Gottfried Wilhelm Leibniz

Gelehrter Blick fürs Ganze

Norddeutschlands größter Computer HLRN-III steht in der Leibniz Universität in Hannover Niedersachsen.
Norddeutschlands größter Computer, der "HLRN-III", steht in der Leibniz Universität in Hannover. © picture alliance / dpa / Holger Hollemann
Von Alexander Budde  · 18.03.2015
Mit der Geschichte Hannovers als einstiges Zentrum europäischer Kultur und Politik verbindet sich die Biografie von Gottfried Wilhelm Leibniz. Er war ein Mann, der sich einmischte und etwas zu sagen hatte. Bis heute prägt er die Wissenschaft.
Gottfried Wilhelm Leibniz. Universell waren die Interessen des Gelehrten, der noch in seinem Todesjahr 1716 mit der Erklärung und Vermessung unserer Welt beschäftigt war. Er korrespondierte mit Jesuiten-Missionaren in China und legte zum Endzücken heutiger Informatiker das nur auf 0 und 1 basierende binäre Zahlensystem dar.
Leibniz' Briefwechsel mit Geistesgrößen in aller Welt gehören zum Weltdokumentenerbe der UNESCO – was die Preise für Schriftstücke aus der Hand des Gelehrten deutlich ansteigen ließ. Mit Hilfe des Kultusministeriums und der Stiftung Niedersachsen gelang es den Leibniz-Editoren bei einer Auktion 2013 in Berlin gleichwohl, eines noch unerforschten Briefes habhaft zu werden. An diesem Abend in der Neustädter Hofkirche liest Stephan Meier-Oeser daraus vor. Im Brief, so erläutert der Münsteraner Leibniz-Forscher dem verzückten Publikum, erkundigt sich der Gelehrte nach einem Perpetuum mobile.
Schriftliche Verhandlungen über das Orffyreische Rad
Stephan Meier-Oeser: "Herr Orifraeus soll seine Maschine zerstört haben, weil man eine Steuer darauf erhoben hat. Ist es nicht seltsam, dass man jemanden, der doch eine außerordentliche Entdeckung gemacht hat, nicht nur vernachlässigt, sondern auch noch schikaniert?"
Nach feiner Ironie klingen die Zeilen, die Leibniz am 29. Mai 1716 an den Hofrat Georg Enoch Buchta in Zeitz richtet. Sein Erfinderkollege Johann Bessler, besser bekannt unter dem Künstlernamen Orffyreus, hatte die Maschine konstruiert. Das gut drei Meter hoch aufragende Rad, das sich scheinbar wie von Zauberhand und ohne Unterlass drehte, war das große Faszinosum jener Zeit.
Das Orffyreische Rad würdigt Leibniz in seinen Briefen an Buchter gleichwohl als "eine der schönsten Erfindungen". Er hatte es 1715 persönlich inspiziert, eine penible Autopsie der Mechanik angeregt. Und war nach Erkenntnissen der Leibniz-Forscher sogar bemüht, im Versprechen auf eine stattliche Provision des Kollegen, Ausschau nach vermögenden Käufern zu halten.
Meier-Oeser: "Wir sind darüber informiert, dass Leibniz direkt oder indirekt mit einigen Potentaten der Zeit tatsächlich über dieses Orffyreische Rad schriftlich verhandelt hat. Er hatte dort intensiv seine Finger im Spiel."
Erkenntnisse für die heutige Computersprache
In den spärlichen Zeilen, die Leibniz nur wenige Wochen vor seinem Tod notierte, fragt er nach der überfälligen Edition der Schriften eines arabischen Geografen. Leibniz erwähnt auch den anstehenden Besuch des Zaren Peter I. in Lüneburg. Von geballter Aktivität im letzten Lebensjahr des Gelehrten berichtet Michael Kempe vom hannoverschen Leibniz-Archiv bei der Präsentation des Neuerwerbs.
Michael Kempe: "Er reist nach Bad Pyrmont, trifft dort den russischen Zaren. Es ging um die damals noch offene Frage, ob es eine Landverbindung gibt, zwischen Amerika und Asien. Auch hier hat Leibniz den Blick auf das Ganze gerichtet, wie in seiner Metaphysik auch hier in der Politik den ganzen Globus im Blick."
In diese Zeit fällt auch der berühmte Briefwechsel mit dem britischen Philosophen Samuel Clarke, indem es um die Newton-Kontroverse geht, die Frage nach der richtigen Vorstellung von Raum, Zeit, Gott und Schöpfung. Beim Vertrauten Buchter in Zeitz erkundigt sich Leibniz nach den jüngsten Umbauten und Optimierungen seiner Rechenmaschine. Der jüngst erworbene Brief aus dem Nachlass birgt auch die Erkenntnis, dass sich ein genialer Geist mit mannigfaltigen Interessen buchstäblich verzetteln kann. Leibniz-Forscher Kempe stellt fest ...
Kempe: "... dass mit dem Tod von Leibniz, dass dieser Traum der Allwissenheit, was durch die wissenschaftlichen Revolutionen des 17. Jahrhunderts angestoßen wurde, dieser Traum, alles zu wissen und dieses Wissen aus wenigen Prinzipien abzuleiten, der auch mit der Idee eines durchweg mechanisch organisierten Universums einher geht, dass diese Idee ein Stück weit mit Leibniz auch gestorben ist."
16.000 Schriftstücke umfasst allein der Briefwechsel. Jedes einzelne, sagt Editor Kempe, werfe mehr Fragen auf als es Antworten gibt.
Kempe: "Das betrifft vor allem stark den Bereich der Mathematik. Und hier ist möglicherweise in der Tat noch sehr Spannendes auch für die Weiterentwicklung der heutigen Computersprache zu erwarten."
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