Glaube und Gerechtigkeit

Von Burkhard Schäfers · 27.04.2013
Die Ökumene wird auf dem Kirchentag eine wichtige Rolle spielen, und so wird auch über den neuen Papst gesprochen werden. Man weiß, dass Franziskus einen neuen Führungsstil pflegt. Aber wo kommt er her, spirituell und politisch? Darum ging es jetzt auf einer Tagung der Katholischen Akademie Bayern.
Papst Franziskus begrüßt mit einem einfachen "Guten Abend" die Gläubigen auf dem Petersplatz. Er fährt nicht in einer Limousine, sondern mit den anderen Kardinälen im Bus. Bezahlt seine Hotelrechnung selbst. Und obwohl er nun an der Spitze der katholischen Kirche steht, wirkt Jorge Mario Bergoglio nahbar. Bevor er Papst Franziskus wurde, war der Jesuitenpater 15 Jahre lang Erzbischof von Buenos Aires. Dort hat ihn der Frankfurter Pastoraltheologe Michael Sievernich selbst erlebt:

"Er ist ein Großstädter, er ist ein Porteno, so heißen die Menschen aus Buenos Aires. Er kennt die Sorgen der einfachen Leute, er kennt auch die Reichen und verhandelt auch mit ihnen. Als Großstädter versucht er, die Position der Kirche durch seine pastorale Praxis zu prägen und neu zu bestimmen."

Soziale Gerechtigkeit – das ist ein Lebensthema des neuen Papstes. In seiner Heimat Argentinien hieß er der "Kardinal der Armen", der soziale Missstände kritisiert und die Zustände in Buenos Aires einmal mit dem Satz beschrieb: "In der Stadt ist Sklaverei Alltag". Jorge Mario Bergoglio versteckt sich nicht hinter Kirchenmauern. Er gilt als politische Figur:
"Er hat auch den Mächtigen, den jeweils Herrschenden, zuletzt also den Kirchners, erst Néstor und dann seiner Frau Cristina, durchaus auch gesagt, was zu tun ist. Was diese Familie Kirchner nicht so sehr geschätzt hat. Er hat etwa ein Buch geschrieben über Korruption und Sünde. Und wer dieses Buch von den Politikern lesen wollte, wusste gleich, wer gemeint ist."

Ein Politiker jedoch – gar ein Parteipolitiker – sei Bergoglio nicht gewesen, sagt Michael Sievernich, der als einer der besten deutschen Kenner des neuen Papstes gilt. Beide sind im Jesuitenorden und waren sich mehrmals begegnet – auch an der Universität der Jesuiten in Frankfurt-Sankt Georgen, wo der jetzige Papst 1986 einen Studienaufenthalt hatte.

Zehn Jahre zuvor geriet Bergoglio zwischen die Fronten der argentinischen Militärdiktatur und der militanten Stadtguerilla, die gewaltsam gegen die Regierung kämpfte. Kritiker behaupten, er habe damals als Leiter der argentinischen Jesuiten eine zu große Nähe zur Militärdiktatur gehabt und auch zwei Mitglieder seines Ordens in Lebensgefahr gebracht. Michael Sievernich widerspricht:

"Wenn man seinen Ausführungen folgt und allen, die ihn kennen, dann hat er auf geheime Weise versucht, zu retten, was zu retten ist, Leute versteckt, ihnen ins Ausland verholfen, sie unterstützt. Und das gilt auch für die beiden Jesuiten, also aus dem eigenen Orden, die damals von der Junta verschleppt worden sind, aber dann später freigelassen wurden."

Bergoglio habe damals einiges erreicht, indem er mit führenden Männern der Militärdiktatur verhandelte, sagt Jesuit Sievernich. In dieser Zeit verschwanden in Argentinien bis zu 30.000 Menschen, entführt, gefoltert oder ermordet von Todesschwadronen. Auch Priester gehörten dazu.

"Ein Riss ging durch die gesamte Gesellschaft, durch die Kirche und auch durch den Orden. Wer in dieser Situation der 70er Jahre mit keiner politischen Seite es hielt – weder mit der Junta noch mit dem bewaffneten Widerstand der Guerilla – bewegte sich auf schmalem Grat. Und dazu gehörte nach allem was wir wissen auch Pater Bergoglio. Prominente Lateinamerikaner wie Adolfo Perez Esquivel, Friedensnobelpreisträger, der selbst Verfolgter der Junta war, schließen aus, dass Bergoglio mit den damaligen Machthabern paktiert haben könnte."

Weitere argentinische Bürgerrechtler stützen diese These: Als Kirchenmann habe sich Bergoglio weder mit der Stadtguerilla noch mit der Diktatur gemein gemacht.

"Ich bin immer etwas erstaunt über heutige Lehnstuhlmoralisten, die sich 30 Jahre später hinsetzen und sagen, was man in dieser Situation hätte tun sollen. Wahrscheinlich hat er auch Fehler gemacht. Aber dass es ein ganz klares Bemühen gab, in dieser zwiespältigen, ambivalenten Situation dem Einzelnen zu helfen, das war die Intention."

Der neue Papst ist geprägt durch seine Heimat, nicht nur politisch. Hier liegen auch seine spirituellen Wurzeln. Die Kirche Lateinamerikas versteht sich als dienende Kirche. Dazu passt, dass die Jesuiten Barmherzigkeit als einen zentralen Teil ihres Wirkens sehen. Durch den ersten Jesuiten und Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri dürfte sich die Blickachse verschieben – weg von der zuletzt eher eurozentrischen Sicht auf Kirche und Welt. Das meint auch der Regensburger Bischof und Papstkenner Rudolf Voderholzer:

"Ich geh davon aus, dass die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sich in den nächsten Jahren sehr stark nach Südamerika richten wird. Wir haben die Fußballweltmeisterschaft, wir haben Olympische Spiele in Brasilien. Und ich gehe davon aus, dass Franziskus sich schon zu Wort melden wird: Dass das Ganze nicht dazu führt, dass die Armen noch ärmer werden, dass es dort auch gerecht zugeht. Und dass der wirtschaftliche Aufschwung nicht nur einige wenige reich macht."

Voderholzer hat die gesammelten theologischen Schriften des alten Papstes Benedikt herausgegeben. Dessen Thema lautete "Glaube und Vernunft". Der neue Papst dürfte den Fokus auf "Glaube und Gerechtigkeit" legen. Bislang scheint Franziskus die Bodenhaftung bewahrt zu haben. In einer seiner ersten Ansprachen betonte der 76-Jährige, als Papst sei er Bischof von Rom. Damit sei er in ein Kollegium eingebunden, ohne das er bedeutungslos wäre, erklärte der Münchner Dogmatiker Bertram Stubenrauch in einem Vortrag in der Katholischen Akademie Bayern:

"Der Papst ist kein Priesterkönig. Der Papst ist kein sakrales Zwitterwesen zwischen Himmel und Erde. Und er ist schon gar nicht selbst ein Erlöser. Er braucht deswegen auch nicht an ein Kreuz gebunden bleiben, von dem er angeblich nicht herabsteigen darf. Wir müssen, meine Damen und Herren, endlich aufhören, dem kirchlichen Amt eine messianische Aura zu geben. Deshalb wäre es mir willkommen, wenn der Papst den so missverständlichen Titel "Stellvertreter Jesu Christi" ablegen würde."

Viele Katholiken hoffen, dass sich die Kirche unter dem neuen Papst nicht so sehr um sich selbst dreht. Benedikt verkörperte in den Augen vieler eine rückständige, weltfremde Institution. Franziskus müsse die Kirche wieder zu einer Protagonistin machen, die angesichts globaler Probleme eine Leuchtturmfunktion einnimmt, fordert Jesuit Michael Sievernich:

"Was ist in einer Welt zu tun, die nach wie vor in kriegerischen Auseinandersetzungen steht, Billionen in das Militär verschleudert, wenn es auf der anderen Seite Millionen von Menschen gibt, die nicht ordentlich leben können, die kein Haus haben, die kein sauberes Wasser haben. Diese Widersprüche unserer Welt kann die Kirche zwar nicht lösen, aber sie kann darauf hinweisen, dass es den ethischen Auftrag gibt, diese zu lösen. Also die Armut nicht nur zu halbieren, sondern zu beseitigen."

Ob die Kirche gehört wird, dürfte ganz wesentlich davon abhängen, was Papst Franziskus in seinem neuen Amt sagt und tut – und inwiefern er sich dabei von seinen argentinischen Wurzeln leiten lässt.