Graphic Novel "Vaterland"

Vom Opfer zum Gewalttäter

Ausschnitt aus "Vaterland" von Nina Bunjevac
Ausschnitt aus "Vaterland" von Nina Bunjevac © © Nina Bunjevac/avant-verlag
Besprochen von Frank Meyer · 22.04.2015
In ihrer ersten Graphic Novel "Vaterland" erzählt die kanadisch-serbische Illustratorin Nina Bunjevac die Geschichte ihres Vaters Peter Bunjevac, der aus Jugoslawien floh und von Kanada aus Terrorakte gegen das Tito-Regime plante. Es ist eine Geschichte von Angst und Gewalt.
Am Abend schiebt die Mutter immer einen großen Schrank vor das Kinderzimmerfenster. Warum sie das tut, sagt sie ihren Kindern nicht. Auch als Leser erfährt man erst ganz am Ende des Buches von Nina Bunjevac, wovor diese Mutter solche Angst hat, dass sie jeden Abend Schränke verschiebt.
In ihrer ersten Graphic Novel "Vaterland" erzählt die kanadisch-serbische Illustratorin Nina Bunjevac die Geschichte ihrer Familie. Im Jahr 1974 flieht ihre Mutter mit der damals einjährigen Nina und ihrer nur wenig älteren Schwester aus Kanada. Sie flieht aus einer Ehe mit einem Trinker und Terroristen, Ninas Vater Peter Bunjevac. Er ist Serbe, im kanadischen Exil hat er sich einer antikommunistischen Terrororganisation angeschlossen, die das Tito-Regime in Jugoslawien durch Anschläge erschüttern will.
Die Bombe detoniert zu früh
Als Ninas Mutter ihren Mann verlässt und nach Jugoslawien geht, muss sie ihren Sohn bei ihm zurücklassen. Drei Jahre später ist Peter Bunjevac tot, er stirbt, weil eine Bombe zu früh detoniert, als er einen Anschlag auf das jugoslawische Konsulat in Toronto vorbereitet.
Nina Bunjevac hat ihren Vater nie kennengelernt und erst sehr viel später erfahren, wie er gestorben ist. Für ihr Buch hat sie sein Leben aus Gesprächen, Familienfotos und historischen Recherchen rekonstruiert.
Sie beschreibt in ihrem Buch einen Mann, für den schon als Kind "alles, was er je begriffen, gesehen und erfahren hatte, aus Angst und Gewalt entstanden war." Seine Eltern haben als Serben auf kroatischem Gebiet gelebt, im Zweiten Weltkrieg werden sie von der kroatisch-faschistischen Ustascha-Miliz verfolgt. Der Vater von Peter Bunjevac stirbt in einem Ustascha-Konzentrationslager, auch seine Mutter verliert er früh.
Nach 1945 gerät er selbst in die Machtkämpfe unter den jugoslawischen Kommunisten. Weil er auf der Seite der Unterlegenen steht, wird er zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis flieht er nach Kanada, im Exil schließt er sich radikalen serbischen Nationalisten an sich und wird selbst zu einem Gewalttäter.
Zwischen holzschnittartiger Härte und sozialistischem Realismus
Für diese in vielen Momenten sehr bittere Geschichte hat Nina Bunjevac einen ganz eigenen Zeichenstil gefunden. Ihre flächigen Schwarz-Weiß-Bilder changieren zwischen fotografischer Exaktheit, holzschnittartiger Härte und Zitaten aus dem sozialistischem Realismus.
Die Comiczeichnerin Nina Bunjevac
Die Comiczeichnerin Nina Bunjevac© ©David Hawe/ Avant-Verlag
Auf den ersten Blick wirken ihre statischen Figuren abweisend, bei näherem Hinsehen jedoch erkennt man viele feine Texturen der Haut, der Hintergründe, sogar des Himmels, ein Spiel von Mustern und Strukturen, das Personen miteinander verbindet und den Bildern eine überraschende Tiefe gibt.
Nina Bunjevac geht in immer weiter ausgreifenden Rückblenden der Geschichte ihres Vaters nach, sie erzählt von ihren Großeltern und Urgroßeltern, in einem historischen Exkurs zur Geschichte der Serben und Kroaten zeigt sie Schlaglichtern aus deren langer Konfliktgeschichte. All das verbindet Nina Bunjevac zu einer intensiven Suche nach den Ursachen der Gewalt im Leben ihres Vaters.

Nina Bunjevac: Vaterland. Eine Familiengeschichte zwischen Jugoslawien und Kanada
aus dem Englischen von Axel Halling
Avant-Verlag, Berlin 2015
156 Seiten, 24,95 EUR

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