Giegold: Siebzehn Strategien sind zuviel

Sven Giegold im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 19.08.2011
Nach Ansicht von Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, ist eine europäische Wirtschaftsregierung nur dann sinnvoll, wenn sie auch gegenüber dem Europäischen Parlament verantwortlich ist.
Jan-Christoph Kitzler: Die Aktienmärkte sind alles andere sind beruhigt. Der Deutschen Aktienindex ist gestern mal wieder auf rasante Talfahrt gegangen, 5,82 Prozent hatte er am Ende des Handelstages verloren, so viel wie seit fast drei Jahren nicht mehr. Klar, das liegt auch an der weltweiten Konjunktur, aber es gibt nach wie vor auch die riesigen Probleme in Europa, die mit Staaten kurz vor der Pleite nicht gerade für Vertrauen sorgen. Dabei wollten Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Sarkozy am vergangenen Dienstag doch vor allem zeigen, wir ziehen an einem Strang und es wird mehr Kontrolle geben und mehr Stabilität im Euroraum. Dafür sorgen soll eine sogenannte europäische Wirtschaftsregierung.

Die Aktienmärkte hat das bislang nicht besonders beeindruckt, und seitdem davon die Rede ist, von dieser europäischen Wirtschaftsregierung, rätseln auch die Fachleute, was damit eigentlich gemeint ist. Was kann, was muss eine solche Wirtschaftsregierung leisten? Das will ich jetzt mit Sven Giegold besprechen, dem finanz- und wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen im Europaparlament. Schönen guten Morgen!

Sven Giegold: Ja, guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Können Sie uns denn erklären, was wir uns unter einer europäischen Wirtschaftsregierung vorstellen müssen?

Giegold: Ich kann Ihnen erklären, was ich darunter verstehen würde, was Frau Merkel und Herr Sarkozy darunter verstehen, ist leider in ihrem Brief nicht so wirklich deutlich geworden. Aber ich werde es mal versuchen. Ich eigne mich als Sprecher für die beiden nur begrenzt, aber die Kernidee ist offensichtlich, dass die regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungschefs der Euroländer jetzt sozusagen formalisiert werden sollen. Es haben ja dieses Jahr schon zwei stattgefunden, die sollen jetzt jedes Jahr zweimal stattfinden. Es soll dazu ein Sekretariat geschaffen werden, das Analysefähigkeiten hat und in der Lage ist, wirtschaftspolitisch die Entscheidungen zu steuern. Das Problem ist, dass wir in den meisten Bereichen diese Vorschläge längst haben, und das führt eben dazu, dass die Signalwirkung an die Märkte sehr begrenzt ist. Was fehlt ist nach wie vor, dass sich natürlich von solchen Treffen der Staats- und Regierungschefs souveräne nationale Parlamente, genau wie das Europaparlament, keine Vorschriften machen lassen. Wo kämen wir denn auch dahin, wenn jetzt die Staatschefs so eine Art Neomonarchie in Europa gründen?

Kitzler: Die Märkte sind nicht beeindruckt, das haben Sie schon gesagt. Liegt das auch daran, dass die Vorschläge von Merkel und Sarkozy die aktuellen Probleme nicht lösen?

Giegold: Das ist genau das Kernproblem, dass nämlich zwei wichtige Bereiche tabuisiert wurden, und diese Frage stellen die Investoren zuvorderst. Erstens: Wie kommen die Länder, die derzeit in Schwierigkeiten sind, wieder aus dem Quark? Das heißt, neue Investitionen in diesen Staaten, stärkere Unabhängigkeit von den immer höheren Ressourcenpreisen, also das, was wir vorschlagen als Green New Deal. Den gibt es bisher nicht, und das ist ein zentraler Grund, warum die Länder nicht aus den Problemen kommen. Das Zweite ist, sie können nicht aus den Problemen herauskommen, solange sie ständig höhere Zinsen bezahlen. Bisher ist ja das Schöne an der Staatsverschuldung, auch in den schwächeren Staaten, diese ist finanziert zu den sehr günstigen Zinsen vor der Krise. Jetzt, mit jeder neuen Charge, die aufgenommen werden muss vom Kapitalmarkt, müssen Länder wie etwa Italien und Spanien höhere Zinsen bezahlen, und das können sie nicht. Und die Weigerung, über Euro-Bonds zu reden und damit über niedrige Zinsen für alle Euromitgliedsländer, führt dazu, dass die Märkte sich fragen, wie sollen diese Staaten das nur schaffen.

Kitzler: Bislang gibt es 17 Finanzminister, 17 getrennte Wirtschaften in der Eurozone, die jeweiligen Regierungen, die pochen auf eigene Mitsprache und auch auf das Recht, auch eigene Wege zu gehen bisher, warum sollte sich daran etwas ändern?

Giegold: Weil es so auf keinen Fall weitergeht. Man hätte das natürlich bei Gründung des Euros schon machen müssen. Damals gab es gerade in Deutschland, aber auch in Frankreich, wenn man ehrlich ist, sehr großen Widerstand, echte wirtschaftspolitische Kompetenz an die europäische Ebene abzugeben. Am allersichtbarsten ist das am Steuersystem. Die Euroländer und alle europäischen Länder machen intensiven Wettbewerb darum, sich gegenseitig Steuereinnahmen abzujagen. Insofern begrüße ich, dass es jetzt den Vorschlag gibt, eine gemeinsame Körperschaftssteuer zwischen Deutschland und Frankreich zu schaffen. Wenn das zu einem Kern wird, was sich ausweitet, ist das höchst sinnvoll. Also effektiv den Kampf aufzunehmen gegen Steuerschummelei und Steuerhinterziehung dadurch, dass man mehr vereinheitlicht, das ist richtig. Und wenn man das nicht macht, dann hat man eine ordnungspolitische Unwucht in der Eurozone, nämlich dass der Währungsraum gemeinsam ist, aber der politische Raum fragmentiert – und das kann nicht funktionieren.

Kitzler: Die europäischen Parlamente spielen ja in der Krise jetzt keine allzu dankbare Rolle, muss man sagen. Sie müssen in Rekordzeit Rettungsschirme abnicken oder alternativlose Sparpakete durchwinken. Mit parlamentarischer Kontrolle hat das jedenfalls nicht besonders viel zu tun. Und jetzt wird – nach dem Vorschlag von Merkel und Sarkozy – nicht etwa das Europaparlament gestärkt, sondern Herman Van Rompuy, also ein Vertreter der Exekutive. Sorgt das bei Ihren Kollegen nicht für großen Frust?

Giegold: Dass die Eurogruppe nun einen starken Koordinator bekommt, dagegen kann man nichts haben, und Herr Juncker, den ich sehr schätze, war offensichtlich völlig frustriert von den öffentlichen Streitigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich. Dass dort eine Veränderung her musste, ist richtig, aber der zentrale Punkt, den teile ich völlig, den Sie eben gemacht haben. Wenn man mehr europäische Gemeinsamkeit will, dann geht das nicht dadurch, dass die Staatschefs ein Europa sozusagen von Gipfeltreffen organisieren, das werden sich die Parlamente auf Dauer nicht gefallen lassen. Deshalb braucht eine europäische Wirtschaftsregierung auch die Verantwortlichkeit gegenüber dem Europäischen Parlament, das direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt ist. Dafür brauchen wir aber eine Vertragsänderung. Und deshalb halte ich es für notwendig, dass man einen neuen Konventanlauf macht und die Strukturen zumindest der Euroländer auf eine neue vertragliche Grundlage stellt. Ohne das – und das war offensichtlich immer die Setzung – kommen wir in eine Situation, wo keine verbindlichen Entscheidungen in ausreichender Geschwindigkeit getroffen werden können, und genau das strafen derzeit die Märkte ab.

Kitzler: Sven Giegold war das, der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Giegold: Danke!

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