Graffiti-Künstler Markus Genesius

Keinen Bock mehr auf Bad-Boy-Image

Der Graffiti-Künstler Markus Genesius lehnt am 28.08.2015 mit einer Sprühdose in den Händen an einer Wand seines Ateliers in Bremen. Einige seiner Werke hängen als Entwürfe auf Leinwänden an den Wänden. Genesius gehört zu den etablierten Graffiti-Künstlern, die international im Einsatz sind. Sein Künstlername lautet wow123.
Der Graffiti-Künstler Markus Genesius in seinem Atelier in Bremen. © picture alliance / dpa / Ingo Wagner
Von Almuth Knigge · 15.11.2017
Wow123 nennt sich Markus Genesius als Graffiti-Künstler. In diesem Jahr feiert er sein 30-jähriges Sprayerjubiläum. Derzeit sind seine Werke in einer Ausstellung in seiner Heimatstadt Bremen zu sehen. Er hat auch einen Mäzen. Die Szene ist empört.
Morgens um 9 Uhr vor der städtischen Galerie Bremen. Diese Frage nervt!
"Was ist das denn für ein geiles Gefühl, wenn man früher noch so halblegal unterwegs war, jetzt hat man auf einmal einen Schlüssel für ´ne Galerie - ähm - ich weiß nicht, diese Frage wird so oft gestellt, mittlerweile ist das wie ein Sprung in der Platte!"
Autsch!
"Man hat sich als Künstler einfach verändert, und das gehört einfach dazu."

Einer der einflussreichsten Protagonisten der Szene

Erwachsen werden, so kann man das auch nennen. Aber die Frage nach Klischee, Vorurteil und Veränderung gehört einfach dazu. Bei jemandem wie WOW123, bürgerlich Markus Genesius, aus Bremen. Schließlich kokettiert ein großer Teil der Graffiti-Szene immer noch gerne mit seinem Bad-Boy-Image – und Markus Genesius ist einer der einflussreichsten, bekanntesten Protagonisten weltweit.
Angefangen hat er als Teenager. Mit der "Gestaltung" einer Bahnunterführung in den Ferien in Neustadt am Rübenberge. Da war er 13. Und auf der Suche nach Abenteuer, inklusiv Polizeikontakt und Geldstrafe. Spricht er nicht gerne drüber. Über seine Motivation schon.
"Ja natürlich, man will natürlich den urbanen Raum markieren, will das Stadtgebiet für sich einnehmen, man lernt ne Stadt auf ne ganz andere Art kennen, wenn man sich als Sprüher durch die Stadt bewegt, aber wie gesagt, die Ziele werden dann irgendwann verschoben."
Oder besser, die Grenzen werden verschoben.
"Für mich ist es jetzt nicht mehr so spannend, nachts im Gebüsch zu sitzen und zu warten, bis ich den nächsten Zug bemalen kann."

Den urbanen Raum aufmischen

Nächstes Jahr feiert Markus Genesius 30-jähriges Sprayerjubiläum. Sein Antrieb ist - purer Egoismus:
"Es ist ne komplette Form von Egoismus - man sucht sich ne zweite Identität, ein zweites Alter Ego sozusagen und zieht damit halt durch die Stadt und will aus dieser Anonymität hervortreten und zeigen, ich bin hier. Ich übernehme das Stadtbild."
Und dabei - das ist die Botschaft - Verwirrung stiften, den urbanen Raum aufmischen, nicht den Bürokraten und Stadtplanern allein überlassen.

Ein ganzes Buchstabenuniversum

"Genau, systematisch Verwirrung stiften und ne Buchstabenwelt zu kreieren. Jetzt haben sich die Themen verschoben, die Formate verschoben, und mittlerweile baue ich Skulpturen und es haben sich völlig neue Interessensgebiete aufgetan und ich denke, wenn man einfach weiterkommen will, dann gehört das dazu, sich zu verändern."
Am Anfang waren das bunte, poppige Buchstaben - ein ganzes Buchstabenuniversum, das Markus Genesius unter dem Künstlernamen BAD erschaffen hat.
"Bad, am Anfang mit A geschrieben, dann fand ich das 'e' als Buchstaben ästhetisch schöner."

Das Fernsehtestbild als Markenzeichen

Bis dann das Testbild kam – als Markenzeichen. Das Testbild – das früher, als es nur das öffentlich-rechtliche Fernsehen gab, das Nichts einläutete – kein Nachtprogramm – nur Leere.
"Und der Hintergrund hinter diesem Testbild und der heutigen Zeit ist, dass ich das spannend finde, dass es tatsächlich mal eine Ära gab, in der wir uns quasi auf uns selbst besinnen mussten."
Immer wieder nimmt er es künstlerisch auseinander und setzt es wieder zusammen. Auf seine Art.
"Es haben halt viele Angst vor dieser Leere und sind sich dessen gar nicht bewusst, dass man aus dieser Leere und dieser Langeweile heraus auch wieder kreativ werden kann."

Zu etabliert für die Kunsthochschule

Das scheint auch seinen Lebensweg zu prägen. WOW123 hat lange dafür gebraucht, neue Wege zu finden. Als er abgelehnt wurde, von der Kunsthochschule. Schon zu etabliert, war die Begründung der Aufnahmejury. Nicht mehr formbar. Zu sehr Grafitti. Dumm gelaufen. Es gab keinen Plan B.
"All I wanna do is paint."
Dann eben anders. Leinwand statt Fassade.
"Was mich halt irgendwie in eine andere Richtung auch katapultiert hat, war auch so ein bisschen, das Schmoren im eigenen Saft."

Eine andere Form von Politik

Also reist er durch die Welt, sucht Netzwerke, findet Partner, Mäzene, stellt aus. Probiert aus. Fotorealismus statt klassisches Stylewriting, so wie die New Yorker es vorgemacht haben. Einige sagen, er hat seine Message verloren. Wow sagt:
"Das kann man ja auch machen, indem man große Fassaden gestaltet. Das ist einfach ne andere Form von Politik. Ich sag mal, wenn man nach Russland reist und dort die Möglichkeit hat, so ein großes Fassadenbild zu machen, da kann man ja auch ne Message rüberbringen und kann auch sein Statement, ohne dass man das so ganz plakativ auf die Wand schreibt."
Klatsch. Gegenangriff - dabei wirkt er so in sich ruhend.
"Es sind, glaub ich, immer viele erschrocken, wie dogmatisch das dann doch innerhalb dieser Sprüherszene zugegangen ist."

Einer, der aus der Szene ausbricht

Die Szene ist empört. Einer, der ausbricht. Der was anderes machen will. Dabei wollten die Sprayer doch eigentlich Konventionen einreißen. Und haben selber ganz schnell welche aufgebaut. Einer, der jetzt Geld verdient, einen Mäzen hat in Marokko. Im Kunstmarkt abtaucht. Geht das? Das geht – mit ganz viel Trotz
"Ja, das würde ich sagen - also dagegen anstinken."
Und daraus was Neues machen. Mal drinnen auf der Leinwand. Mal draußen auf der Fassade.

DIALOG - Markus Genesius / Mirko Reisser - Long Distance - Ausstellung in der Städtischen Galerie Bremen noch bis 7. Januar 2018.

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