Grand Dame des deutschen Tanztheaters

Von Christian Berndt · 27.07.2005
In den siebziger Jahren löste die Choreographin Pina Bausch mit ihrer ungewohnten Mischung aus Tanz und Theater noch Tumulte im Publikum aus. Doch bald wirkte ihr Wuppertaler Ensemble international stilbildend. In seinen besten Stücken zeigt es das präzise Abbild einer verunsicherten Gesellschaft.
" Frau schreit: "Take my hand, take my hand!" Sie wiederholt den Satz immer wieder, kreischt, wird mit Tomaten beworfen. "

Ist das Tanz? Diese Frage wird immer wieder gestellt, wenn es um Pina Bausch geht. In den Siebzigerjahren reagiert das ans klassische Ballett gewöhnte Publikum schockiert auf die Stücke der jungen Choreographin, die nicht weniger als eine Revolution auf der Bühne auslöst. Dabei will die hochbegabte Absolventin der Essener Folkwangschule, die nach einem zweijährigen New York Aufenthalt 1962 als Tänzerin im Folkwang-Ballett beginnt, ursprünglich gar keine Choreographin werden.

Pina Bausch: " Erst als ich aus Amerika zurückkam, und als da eigentlich ein sehr großer Leerlauf war, und ich mich unbefriedigt fühlte als Tänzerin. Und eigentlich aus so einer Frustration heraus habe ich gedacht, vielleicht versuche ich mal, was für mich selbst zu machen. Aber nicht um Choreographie zu machen, sondern weil ich tanzen wollte."

1973 erfolgt überraschend der Ruf zur Direktorin des Wuppertaler Balletts. Zunächst bewegt sich die junge Choreographin noch in traditionellen Bahnen, fällt aber durch bemerkenswerte Arbeiten auf. In ihrer Adaption von Stravinskys "Sacre du printemps" 1975 lässt sie die Tänzer bis zur realen Erschöpfung agieren, keuchend sich auf dem mit Torf belegten Bühnenboden wälzen, bis die nackten Oberkörper der Tänzer von Schweiß und Schmutz verklebt sind. Die Kritik ist von der sinnlichen Wucht des Stücks begeistert. Der große Durchbruch aber erfolgt 1976.

In Bertolt Brechts "Sieben Todsünden" lässt sie die Tänzer selbst singen und spielen und macht aus der Vorlage eine schräg-knallige Revue über die Geschlechterverhältnisse im Patriarchat. Publikum und Kritik reagieren verstört. Es gibt tumultartige Szenen im Zuschauerraum, Pina Bausch wird bespuckt und mit anonymen Anrufen terrorisiert. Doch andere reagieren enthusiastisch. Pina Bauschs Tanztheater ist bahnbrechend neu. Sie erzählt keine linearen Geschichten, sondern reiht montageartig Szenen rätselhaft und scheinbar ohne Sinn aneinander. Der Zuschauer bleibt seinen eigenen Assoziationen überlassen.

Pina Bausch: " Irgendwie kann man die Dinge ahnbar machen, aber nicht konkretisieren. Etwas, was man weiß und ahnt, aber es ist nicht fassbar. Und es ist uns allen bekannt. Es ist uns allen verwandt, über alle Grenzen. Und das ist das Phantastische, glaube ich."

Pina Bausch geht ihren Weg konsequent weiter und choreographiert hoch komplexe Stücke, in denen sie den Tanz immer weiter reduziert, bis er fast vollständig verschwindet. Doch ihre Sprache wird verstanden, das Wuppertaler Ensemble avanciert zum wichtigsten Tanztheater Deutschlands, wirkt aber nicht nur hier stilbildend. Seit den Achtzigerjahren arbeitet Pina Bauschs Kompanie fast ausschließlich in internationalen Koproduktionen, und ihre Kunst wird von China bis Süd-Amerika nachgeahmt.

Seit einigen Jahren wird wieder mehr getanzt bei Pina Bausch. Kritiker werfen ihr vor, der alte Furor sei verschwunden, und sie produziere nun hübsch anzuschauenden Hochglanz. Tatsächlich wirken die späteren Stücke in ihrer prallen Ästhetik mitunter arg gefällig, aber in der vordergründigen Fröhlichkeit zeigt sie präzise das Abbild einer verunsicherten Gesellschaft, die ihr Heil in illusionärer Verklärung sucht. Pina Bausch klagt nicht an, sie bildet ab, und hat damit eine zutiefst humanistische Kunst geschaffen.

Pina Bausch: " Kultur, was immer das auch ist, ob das durch den Tanz kommt oder durch die Musik kommt, für mich sind aber immer die Menschen das Wichtigste."