Greifvögel

Jagen ohne Gewehr

Ein Falkner mit einem Habicht bei der Beizjagd
Ein Falkner mit einem Habicht bei der "Beizjagd", der Jagd mithilfe eines Greifvogels. © dpa picture alliance / Rainer Weisflog
Von Patrick Hoffmann · 29.11.2014
Kaninchen schaden den Bäumen und Sträuchern in städtischen Parks, deshalb werden sie gejagt. Aber nicht mit dem Gewehr, sondern auf eine Weise, die bereits über 4000 Jahre alt ist: mit Greifvögeln wie dem Habicht.
"Ja, Guten Tag, Kuno Seitz, ich bin einer der Falkner, die die Genehmigung im Tiergarten haben, Kaninchen zu beizen, und wollte sagen, dass ich jetzt losgehe."
Mitte November, morgens an der John-Foster-Dulles-Allee vor dem Haus der Kulturen der Welt. Nach der Anmeldung auf dem zuständigen Polizeirevier holt Kuno Seitz seinen Vogel aus dem Auto. Neugierig bleibt ein früher Spaziergänger stehen.
"Guten Tag."
"Guten Tag."
"Was ist das jetzt?"
"Das ist ein Habicht."
"Ein Habicht. Mit der typischen Kennzeichnung vorne?"
"Ja, die Jungen sind ja längst gefleckt. Und das ist die typische Sperberung beim Habicht."
"Die Reaktion der Leute ist in aller Regel positiv. Die sind erstmal von dem Vogel fasziniert. Und wenn man ihnen dann sagt, dass man hier Kaninchen jagt, weil die zu schaden gehen, dann ist das eigentlich nie ein Problem."
Vogel des Jahres
Seitz befestigt einen Peilsender am Fuß des Habichts.
"Hier ist alles noch voll belaubt. Da hat man natürlich große Schwierigkeiten, den zu finden. Weil der Vogel ja nicht apportiert. Der schlägt und bleibt dann an Ort und Stelle. Und dann ist so ein Peilsender natürlich unheimlich nützlich. Der hat Glöckchen dran. Die heißen bei uns bells. Die sind eben auch dafür da, dass wir ihn lokalisieren können. Und außerdem sind die insofern wichtig, wenn der Vogel mal irgendwo anders hinfliegt, dann erkennt ihn jeder als Beizvogel."
Gerade wurde der Habicht vom Naturschutzbund zum Vogel des Jahres 2015 gewählt. Dabei ist sein Bestand gar nicht gefährdet.
"Es gibt eine massive illegale Verfolgung durch Geflügelzüchter, durch Taubenzüchter, die dem Habicht natürlich sehr gram sind, wenn er ihre Lieblinge fängt. Und da hoffen wir, dass da vielleicht ein bisschen das Verständnis für den Habicht geweckt wird."
Hand und Unterarm geschützt durch einen dicken Lederhandschuh, trägt der Falkner seinen Habicht auf der Faust. Der krumme Schnabel ist nur eine Handbreit entfernt von der Wange.
"Hacken tun die Vögel eigentlich so gut wie nie. Die Habichte sind ja Grifftöter. Die erledigen alles mit den Fängen."
Im Park lässt der 66-Jährige seine Habicht-Dame Johanna in die Bäume fliegen. Sein Hund Kolja, ein Deutsch Langhaar, durchstöbert das Unterholz. Er soll die Kaninchen aufscheuchen, so dass der Habicht sie greifen kann.
"Also ich bin im Tiergarten seit knapp 20 Jahren. Immer mit dem Habicht. Um diese Jahreszeit, wo es auch lange dunkel ist, da sind die Kaninchen tagsüber meistens im Bau. Da läuft eins! Schade... Das ist einer der beliebten Tricks. Die laufen im Kreis herum, dann verliert der Vogel die Luft unter den Schwingen und dann saust das Kaninchen davon."
"So bis Mitte der 90er Jahre brauchte man weder Hund noch Frettchen. Da waren so viele Kaninchen da, dass ständig welche draußen waren. Und dann gab's den großen Einbruch durch die sogenannte Chinaseuche, die die Kaninchen sehr stark dezimiert hat."
Trotzdem richten sie noch genügend Schaden an. Deshalb werden sie gejagt.
"Man sieht das dann deutlich, wenn der Winter kommt, wenn also die Nahrung knapp wird, dann fangen die an, die Bäume und die Sträucher zu schälen."
"Da oben sitzt sie. Ganz oben."
Seitz zeigt mit ausgestrecktem Arm auf die Habicht-Dame in einer Baumkrone.
"Da oben. Sie sieht deutlich mehr als wir. Und die sind ja auch gepolt auf kleinste Bewegungen."
"Er weiß, wie's geht!"
Aber auch die Kaninchen kennen ihren geflügelten Feind, verstecken sich oder und flüchten aufgescheucht ganz schnell wieder in die rettende Röhre eines Baus.
"Oh, da läuft eins. Schade. Da lief eins. Hat nicht reagiert. Tja."
"Mein Vogel ist zehn Jahre alt. Er hat dieses Jahr zwölf Karnickel gefangen, in dieser Saison. Er hat annähernd 300 Karnickel gefangen, der Vogel. Also eigentlich weiß er, wie's geht. Jetzt ist er interessiert. Er guckt immer, wo was ist."
Wir postieren uns an einem Flecken mit dichtem Schilf. Seitz kennt die Stelle.
"Such voran, Kolja! Schön, such voran! Irgendwas ist hier meistens drin."
Plötzlich bellt Kolja, springt ein Kaninchen aus dem Schilf. Johanna stößt blitzartig herab – und packt zu, krallt sich in das weiche, graue Fell, drückt das Kaninchen zu Boden. Aber das befreit sich, macht einen Satz nach vorn, läuft davon. Seitz flucht, während der Habicht mit kräftigen Flügelschlägen nachsetzt, das Kaninchen erreicht und es ein zweites Mal schlägt. Wie einen Mantel breitet der Vogel seine Schwingen um die nun reglose, stille Beute. Seitz eilt herbei und tötet das Kaninchen, indem er es unter dem Habicht an den Läufen auseinanderzieht und so die Wirbelsäule überstreckt.
"Weil er auch nicht richtig fassen konnte, durch das Schilf, ist es nochmal rausgekommen. Aber er hat gleich nachgesetzt. Und hat's dann wieder gehabt."
Johanna rupft schon fleißig das Fell des Kaninchens. Bevor sie anfängt zu fressen, schiebt ihr der Falkner ein anderes Stück Fleisch unter, drückt die Blase des Kaninchens aus und steckt es in die Tasche. Der Hund hält hechelnd Abstand.
Der Habicht schreit unwillig, als Kuno Seitz ihn auf seinen Handschuh zieht.
"So, ich werde den Vogel jetzt festmachen und sichern. Das hat er gut gemacht."
"Ich habe mir extra für diesen Anlass das Jagdsignal 'Kaninchen tot' als Klingelton auf mein Handy geladen. Waidmannsheil!"
"Waidmannsdank."
"Gut. Dankeschön."
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