Götz Aly zur Flüchtlingspolitik

Warum Paris, London und Rom schuld an der Krise sind

Ein Flüchtlingslager in Libyen
Ein Flüchtlingslager in Libyen - Archivbild © picture alliance / dpa / Simon Kremer
Moderation: Korbinian Frenzel · 24.07.2017
Der Historiker Götz Aly hat eine klare Meinung zur derzeitigen EU-Flüchtlingspolitik: desaströs. Denn diejenigen, die durch die Zerschlagung Libyens die Flüchtlingskatastrophe mit voran getrieben hätten, säßen in Frankreich, Großbritannien und Italien - und täten nichts, um die Lage zu verbessern.
Im Bundestags-Wahlkampf kommt niemand am Thema Flüchtlingspolitik vorbei. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fordert angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, Italien nicht alleine zu lassen. Andere EU-Staaten müssten Flüchtlinge aufnehmen. Deutschland allerdings habe bereits genug geleistet.

Götz Aly kann Schulz Äußerungen gar nichts abgewinnen: "Martin Schulz hat dazu nichts zu sagen." Bundeskanzlerin Angela Merkel stuft Aly als wesentlich zuverlässiger ein, demensprechend finde er die Bemerkung von Schulz, Merkels Verhalten in der Flüchtlingskrise sei zynisch, "völlig fehl am Platz".
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz spricht auf einer Bühne in ein Mikrofon.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz © dpa/Maurizio Gambarini

Zerschlagung Libyens ohne Konzept

Die Ursache für die derzeitige Situation liegt Aly zufolge in der Zerschlagung Libyens 2011 durch eine Koalition aus Frankreich, Großbritannien und Italien – ohne darüber nachgedacht zu haben, welches Chaos aus Stammeskriegen, radikalen Islamisten und "KZ-ähnlichen" Flüchtlingsauffanglagern daraus entstehen könnte.
"Diejenigen, die das voran getrieben haben, die sitzen in Paris, London und Rom und tun so, als wären sie es nicht gewesen."
Dass etwa Großbritannien sich komplett aus allem heraushalte, zeuge "von einer geschichtslosen Vergesslichkeit, die man zumindest öffentlich brandmarken kann, obwohl das keinen Zweck haben wird".

Bombenkriege etablieren keine Demokratien

Das System des Diktators Gaddafi sei selbstverständlich alles andere als schön gewesen – doch habe es zumindest einen Verhandlungspartner geboten:
"Immerhin war es ein funktionierender Staat. Die Frauen hatten dort mehr Rechte, als sie heute haben, das Gesundheitswesen, alles war organisiert, das Verkehrswesen, Infrastrukturen, das Öl und so weiter – das lief."
Der Historiker und Politikwissenschaftler Götz Aly
Der Historiker und Politikwissenschaftler Götz Aly© Deutschlandradio / Leila Knüppel
Im derzeitigen Chaos sei daran nicht zu denken. Es gebe nur noch einen vom Westen zerstörten, innerlich zerrissenen Staat. Auch den Franzosen müsse dies sehr wohl bewusst gewesen sein – denn bevor sie Libyen "zusammengebombt" hätten, sei Gaddafi noch in Paris zu Besuch gewesen, um über den Verkauf eines Atomkraftwerks nach Libyen zu verhandeln.
Der Westen müsse sich endlich von der Vorstellung verabschieden, mit einem Bombenkrieg lasse sich irgendwo eine funktionierende Demokratie herstellen.
"Menschen brauchen ein politisch-staatlich-rechtliches Gehäuse. Das ist nicht immer schön, aber es ist besser als Anarchie."

Die ganze Sendung mit Götz Aly:
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