Glanz und Elend eines deutschen Kunsthändlers

30.11.2011
Er sammelte Avantgardistisches von Picasso, Klee und Beckmann: Alfred Flechtheim zählte einst zu den berühmtesten Kunsthändlern Deutschlands - bis die Nazis ihn ins Exil trieben. Ottfried Dascher widmet ihm nun eine erste fundierte Biografie.
Alfred Flechtheims 50. Geburtstag sorgte selbst im feiererprobten Berlin der Goldenen Zwanziger für Aufsehen, denn die Liste der geladenen Gäste, Gratulanten und Grußadressen war einmalig: Josefine Baker, Gottfried Benn, Max Beckmann, Tilla Durieux oder Max Schmeling beglückwünschten den berühmten Kunsthändler ebenso wie Künstler aus dem Ausland; darunter Ernest Hemingway, Jean Cocteau, André Gide, Pablo Picasso und Jean Renoir.

Nur fünf Jahre später konstatierte der von den Nationalsozialisten als Inbegriff des "Kunstjuden" diffamierte und verfolgte Flechtheim: "Hier kann ich nicht bleiben. Kein Platz mehr für mich." Nach einer Odyssee über die Schweiz, Italien und Frankreich nach England, verstarb er 1937 in London an den Folgen einer Blutvergiftung. Seine in Berlin verbliebene Frau Betty beging kurz vor ihrer Deportation 1941 Selbstmord.

Mit dem sorgfältig recherchierten Buch "Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst" legt der Flechtheim-Experte Ottfried Dascher nun endlich die erste wissenschaftlich fundierte Biografie vor. Sein Anspruch ist hoch: Er will zeigen, wer Alfred Flechtheim wirklich war, will der Familie "ihren Rang und ihre Würde wieder geben" und den Provenienzforschern neues Material zur Verfügung stellen. Schließlich ist Flechtheims Kunstsammlung mit Werken von Picasso, Braque, Rousseau, Renoir, Klee, Beckmann, um nur wenige zu nennen, verschollen und um viele Bilder, die sich nicht zuletzt in deutschen Museen befinden, ist ein Restitutionsstreit entbrannt.

So muss, wer die Geschichte Flechtheims ergründen will, auch die seiner Bilder erzählen. Dascher gelingt dies vorzüglich. Es ist faszinierend zu lesen, wie früh der 1878 als Sohn einer reichen Getreidehändlerfamilie geborene Flechtheim seine Liebe zur Kunst entdeckte, wie er unbeirrt seinen Weg ging - trotz des Entsetzens seiner Eltern und Schwiegereltern - und wie weit er seiner Zeit voraus war. Er sammelte die Avantgarde lange bevor deutsche Museen dazu bereit waren. Seit 1908 war er Spiritus Rector der Künstler- und Sammlervereinigung "Sonderbund", ab 1913 arbeitete er als Galerist in Düsseldorf und Berlin, und 1921 wurde er zusätzlich Verleger der legendären Zeitschrift "Querschnitt". Er war damit maßgeblich am Durchbruch der modernen Malerei und Skulptur in Deutschland beteiligt. Niemals zuvor ist das in dieser Deutlichkeit geschildert worden. Genauso wenig wie die bitteren Erlebnisse Flechtheims im Exil.

Im Anhang versucht Ottfried Dascher Flechtheims private Sammlung Werk für Werk zu rekonstruieren, und die beiliegende CD präsentiert sämtliche Ausstellungskataloge der Galerie. Das ist nicht nur für die Provenienz-Forschung interessant, sondern auch für den Laien: Flechtheims Riecher für die Kunst war schlichtweg einmalig.

Einziges Manko dieses wichtigen Buches: Den Menschen Alfred Flechtheim bekommt der Autor nicht so in den Blick wie den Kunstsammler und -händler. Seine innere Verfassung, die Beziehung zu Freunden und vor allem die zu seiner Frau Betty bleiben weitgehend im Dunkeln.

Besprochen von Eva Hepper

Ottfried Dascher: Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst. Alfred Flechtheim - Sammler, Kunsthändler, Verleger
Nimbus Verlag 2011
511 Seiten, 39,80 Euro