Glühbirnen-Verbot als Eingriff in die Privatsphäre?

Stephan Grünewald im Gespräch mit André Hatting · 01.09.2011
Nach dem Verbot der 100-Watt-Glühbirnen nimmt die EU jetzt auch die 60-Watt-Leuchten vom Markt. Die Verbraucher empfinden das Verbot als Eingriff in die Privatsphäre, meint Stefan Grünewald, Geschäftsführer des Kölner Instituts "rheingold" für qualitative Markt- und Medienanalysen. Die Verbraucher hätten ein "sehr inniges Verhältnis" zur Glühbirne.
André Hatting: Uns geht ein Licht aus – ein weiteres. Nach dem Verbot der 100-Watt-Glühbirnen nimmt die EU jetzt auch die 60-Watt-Leuchten vom Markt. Ein weiterer Schatten auf die in der Marktwirtschaft viel gepriesene Konsumentenfreiheit. Viele Bürger sind darauf richtig sauer. Zu Recht? Darüber spreche ich jetzt mit Stephan Grünewald, er ist Geschäftsführer des Markt- und Medieninstituts rheingold in Köln. Guten Morgen, Herr Grünewald!

Stephan Grünewald: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Herr Grünewald, laut Emnid finden 79 Prozent der Deutschen die Abschaffung der 60-Watt-Birne richtig, gleichzeitig stürmen sie jetzt aber die Märkte und horten die letzten Wolframlampen. Sagen Sie, ist der deutsche Konsument schizophren?

Grünewald: Nein, er hat natürlich ein gewisses Umweltbewusstsein, er versucht, da politisch korrekt auch zu agieren, andererseits hat er ein sehr inniges Verhältnis zur Glühbirne, und das führt dazu, dass man dieses Verbot als massiven Eingriff in die privateste aller Sphären erachtet.

Hatting: Warum hat der Deutsche ein besonders inniges Verhältnis zur Glühbirne?

Grünewald: Ja, sagen wir mal nicht nur in der Genesis, in der Bibel, sondern auch in der privaten Schöpfungsgeschichte – der Beginn jedes Alltags fängt damit an, dass wir das Licht anmachen, das heißt, das ist unsere erste Berührung zur Wirklichkeit. Hier fühlen wir uns auch machtvoll, und dieses "Es werde Licht" ist für die Leute schon ein ganz, ganz wichtiger Akt, um in den Tag reinzukommen. Und hier unterscheidet sich schon die herkömmliche Glühbirne mit der Energiesparlampe: Die herkömmliche Glühbirne reagiert sofort, sie ist gehorsam, die Energiesparlampe lässt sich erst mal Zeit mit dem Lichtmachen. Da erlebt man sich mitunter als etwas ohnmächtig, das ist einer der Punkte, es gibt aber noch andere Punkte, die diese Intimität erklären können.

Hatting: Zum Beispiel?

Grünewald: Mit der Glühbirne verbindet man so eine private Intimsphäre, das heißt, sie hat ein warmes Licht, sie macht eine ganz andere Raumatmosphäre als die neue Energiesparlampe. Das hängt zum Teil damit auch zusammen, dass man mit der Energielampe sich so ein bisschen vom Lagerfeuer entfremdet hat. Das heißt, die Glühbirne mit dem Glühfaden, mit der Transparenz, die erinnert uns noch ein bisschen so daran, dass wir irgendwann in der früheren Zeit mal selber Feuer gemacht haben, das ist mit dieser mattierten, undurchsichtigen Lampe gar nicht mehr möglich. Und das führt natürlich zu diesem Gefühl, aha, hier ist ein Eingriff in meine Privatsphäre vorgenommen, es wird die äußere Umwelt gegen die eigene Umwelt quasi aufgerechnet.

Hatting: Ich nehme mal das auf, diesen Eingriff in die Privatsphäre. Sie haben jetzt psychologische Faktoren angesprochen, ich nenne mal einen weiteren, und der lautet Bevormundung. Ist das auch etwas, was die Deutschen besonders nervt in diesem Fall?

Grünewald: Ja, sie fühlen sich einerseits bevormundet von den Politikern, von den Bürokraten, andererseits fühlen sie sich auch vollkommen unverstanden, weil sie erleben das als vollkommen sinnloses Gebot, das bürokratisch formal durchgesetzt wird, das aber gar nicht Rücksicht nimmt auf ihre Lebensgewohnheiten, auf im Grunde genommen das, was ihnen wirklich lieb und teuer geworden ist.

Hatting: Wir haben ein ganz ähnliches Phänomen bei dem E10-Boykott, also diesem Biodiesel. Eigentlich ist ja jeder gegen den Klimawandel, und Biodiesel ist umweltfreundlicher als Normalsprit. So weit, so gut. Aber trotzdem tanken die Menschen E10 nicht. Warum?

Grünewald: Auch hier ist der psychologische Faktor gänzlich vernachlässigt worden. Allein wie man dieses neue Produkt schon genannt hat – E10 – klingt wie ein Magen-Darm-Virus, und da haben die Leute natürlich Bedenken, das in ihren Motor zu kippen. Sie fürchten quasi, wenn sie da Kolben, Maiskolben oder so reintun, die ja verarbeitet worden sind, dass es dann zum Kolbenfresser kommt. Das heißt, es sind bestimmte Sinnbilder, die eigentlich positiv kommuniziert werden müssten, die sind gänzlich außer Acht gelassen worden. Das haben wir in anderen politischen Feldern erlebt bei Hartz IV, jetzt bei E10, also vor allen Dingen diese seelenlosen Buchstaben- und Zahlenkombinationen, die führen nicht dazu, dass man begeistert einen neuen Sprit tankt.

Hatting: Das wäre also jetzt so eine Frage der Marketingtechnik. Wie wäre es denn, wenn man – gerade was jetzt Energiesparlampen betrifft oder auch meinetwegen E10 betrifft –, wie wäre es denn gewesen mit einer Verbraucherbeteiligung an den Produkten, dass man die sozusagen mit ins Boot genommen hätte? Hätte das was geändert Ihrer Meinung nach?

Grünewald: Das hätte was geändert, wenn man Verbraucher quasi, wie wir das bei rheingold machen, mal auf die Couch gelegt hätte. Dann hätte man verstanden, wo ihre Ängste, wo ihre Bedenken sind. Und das haben wir ja im Moment nicht nur bei E10, bei den Glühbirnen beziehungsweise Energiesparlampen, sondern das haben wir auch bei Stuttgart 21 erlebt: Wenn man die Bürger nicht beteiligt, wenn man nicht versucht zu verstehen, wo ihre Ängste, ihre Sehnsüchte sind, dann laufen diese ganzen Kampagnen meistens ins Leere.

Hatting: Was mich ein bisschen wundert, ist, wir erleben jetzt bei den Glühbirnen, dass die Hersteller von Energiesparlampen – nämlich Osram und Philipps – pünktlich zur Einführung beziehungsweise zur Abschaffung der Glühbirne, der 60-Watt-Birne, die Preise für die Energiesparlampen erhöhen. Und im Falle von E10, bei dem Biosprit erleben wir, dass die Tankstellen die Strafe auch an den Verbraucher weitergeben. Aber darüber scheinen die sich nicht so sehr aufzuregen.

Grünewald: Diese Aufregung wird auch artikuliert, das ist aber eine Aufregung, die nicht so in die Intimsphäre reinrückt. Das heißt, letztendlich erwartet man von der Industrie schon fast, dass man da in gewissem Sinne abgestraft wird, weil das so ökonomische Mechanismen sind, die greifen. Das ärgert natürlich, aber das überrascht nicht mehr.

Hatting: Und was könnten die Verbraucher da tun, was würden Sie erwarten, was wäre der richtige Weg, außer sich zu empören?

Grünewald: Was ja bei den Glühbirnen im Moment bereits läuft, ist so ein stiller Boykott über Hamsterkäufe. Ich denke es einmal, dieser Schwarzmarkt – kann man bei Licht eigentlich gar nicht sagen –, aber dieser zweite Lichtmarkt wird dann weiterlaufen. Es wird sicherlich auch daran gearbeitet werden, diese psychologischen Mängel der Energiesparlampe zu beheben, da ein anderes Lichtklima auch zu schaffen. Von daher werden sich die Verbraucher natürlich auf kurz oder lang auch an die neue Birne gewöhnen.

Hatting: Herr Grünewald, jetzt Hand aufs Herz: Haben Sie sich auch eingedeckt mit 60-Watt-Birnen?

Grünewald: Nein, ich hab das verpeilt, bin erst durch das Interview jetzt sensibilisiert worden, hab aber heute schon mal im Keller nachgeguckt und hab noch einen kleinen Vorrat.

Hatting: Na, dann man los, noch haben Sie ja Zeit. Über die Befindlichkeit deutscher Verbraucher sprach ich mit Stephan Grünewald, er ist Geschäftsführer des Kölner Instituts für Markt- und Medienforschung rheingold. Herr Grünewald, ich bedanke mich für das Gespräch!

Grünewald: Danke schön, Herr Hatting!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links bei dradio.de:

Das Ende der 60-Watt-Ära
Ab September verschwindet der Deutschen liebste Glühlampe
Mehr zum Thema