Grenze der Belastungen für Griechenland ist "schon überschritten"

Moderation: Jörg Degenhardt · 08.01.2013
Die griechische Wirtschaft muss stärker durch Investitionen gefördert werden, meint Martin Knapp, Leiter des Projekts Eurozone des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Er kritisierte, Deutschland sei zu oft mit einem "belehrenden Ton" Griechenland gegenüber aufgetreten.
Jörg Degenhardt: Reden wir doch mal - reden wir doch mal über Griechenland. Das Land meldet bescheidene Fortschritte in der Haushaltssanierung, aber trotz aller Minierfolge, Ministerpräsident Samaras hat die griechische Bevölkerung zum Jahreswechsel auf ein weiteres entbehrungsreiches Jahr eingestellt. Heute trifft er in Berlin die Kanzlerin zu einem Meinungsaustausch - das dürfte ganz nach dem Geschmack des Bundespräsidenten sein, denn Gauck findet es gut, wenn jetzt wieder mehr mit- als übereinander gesprochen wird.

Wir wollen jetzt sprechen mit Martin Knapp, "Merkels bester Mann in Griechenland", schrieb der "Tagesspiegel" einmal, Martin Knapp von der Deutschen Industrie- und Handelskammer, früher Leiter der Deutsch-Griechischen Handelskammer, und in dieser Eigenschaft haben wir ihn ja schon häufiger befragen können. Jetzt leitet er das Projekt Eurozone. Guten Morgen, Herr Knapp!

Martin Knapp: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Samaras wird heute der Kanzlerin bestimmt von Fortschritten erzählen wollen, die sein Land gemacht hat, um aus der Krise zu kommen. Welche sehen Sie da?

Knapp: Nun, es gibt auf jeden Fall Fortschritte. Es gab ja noch wieder eine lange Hängepartie um die letzte Rate der Hilfsgelder aus dem großen Paket. Im Rahmen dieser Geschichte sind ja ein gewaltiges Bündel von Maßnahmen beschlossen worden, die jetzt greifen, die sehr hart sind für die Bevölkerung, die aber auf jeden Fall dazu beitragen werden, die großen Löcher im Staatshaushalt zu stopfen. Und wie Sie schon sagten, es gibt da ja auch erste Erfolge.

Degenhardt: Hätten Sie mehr erwartet in der Kürze der Zeit oder war das, was jetzt erreicht wurde, das Optimale?

Knapp: Ach, das ist schwer zu sagen, aber es bringt auch nicht viel, darüber jetzt nachzudenken, denn wir müssen ja nach vorne schauen, und da ist es natürlich ganz, ganz wichtig, dass jetzt das Thema der griechischen Realwirtschaft, also der produzierenden Wirtschaft, wieder stärker in den Mittelpunkt der Diskussion rückt, denn das ist ja die Existenzgrundlage der griechischen Nation, und das muss sie auch in Zukunft bleiben. Deshalb müssen wir viel und alles tun, um diese Realwirtschaft in dem Land und in anderen Krisenländern zu erhalten.

Degenhardt: Das heißt, der Blick auf die Realwirtschaft, der ist in der Vergangenheit vernachlässigt worden?

Knapp: Natürlich haben wir sehr viel über den Staatshaushalt gesprochen, das war ja auch richtig so. Man hat natürlich auch viel über die Banken und deren Rettung gesprochen, das ist alles wichtig, aber das Thema der Realwirtschaft darf dabei nicht zu kurz kommen, denn es gibt ja auch in fünf und in zehn Jahren noch Griechenland, und da ist diese Wirtschaft natürlich notwendig, das versteht, glaube ich, jeder, und daran muss man von Zeit zu Zeit mal wieder erinnern.

Degenhardt: Was heißt denn das genau, zum Beispiel auch die griechische Wirtschaft attraktiver zu machen für Investitionen aus Deutschland?

Knapp: Das ist das eine, ob diese Investitionen aus Deutschland kommen oder sonst woher, ist nebensächlich. Es geht ganz stark auch darum, dass die griechischen Unternehmer selber wieder Vertrauen haben in ihre eigene Tätigkeit und ihre eigene Zukunft, und auch wieder bereit sind, in die bestehenden griechischen Unternehmen zu investieren. Das ist so auf kurze und mittlere Sicht erst mal das Allerwichtigste, denn der massive Abbau von Arbeitsplätzen muss gestoppt werden.

Degenhardt: Was haben denn die Griechen überhaupt deutschen Firmen, zumal dem Mittelstand, derzeit überhaupt anzubieten?

Knapp: Nun, das ist ähnlich wie auch in anderen Ländern. Wir haben hier eine sehr gut ausgebildete Bevölkerung eigentlich. Die Griechen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr viel Geld investiert in die Ausbildung ihrer Kinder, nur wird dieses Potenzial heute nicht genutzt. Einer der Gründe war natürlich, dass das Investitionsklima, also das Umfeld, nicht ideal war, vor allen Dingen die Bürokratie hat gestört, und da gibt es doch jetzt Schritte hin zur Verbesserung, und ich glaube, das wird sich auch auszahlen, nur das dauert, ja. Neue Investitionen brauchen Zeit, bis sie wirklich für die Volkswirtschaft etwas bringen.

Degenhardt: Das neue Jahr wird für die Menschen in Griechenland nicht leichter, ich habe das schon eingangs zitiert, diesen Satz von Samaras, der heute ins Bundeskanzleramt kommt. Wenn ich mir vorstelle, dass im ständigen Kampf gegen den drohenden Staatsbankrott die Obdachlosen in Griechenland sogar eine Einkommensteuer entrichten müssen, und in Kürze wird es dazu noch eine Steuerreform geben, die das Parlament verabschiedet, das bringt mich natürlich auf die Frage, was man den Griechen überhaupt noch an weiteren Härten zumuten kann, zumuten darf?

Knapp: Ja, da ist sicher eine Grenze erreicht oder auch schon überschritten. Natürlich ist das auch ein Armutszeugnis für Europa, wenn ganze Bevölkerungen in Europa verarmen. Heute wird in Brüssel der Armutsbericht vorgestellt, und da wird natürlich - da kann man wohl von ausgehen - sehr viel auch die Rede sein von der neuen Armut in den Ländern, die jetzt ganz besonders von der Eurokrise betroffen sind.

Degenhardt: Sie kennen das Land sehr gut, Sie haben viele Jahre, Jahrzehnte in Griechenland gelebt. Könnte es sein, dass vor dem Hintergrund dieser sozialen Härten auch die Lage in Griechenland außer Kontrolle geraten könnte, dass extreme Kräfte von links oder von rechts die Oberhand gewinnen?

Knapp: Wir haben ja schon eine Radikalisierung, die sich schon im Sommer in den Wahlen niedergeschlagen hat. Etwa die Hälfte der Bevölkerung hat radikale Parteien von links und rechts gewählt, das ist eine ernste Gefahr. Und ich glaube, das hat man auch in Brüssel inzwischen erkannt.

Degenhardt: Bundespräsident Gauck meinte gestern beim Besuch des griechischen Präsidenten Karolos Papoulias in Berlin - ich habe es eingangs auch schon erwähnt -, jetzt werde wieder mehr miteinander als übereinander gesprochen. Sind die Deutschen aus Ihrer Sicht, Herr Knapp, sind die Deutschen gegenüber Athen zu oft mit dem erhobenen Zeigefinger aufgetreten?

Knapp: Ja, da war oft doch ein etwas belehrender Ton zu spüren, das ist übrigens sehr charakteristisch, dass über, ja, in den ersten zwei Jahren der Krise die Politik in Berlin und Paris ungefähr die gleiche war gegenüber Griechenland, nur die Beliebtheitswerte der Franzosen waren viel, viel größer - höher als die der Deutschen. Irgendwie hat man es in Paris doch mehr drauf, solche Dinge diplomatischer auszudrücken und ein wenig angenehmer zu verpacken.

Degenhardt: Wenn Sie von einem belehrenden Ton sprechen, wen konkret meinen Sie denn da?

Knapp: Gut, es hat immer wieder Politiker gegeben, die ja dann irgendwie von Exempel statuieren und von solchen Dingen sprachen. Das geht natürlich nicht im internationalen Verkehr, denn auch Griechen sind gleichberechtigte europäische Unionsbürger, wie jeder Deutsche auch, wie auch die deutschen Politiker. Und niemand kann dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die Gebietskörperschaft, der er angehört, überschuldet ist. Es gibt auch in Deutschland Bundesländer, die sehr große Schulden haben, und deshalb sind die Bewohner dieser Bundesländer nicht Deutsche zweiter Klasse.

Degenhardt: Wagen Sie zum Schluss eine Prognose, wie wird sich Griechenland 2013, Herr Knapp, entwickeln? Ist das Schlimmste überstanden?

Knapp: Für die Bevölkerung noch nicht. Wir müssen unterscheiden zwischen den Statistiken, die vielleicht irgendwann mal wieder besser aussehen und vielleicht auch wieder stimmig werden, und der Lage der Bevölkerung. Und für die Bevölkerung sieht es noch sehr, sehr schlecht aus, und da ist noch sehr viel zu tun, damit eben auf dem Wege über die Stützung der Realwirtschaft die Bevölkerung wieder ihr Auskommen hat. Das ist eine ganz, ganz wichtige Aufgabe für uns alle.

Degenhardt: Martin Knapp war das von der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Vielen Dank für das Gespräch und dass Sie bei uns zu Gast im Studio waren.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr zum Thema:

Griechenland friert
Im Krisenwinter müssen viele Haushalte an der Heizung sparen (DLF)
Mehr zum Thema