Probleme automatisierter Videoüberwachung".

Es gibt keinen Beweis für mehr Sicherheit durch Videoüberwachung

Benjamin Kees: "Es gibt absolut keine Beweise, seit Jahren, seit Jahrzehnten, seit wir Videoüberwachung haben, dass Videoüberwachung tatsächlich mehr Sicherheit schafft und das liegt an dem einfachen Mechanismus, dass diejenigen, die Vandalismus betreiben, die planen die Kameras halt ein und vermummen sich irgendwie, diejenigen, die gewalttätig sind, also Menschen irgendwie die Treppe herunterstoßen oder Leute angreifen, denen ist die Kamera erst mal egal und diejenigen, die irgendwas Kriminelles machen, die planen die Kameras eben auch ein.
Eigentlich ist jedes Video, was wir in den Medien sehen, was eben eine Gewalttat zeigt auf dem Video, ist ja eigentlich ein Beweis dafür, dass es eben nicht funktioniert. Und tatsächlich gibt es keine Studie, die beweist, dass signifikant die Gewalt abnimmt und die Sicherheit zunimmt."
Der Informatiker Benjamin Kees beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem technisch Machbaren der Videoüberwachung und der Frage nach den Auswirkungen auf das soziale Gefüge. Er ist Mitglied im "Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung". Besonders skeptisch ist er, wenn Computer nicht nur Bilder aufnehmen, sondern sie auch analysieren und bewerten.
Um schnell auf eine Gefahrensituation reagieren zu können, müssten die Überwachungsbilder in Echtzeit gesichtet werden – und Personal in Reichweite sein um ggf. eingreifen zu können. Da das in den seltensten Fällen möglich ist, wird der Ruf nach technischen Lösungen laut. Einfach "nur" scharfe Bilder, die bei der Aufklärung einer Straftat helfen können, reichen vielen Befürwortern der Überwachungstechnik nicht aus.
Fünf Videokameras hängen in Duisburg an einem Laternenpfahl.
Fünf Videokameras hängen in Duisburg an einem Laternenpfahl.© pa/dpa/Weihrauch

Vision Pre-Criming

Aktuelle Smartphones können aufgenommene Portraits bestimmten Personen zuordnen und in individuellen Ordner speichern. Da liegt es auf der Hand, dass ähnliche Methoden auch für die Überwachung eigesetzt werden.
Die Vision: Systeme, die in Datenbanken gespeicherte Straftäter erkennen und melden. Mehr noch: Die Vision, Straftaten schon im Vorfeld kommen zu sehen, in dem ein sogenanntes "auffälliges Verhalten" angezeigt wird. Straftäter sollen auf Schritt und Tritt kontrolliert werden können, in der Annahme, mehr Sicherheit durch mehr Technik zu erreichen. Vieles, was vor einigen Jahren noch Vision der Science-Fiction war, rückt immer näher an den tatsächlichen Alltag.
Überwachungsanlagen und ihre technischen Möglichkeiten werden zunehmen. Je nach Einsatzbereich werden neben Kontroll- und Sicherheitsaspekten auch andere Interessen eine Rolle bei der Auswertung der gesammelten Daten spielen. In Einkaufszentren z.B. werden schon jetzt auch in Deutschland Kundenströme beobachtet, um beispielsweise Werbung zu platzieren. Darüber wollten sich die Betreiber aber vor dem Mikrofon nicht äußern.
Wohin all die Technik im Extremfall führen kann, zeigt beispielsweise der Blick nach China, wo Gesichts- und Verhaltenserkennung an der Tagesordnung sind und nicht nur als Identitätskontrolle eingesetzt werden. Benjamin Kees spricht von einer Art gesellschaftlichen Persönlichkeitsrankings, einem "Social-Score" mit direkten Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen.
Science-Fiction, mag man in unseren Breiten denken – doch das war die Gesichtserkennung auch einmal. Und so stehen sie sich nach wie vor gegenüber: Die Kritiker und die Befürworter der Überwachungstechnik. Sicherheit oder Scheinsicherheit, gesellschaftlicher Nutzen oder Geldverschwendung – eine politische Herausforderung in jedem Fall.
Mehr zum Thema