"Google müsste wirklich mal aus der Deckung kommen"

Jörg Schieb im Gespräch mit Jürgen König · 05.09.2008
Google ist mittlerweile mehr als der Platzhirsch unter den Suchmaschinen. Das vor zehn Jahren gegründete Unternehmen bietet auch E-Mail-Dienste, Textverarbeitungsprogramme, Routenplaner und neuerdings auch einen eigenen Internetbrowser an. Bei allem speichert Google die Daten der Nutzer und niemand außerhalb des Unternehmens weiß, was damit geschieht.
Jürgen König: Seit zehn Jahren gibt es Google - eine einzigartige unternehmerische Erfolgsgeschichte. In kürzester Zeit ist es dem Unternehmen gelungen, sich in unserem Alltag und unserem Bewusstsein unentbehrlich zu machen. Wir denken und forschen mit Google, was Google nicht findet, existiert auch nicht. - Einer, der diese Entwicklung intensiv verfolgt hat, ist der Fachjournalist Jörg Schieb. Herr Schieb, guten Morgen!

Jörg Schieb: Guten Morgen, hallo!

König: An Warnungen vor dem datensammelnden Google-Giganten ist derzeit wahrlich kein Mangel. Beginnen wir aber doch zum Geburtstag mit dem zu Würdigenden, denn es wäre ja heuchlerisch nicht zuzugeben, dass Google unser Leben einfacher gemacht hat, bereichert hat. Sagen Sie uns, welche technischen Errungenschaften hat Google auf den Weg gebracht, wie hat Google unsere Art mit Informationen umzugehen verändert?

Schieb: Ich würde sagen, da kann man gar nicht so in einem Satz drauf antworten, weil Google in diesen zehn Jahren jede Menge neue Dinge erfunden hat. Die Suchmaschine ist natürlich das ganz Entscheidende. Nur Suchmaschinen gab es schon vorher. Allerdings, bevor Google auf den Markt getreten ist, auf den Markt erschienen ist, waren Suchmaschinen eher so händisch gepflegt, das heißt, da waren Redakteure, die haben die Webseiten sich angeschaut und haben die in Kategorien eingeordnet, auch wenn es sehr viele Redakteure waren, aber es war so quasi manuell. Und Google war so der erste Anbieter, der Roboter, so heißt das in der Fachsprache, programmiert hat, oder Spider oder so, quasi Spinnen, die durch Netz klettern und sich die Webseiten automatisch angucken, den Inhalt checken und dann diese Webseiten verschlagworten und miteinander verknüpfen und die Relevanz einer Webseite anhand der Dichte von Schlagwörtern auf einer Webseite dann festlegen. Und die Trefferquoten, die man hat, wenn man Stichwörter eingibt, wenn man nach etwas sucht, war von Anfang an bei Google derart überlegen im Vergleich zu anderen Suchmaschinen, dass Google aus dem Nichts wirklich einen ganz großen, es gab damals drei, vier wirklich gute Suchmaschinen, vorbeigezogen ist. Und das ist das Geheimnis. Die haben wirklich eine interessante Technologie auf den Markt gebracht und diese einfach bedienbar gemacht. Noch heute ist die Webseite von Google ja nicht vollgestopft mit Werbung, sondern sehr, sehr schlicht, während das bei Yahoo und anderen Anbietern ja vollgestopft ist mit Informationen. Das kann man bei Google auch haben, aber es ist erst mal schlicht und übersichtlich und man weiß, was man bekommt. Und deswegen hat das gut funktioniert.

König: Hunderttausende Server, haben wir eben gerade gehört, hat Google über den Planeten verteilt und es gilt immer noch als Geheimnis, wie dieses Computernetz tatsächlich funktioniert. Ist wirklich noch niemand je dahintergekommen?

Schieb: Außer die Mitarbeiter natürlich, aber die werden auch nicht wissen, wo die einzelnen Standorte auf der Welt verteilt überall sind. Man weiß noch nicht mal ganz genau, wie viele Server es sind. Das ändert sich natürlich auch jeden Tag, weil die Kapazitäten, der Bedarf bei Google mit jedem Tag wächst, eben weil die Zahl der Nutzer steil ansteigt, aber auch weil das Angebot, das, was Google alles neben der Suchmaschine anbietet, und dafür braucht man ja auch Computer, braucht man auch Server und Netzwerke, mit jedem Tag annimmt, zuwächst. Das heißt, jeden Tag kommen neue Rechner dazu und das wird Google sicher nicht verraten, denn dann wären sie ein ganz leichtes und schönes Ziel für Hacker und Angriffe und das wollen sie vermeiden. Google macht sowieso ganz gerne ein Geheimnis aus allem, was die Technologie und die Fahrpläne usw. anbelangt. Das konnte man auch diese Woche wieder sehr schön sehen, dass der Browser Google Chrome, an dem immerhin zwei Jahre entwickelt wurde, diese Woche rauskommt. Das war vorher in dem Sinne gar nicht angekündigt. Man hatte gemunkelt, aber keiner wusste es. Und plötzlich war er da.

König: Google dominiert den Internetmarkt. Zahllose Kundendaten werden akribisch auf den Festplatten von Google archiviert. Die Nutzerdaten werden bis zu 18 Monate lang gespeichert. Was macht Google mit den Daten dann?

Schieb: Jede Menge wird damit angestellt. In erster Linie allerdings muss man fairerweise sagen, erst mal im Interesse des Benutzers. Der Benutzer kann Servicefunktionen nutzen, die er gut finden kann und deswegen auch nutzen kann. Er kann sie aber auch nicht nutzen, dann muss er nur entsprechende Optionen abschalten. Ein schönes Beispiel ist vielleicht, wenn ich Google als Suchmaschine benutze und sage, ja, Google, du darfst mitprotokollieren, wonach ich suche, welche Schlagwörter ich eingebe, worauf ich geklickt habe, dann kann das ja praktisch sein, weil ich dann zum Beispiel heute gucken kann, wo ich vor einer Woche nach gesucht habe. Das hat man ja schon mal, dass man denkt, oh Gott, du hast doch eine Webseite dir angeguckt, die war interessant und man kommt auf den Namen nicht mehr. Und dann kann ich da im Archiv nachgucken. Das heißt, diese Daten sind gespeichert und wenn ich das weiß und das möchte, ist das gut. Aber diese Daten werden auch von vielen Benutzern gespeichert und sie wissen es gar nicht, weil sie die Funktionen nicht kennen und dann ist es bedenklich. Es wird oft gesagt, diese Daten werden zusammengetragen und dann missbraucht. Aber Google verschickt jetzt keine Newsletter, keine Werbung per E-Mail, wie das andere machen. Das machen sie nun wirklich nicht.

König: Aber im Google-Mail-Programm wird doch Werbung auch …

Schieb: Genau, aber das ist ja was anderes. Man bekommt die ja jetzt nicht zugeschickt per E-Mail, sondern das sind immer kontextsensitive Anzeigen.

König: Was heißt das?

Schieb: Kontextsensitiv, das heißt, dass die Anzeigen automatisch zu dem Inhalt des jeweiligen E-Mail-Newsletters oder der E-Mail passen oder zur Webseite passen, die ich mir gerade anschaue. Das ist ja auch so eine wichtige Technologie, die Google sehr gut beherrscht. Das heißt, Google muss gar nicht so viel von mir wissen, um die Anzeigen zu präsentieren, die da erscheinen, sondern es reicht, den Inhalt zu kennen. Jetzt kann man darüber streiten, ist es gut, möchte ich, dass Google meine E-Mails quasi durch einen Roboter checkt und durchliest, um mir die entsprechende Werbung zu präsentieren oder nicht. Aber ich bekomme ja auch was dafür, ich bekomme einen kostenlosen Mail-Dienst, und das muss jeder für sich entscheiden, ob er das möchte oder nicht.

König: Was glauben Sie denn, Herr Schieb, was Google über Sie weiß?

Schieb: Google weiß jede Menge über mich, das ist gar keine Frage, weil ich sehr Google-Dienste benutze. Wenn man all die Funktionen benutzt, die Google zur Verfügung stellt, da kommt ja einiges zusammen. Stellen Sie sich vor, Sie fangen Ihren Tag an, dass Sie die Google-Suchmaschine anwerfen und da Begriffe eingeben, dann weiß Google über die Jahre doch ziemlich genau, was Sie für Interessen haben. Sie benutzen die Online-Textverarbeitung, Ihre Texte zu schreiben, vielleicht die E-Mail-Software, um E-Mails auszutauschen, gucken noch in Google-Maps nach, wo Sie am Nachmittag essen gehen oder am Wochenende, in Urlaub fahren. All diese Informationen werden ja durchaus erfasst und gespeichert. Nur die Frage ist letztlich, was bleibt davon konkret gespeichert und wie setzt das Google zusammen. Und da setzt die Kritik wirklich auch vernünftigerweise an, weil Google nicht informiert, was ganz konkret über mich gespeichert wird und was mit diesen Informationen angestellt wird. Das ist wirklich so ein Graubereich, da kann man leider nur mutmaßen. Und da muss man sagen, müsste Google wirklich mal aus der Deckung kommen und ganz klar sagen aus Datenschutzinteresse, was mit diesen Daten passiert. Allzu viel scheint es im Augenblick noch nicht zu sein. Das Problem ist nur, die Daten sind definitiv vorhanden, sie sind gespeichert. Und selbst, wenn wir Google nicht unterstellen, dass sie damit was Böses anstellen wollen, ist ja immer noch die Gefahr, dass jemand sich da in die Systeme hackt und diese Daten zusammenträgt oder, sagen wir mal auch, die amerikanischen Behörden, Geheimdienste oder so darauf zugreifen könnten. Und das sind natürlich dann schon Aspekte, die man als Benutzer dann irgendwann nicht mehr so ganz so lustig findet, wenn da ein einzelner kommerzieller Betreiber all diese Daten sammelt.

König: In dieser Woche hat Google seinen eigenen Internetbrowser vorgestellt, Google Chrome, wird als Frontalangriff auf den Erzfeind Microsoft gewertet, ist ein großer Erfolg aus dem Nichts, kam Google Chrome unter die Top drei der meist verbreiteten Browser. Die Datenschützer sagen, wer die Nutzungsbedingungen von Google Chrome akzeptiere, gebe Google komplette Verfügungsgewalt über seine persönlichen Surfdaten. Stimmt das?

Schieb: Ja, das war wohl so. Denn die sogenannte Olda, so nennt sich das in dieser IT-, in dieser Computerwelt, das sind die Nutzungsbedingungen. Die sind fast immer in Englisch formuliert und die klickt man so weg bedenkenlos. Die haben in der Tat vorgesehen, dass die Daten erhoben und gespeichert werden dürfen. Das ist aber mittlerweile rückgängig gemacht worden. Google hat gesagt, das war ein Versehen. Wir wollten jetzt nicht wirklich ernsthaft die Surfdaten speichern, sondern wir haben da quasi Nutzungsbedingungen von einer Software, die wir verwenden, einfach übernommen. Das war ein Fehler, wollten wir nicht, ist direkt korrigiert worden und das stimmt auch. Diese Nutzungsbedingungen sind geändert worden. Es geht Google wirklich nicht da drum, jetzt jede Surfminute auszuleuchten, die ich da mit Google Chrome mache, sondern es geht denen erst mal darum, Marktanteile zu gewinnen. Und da würden denen solche skeptischen Argumente oder solche skeptischen Punkte durchaus im Weg stehen. Und deswegen haben sie es auch relativ schnell beseitigt.

König: Eine Maschine, die über das gesamte Wissen der Menschheit verfügt. Zehn Jahre Google. Ein Gespräch mit dem Journalisten Jörg Schieb. Vielen Dank!