Gloser: "Schwarzer-Peter-Spiel" bei der Flüchtlingsproblematik

Günter Gloser im Gespräch mit Ute Welty · 14.03.2012
Der SPD-Außenpolitiker Günter Gloser bemängelt die fehlende europäische Solidarität mit jenen Ländern, die durch den Ansturm von Flüchtlingen überlastet seien, wie etwa Italien und Malta. Zudem müsse die EU ein "sehr korrektes Asylaufnahmeverfahren" gewährleisten.
Ute Welty: Die italienische Regierung tut sich schwer mit der europäischen Flüchtlingsfrage, mit der sich seit Jahren der SPD-Bundestagsabgeordnete Günter Gloser beschäftigt, unter anderem war er der zuständige Staatsminister unter Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Guten Morgen, Herr Gloser!

Günter Gloser: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Können Sie verstehen, dass Italien so zurückhaltend reagiert, und auch, dass sich dieses Land allein gelassen fühlt?

Gloser: Wenn wir sagen, es ist nur ein italienisches Problem, dann würde man den Italienern auch Unrecht tun, mal unabhängig von einzelnen Dingen, die gerade auch in dem Bericht geschildert worden sind. Ich glaube, wir haben hier oft auch in der Europäischen Union bei der Flüchtlingsproblematik ein Schwarzer-Peter-Spiel gemacht. Nach den Verträgen sozusagen ist das Land immer zuständig, wo die Flüchtlinge zuerst aufkommen. Und es ist natürlich klar – man braucht nur auf die Landkarte gucken –, welche Länder das auch sind, und so etwas wie eine europäische Solidarität, nämlich auch bei Ländern, die überbelastet sind, eben Solidarität zu zeigen, da weist die Europäische Union doch erhebliche Defizite auf.

Welty: Um dieses Defizit zu beheben, haben die Innenminister jetzt ein Ansiedlungsprogramm beschlossen. Kann das helfen, wenn es also 6000 Euro gibt aus einem europäischen Fonds pro aufgenommener Person?

Gloser: Ich glaube, das ist sicherlich ein Punkt, über den man diskutieren muss. Man muss die konkreten Umsetzungsschritte auch noch machen, aber ich glaube, allein wird das nicht ausreichen. Wir haben das doch in den letzten Monaten gesehen, auch aufgrund der Entwicklungen in Nordafrika. Die Europäische Union, und vor allem – muss ich sagen – nicht die Institutionen, sondern die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben ja wirklich ein schlechtes Beispiel abgegeben, das Hin und Her, das Gezerre um das Schicksal von Flüchtlingen zwischen Italien und den anderen. Ich glaube, da ist schon deutlich geworden, von der Zahl auch schon, wie wir in Erregungszustände geraten in einer Zeit, wo beispielsweise das Land Tunesien, das ja selbst einen Umbruch erlebt hat, in der Zeit des Ausbruchs der Revolution in Libyen 400.000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Und wir, wir streiten in Europa um 15.000, um 20.000, um 30.000 Flüchtlinge. Da sieht man einfach mal die Dimensionen, und da sage ich, das muss doch bei all den Möglichkeiten, die eine Europäische Union besitzt, dann auch leisten können, auch in der Verteilung von Flüchtlingen, aber natürlich auch um ein sehr korrektes Asylaufnahmeverfahren, und noch einmal der dritte Punkt, eben auch den ganz besonders betroffenen Ländern wie Italien oder aber auch Malta und möglicherweise auch natürlich Griechenland zu helfen.

Welty: Die Innenminister haben auch beschlossen, mehr Ressourcen für Frontex zur Verfügung zu stellen. Welche Eindruck haben Sie von Frontex? Sind das die, die die europäischen Grenzen schützen, oder die, die hilflose Menschen zurück ins Meer schubsen?

Gloser: Also ich glaube schon, dass es generell auch wichtig ist, dass die Politik vermittelt, wie sind die Außengrenzen der Europäischen Union gesichert, denn da kann es natürlich schon sein, dass man bei einer unzureichenden Grenzsicherung sagt, wo ist die Legitimation dann, wenn ihr das nicht selber schafft. Aber auf der anderen Seite ist natürlich Frontex ständig seit dem Beginn eigentlich im Mittelpunkt, und man hat aber, muss man sagen, wirklich den Eindruck, als ob es eher um die Abwehr geht als um den Schutz von Flüchtlingen. Wenn Frontex natürlich gelegentlich in der Vergangenheit auch Schlepperschiffe aufgefangen hat, auch die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen hat, das ist richtig. Aber es kann nicht sein, sozusagen das zu verhindern, dass zumindest Menschen, die geflohen sind, in einem Land dann auch ankommen, dort geprüft werden, ob sie einen Fluchtgrund auch vorweisen können. Das heißt ja nicht im letzten Konsequenz, dass alle bleiben dürfen, aber sie müssen einfach die Möglichkeit haben. Und das wird natürlich, wenn die Europäische Union mit seiner Organisation sich darauf beschränkt, wir dieses Asylverfahren sozusagen ja auch ausgehebelt. Und es ist ja auch unter anderem, zwar dann in einer anderen Konstellation, vom Menschenrechtsgerichtshof vor kurzem ja auch so beschrieben worden.

Welty: Sie, Herr Gloser, fordern darüber hinaus eine Nord-Süd-Bildungspartnerschaft und ein Rückkehrprogramm. Das klingt ja jetzt auch nicht unbedingt nach weit geöffneten Armen.

Gloser: Schauen Sie, wenn wir sehen, und diskutieren über die Entwicklungen in Nordafrika, dann ist es natürlich richtig, wenn wir sagen, erst müssen die Länder selbst wieder auf die Beine kommen, wir wollen sie dabei unterstützen, auch dass Ausbildungsplätze, dass Arbeitsplätze entstehen. Wenn wir aber auf der einen Seite diese demografische Entwicklung sehen, das unzureichende Wirtschaftswachstum oder was für ein Wirtschaftswachstum gebraucht würde, um die jungen Leute in einem Arbeitsmarkt aufzunehmen, dann wird es in den nächsten Jahren nicht so gelingen. Und die Frage ist ja, ob diese Europäische Union, um damit auch beispielsweise illegale Migration zu beeinflussen, dass man Bildungspartnerschaften mit den Ländern in Nordafrika bildet, die für eine bestimmte Zeit jungen Menschen eine Perspektive in Europa gibt zur Ausbildung, zur Weiterqualifikation, zur Arbeit, sicherlich auch mal mit der Möglichkeit, auch wieder in ihr eigenes Land zurückzukehren, weil sie dort auch möglicherweise gebraucht werden. Aber da fehlt mir eigentlich auch ein bisschen der Ansatz. Es ist alles nur Mauer, Festung, um nicht auch zu sagen, wir sind auch offen für euch.

Welty: Der französische Präsident Nicholas Sarkozy wird das Flüchtlingsthema wohl zum Wahlkampfthema machen. Er spricht von einer drohenden Implosion Europas – droht uns eine ähnliche Diskussion in Deutschland?

Gloser: Ja, ich sage schon, es muss natürlich auch für unsere Bürgerinnen und Bürger klar sein, welche Möglichkeiten unsere geschaffenen Institutionen haben. Aber das, was Herr Sarkozy jetzt macht, das ist blanker Populismus. Jetzt könnte man sagen, natürlich, in Frankreich ist Wahlkampf. Aber leider hat Herr Sarkozy und einige seiner Minister ja bereits vor einigen Monaten im Bezug auf Roma und Sinti einen Vorstoß unternommen, der ja auch nicht vereinbar war mit den Gesetzen der Europäischen Union, und ich halte das eigentlich für wirklich ein Problem, wenn einzelne Mitgliedsstaaten europäische Vorschriften, Gesetze zur Disposition stellen können. Wir haben das erlebt in Dänemark, da hat glücklicherweise die neu gewählte Regierung die Schritte der Vorgängerregierung zurückgenommen. Ich glaube, wenn, dann muss sich die Strategie der Europäischen Union verändern, und man kann nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge sozusagen jetzt auch Wahlkampf machen, wie es in Frankreich durch Herrn Sarkozy geschieht.

Welty: Die europäische Flüchtlingsfrage, dazu der SPD-Bundestagsabgeordnete Günter Gloser im Interview der "Ortszeit". Danke dafür!

Gloser: Ich bedanke mich auch!


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