Giftgasangriff in Syrien

Wie die Iraner den Giftgasangriff sehen

Bilder vom Tag nach dem Giftgasangriff in Syrien in Chan Schaichun.
Bilder vom Tag nach dem Giftgasangriff in Syrien in Chan Schaichun. © imago / UPI Photo
Adnan Tabatabai im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.04.2017
Der Giftgasangriff in Syrien hat die westliche Welt erschüttert. Wie bewertet man die Sache im Iran, einem Verbündeten des Assad-Regimes? Das Land hat selbst leidvolle Erfahrungen mit dem Einsatz von Giftgas gemacht. Wir sprachen mit dem Iran-Experten Adnan Tabatabai, der zurzeit in Teheran ist.
Vor einer Woche wurden in Syrien mindestens 86 Menschen bei einem mutmaßlichen Giftgasangriff der Regierung getötet. In Iran, einem der letzten Verbündeten Syriens, sind Giftgasangriffe ein sensibles Thema. Denn das Land hat im ersten Golfkrieg selbst leidvolle Erfahrungen damit gemacht, als Iraks Diktator Saddam Hussein mehrfach Giftgas gegen die iranische Bevölkerung einsetzte.
An diese Zeit erinnerten in Iran nicht nur eine sehr aktive Gedenkkultur, sondern auch 80.000 - 90.000 Überlebende der Giftgasangriffe, die oft körpliche Missbildungen aufwiesen, sagte der Politikwissenschaftler und Iran-Experte Adnan Tabatabai im Deutschlandradio Kultur. "Auf den Einsatz von Chemiewaffen reagiert man hier weiterhin natürlich sehr geschockt."

"Dissonanzen" drohen im Fall von Assads Schuld

Entsprechend würde es zu "Dissonanzen" zwischen Syrien und Iran führen, sollte sich endgültig herausstellen, dass der Giftgasangriff in Syrien durch die Regierung erfolgt sei. "Die Kritik wäre mit Sicherheit da, und die würde unter vorgehaltener Hand sicherlich auch geäußert. Es wird aber an der geostrategischen Bedeutung Syriens für den Iran nichts ändern, fürchte ich, und wird insofern auch die Konstellation in diesem Konflikt nicht gravierend ändern."
Allerdings ist es offenbar für die Iraner keineswegs ausgemacht, dass der Giftgasangriff in Syrien durch die Regierung erfolgt ist. "Hier sagen sehr viele Menschen, mit denen man spricht, sowohl auf politischer als auch auf ganz normal gesellschaftlicher Ebene: (...) Welche Logik hat es für die Regierung, die eigentlich in mancherlei Hinsicht gerade Fortschritte macht in ihrem Versuch, das Land wieder zu kontrollieren?", so Tabatabai. "Welche Logik bestünde darin, jetzt einen Chemiewaffenangriff zu machen, wenn die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, ja selber jetzt weniger Assads Sturz fordern, sondern vor allen Dingen sich auf ISIS und andere konzentrieren sollen. Deshalb wird das hier in Frage gestellt."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Vor einer Woche haben in Syrien die Truppen der Assad-Regierung den Ort Chan-Scheichun angegriffen, allen Indizien nach mit Giftgas. Es folgten der Raketenangriff der USA auf eine syrische Luftwaffenbasis und heftige Auseinandersetzungen im UN-Sicherheitsrat, vor allem zwischen den USA und dem mit Assad verbündeten Russland.
Es lohnt aber auch ein Blick auf den zweiten großen Verbündeten des syrischen Regimes, den Iran nämlich. Das Land hat seine eigenen ziemlich leidvollen Erfahrungen mit Giftgas. Im ersten Golfkrieg setzte der Irak unter Saddam Hussein massiv Giftgas gegen die Iraner ein. Mehrere Zehntausende wurden getötet, und andere leiden bis heute an den Spätfolgen. Müsste nicht der Einsatz von Giftgas für die Iraner schon aus historischen Gründen ein Grund sein, das Bündnis mit Assad zu gefährden, gar aufzukündigen? Darüber wollen wir mit dem Politikwissenschaftler Adnan Tabatabai sprechen, er ist Geschäftsführer des auf den Nahen Osten spezialisierten Thinktanks Carpo. Ich erreiche ihn telefonisch in Teheran. Schönen guten Morgen, Herr Tabatabai!
Adnan Tabatabai: Ich grüße Sie, schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Die Giftgasangriffe im Iran-Irak-Krieg, die sind ja schon gut 30 Jahre her. Sind sie dennoch bis heute präsent im Iran?

Noch immer sind die Folgen sichtbar

Tabatabai: Das sind sie in der Tat. Zum einen wird natürlich dieser Giftgasangriff sichtbar durch die noch heute – offiziell Statistiken zufolge etwa 80 bis 90.000 lebenden Menschen mit den Folgen dieser Chemieangriffe – die haben dann Schwierigkeiten, auch körperliche Missbildungen, anderes, Sehschwierigkeiten, Atemschwierigkeiten. Und dadurch wird es allein an diesen lebenden Personen noch sichtbar. Ansonsten gibt es auch eine sehr aktive Erinnerungskultur an genau diese sehr bittere Episode des Krieges.
von Billerbeck: Das sind also Langzeitfolgen dieser Angriffe aus den 80er-Jahren. Bleiben wir noch dort. Welche Reaktionen gab es damals auf diesen Giftgaseinsatz durch Saddam Hussein in der internationalen Gemeinschaft?
Tabatabai: Man muss sich daran erinnern, dass eigentlich weder der Angriffskrieg Iraks gegen Iran damals international verurteilt wurde noch dieser Giftgasangriff. Das ist wirklich ein sehr ausgeprägtes kollektives Trauma für die Iraner bis heute. Sie werden nicht müde, zum einen zu erwähnen, dass es damals keinerlei Reaktionen vor allem in den westlichen Ländern gab.

Internationale Gemeinschaft hat geschwiegen

Sie erinnern auch gern daran, dass europäische Staaten, und vor allen Dingen Deutschland, damals sozusagen die Zutaten für dieses Giftgas Saddam Hussein lieferten. Zum Beispiel vor der deutschen Botschaft hier in Teheran gibt es ein Mahnmal, eine kleine Statue, die daran erinnert, dass Deutschland mit daran beteiligt war damals, Saddam Hussein mit diesen Waffen auszustatten. Insofern ist auch das noch sehr lebendig. Und dass dort kein internationaler Aufschrei erfolgte, diesen Vorwurf müssen sich Europäer und europäische Politiker heute noch in der Tat anhören von Iranern.
von Billerbeck: Dabei gab es ja Bilder von diesem Giftgasangriff und den schrecklichen verröchelnden Menschen damals. Nun gibt es ja diesen neuen Angriff auf Syrer mit Giftgas vermutlich, jetzt vor einer Woche. Wie hat man denn im Iran darauf reagiert?
Tabatabai: Auf den Einsatz von Chemiewaffen reagiert man hier weiterhin natürlich sehr geschockt. Sie werden aber feststellen, dass das Narrativ hier ein ganz anderes ist. Während wir, wenn wir von westlicher Seite auf diesen Konflikt blicken und sehr sicher sind, dass dieser Angriff von Baschar al-Assad erfolgte, sieht man das hier ganz anders. Man sieht das, sowohl den Angriff 2013, anders, von dem es einigen Untersuchungen zufolge hieß, dass das ein Zusammenspiel der Nusra-Front mit dem türkischen Militärgeheimdienst war.

Iraner fordern unabhängige Untersuchungen in Syrien

Und auch jetzt den Fall sieht man hier gar nicht so eindeutig. Und wenn ich sage, sieht man hier, damit meine ich dann den öffentlichen Diskurs, den medialen Diskurs. Es gibt natürlich auch hier Menschen, die sagen, dass das die Regierung Assads war, aber man fordert hier durchaus unabhängige Untersuchungen, bevor man zu dem Schluss kommt, dass es unbedingt die Regierung gewesen sein soll.
von Billerbeck: Nun gibt es ja die russische Version, nach der die syrische Armee mit ihren Luftangriffen ein Chemiewaffendepot der Rebellen getroffen habe. Die meisten seriösen Experten indes halten das für unglaubwürdig. Wie wird das im Iran bewertet, nach außen hin und auch hinter vorgehaltener Hand?
Tabatabai: Schauen Sie, die Frage nach seriösen Quellen wird hier ganz anders diskutiert. Das macht ja auch die Deutung dieses furchtbaren Konfliktes so schwierig, welche Seite welche Quellen als seriös betrachtet. Hier sagen sehr viele Menschen, mit denen man spricht, sowohl auf politischer als auch auf ganz normal gesellschaftlicher Ebene, die Frage nach der Logik.
Welche Logik hat das für die Regierung, die eigentlich in mancherlei Hinsicht gerade Fortschritte macht in ihrem Versuch, das Land wieder zu kontrollieren. Da wird dann gesagt, welche Logik bestünde darin, jetzt einen Chemiewaffenangriff zu machen, wenn die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, ja selbst jetzt weniger Assads Sturz fordern, sondern vor allen Dingen sich auf ISIS und andere konzentrieren wollen, deshalb wird das hier in Frage gestellt. Dann wird immer gesagt, sind jetzt die russischen Medien, die wir jetzt zum Beispiel aus Deutschland betrachten, die Propagandamedien, oder sind es doch die westlichen, die amerikanischen Medien. Da gibt es einfach diese Riesen-Unterschiede im Diskurs.

Strategische Bedeutung Syriens für Iran

von Billerbeck: Das heißt auch, der Einsatz von Giftgas in Syrien, der vermeintliche Einsatz in Syrien jetzt durch Assad könnte das Bündnis des Iran mit Assad nicht gefährden?
Tabatabai: Nehmen wir mal an, dass die Erkenntnis, dass dieser Angriff auch durch Assad erfolgt ist.
von Billerbeck: Das vorausgesetzt, klar.
Tabatabai: Genau. Wenn das vorausgesetzt ist, dann würde das sicherlich zu – die es auch in der Vergangenheit gegeben hat, zu Dissonanzen führen über die Art und Weise, in der Assad diesen Krieg führt, aber es wird sicherlich nicht zu dem Zerwürfnis führen, dass man sagt, fortan wird Iran Syrien nicht mehr seine Unterstützung geben oder beziehungsweise der syrischen Regierung. Die Kritik würde mit Sicherheit da, und sie würde hinter vorgehaltener Hand, wie Sie es vorhin gesagt haben, sicherlich auch geäußert. Es wird aber an der geostrategischen Bedeutung Syriens für Iran nichts ändern, fürchte ich, und wird insofern auch die Konstellation hinter diesem Konflikt nicht gravierend ändern.
von Billerbeck: In Teheran sprach ich mit Adnan Tabatabai, Geschäftsführer des auf den Nahen Osten spezialisierten Thinktank Carpo. Ich bitte die Telefonleitung zu entschuldigen. Herr Tabatabai, herzlichen Dank!
Tabatabai: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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