Gezüchtet, gemästet, geschlachtet

Von Tilmann Kleinjung · 15.05.2013
Das Geschäft mit dem teuren Thunfisch ist lukrativ. Auf Malta wird er deshalb in riesigen Farmen gezüchtet. Um die Massen zu füttern, fangen Fischer andere Arten. Die Folge: Immer mehr sind in ihrem Bestand bedroht. Maltas Regierung fördert die künstliche Zucht trotzdem.
Es ist ein ungemütlicher, windiger Tag auf Malta. Robert Vassallo Agius führt Besucher gern auf ein Grasplateau an der Südostküste der kleinen Insel im Mittelmeer. "Geh nicht so nah an den Rand", warnt der Meeresbiologe, denn die Klippen fallen an der Kante senkrecht ins 20 Meter weiter unten gelegene Meer. Diesen Ort nennen auf Malta alle nur "Deutsche Welle", weil hier einmal eine Antennenanlage des deutschen Auslandssenders stand. Afrika ist nur 300 Kilometer Luftlinie entfernt. Aber Vassallo Agius interessiert das Naheliegende.

"Das ist eine Thunfischfarm. Siehst du die Käfige da drüben? Das ist ein Boot, das die Schäden von dem Sturm in der letzten Nacht repariert; schau, wie das Boot rauf- und runterschaukelt."

Thunfischfarm – ein Offshore-Bauernhof für Thunfische. Riesige, kreisrunde Käfige mit einem Durchmesser von zehn Metern, deren oberes Ende man als Ring an der Wasseroberfläche sieht, die aber 30 Meter tief sind und bis zum Meeresgrund reichen. An diesen Käfigen gibt es keine Plattformen, man muss mit dem Schiff ganz nah ran fahren, um die Thunfische zu sehen, die sich in Massen in diesen Käfigen tummeln. Heute ist es dafür zu windig, sagt Robert Vassallo Agius. Er ist ein Experte für diese Form der Thunfischhaltung und leitet das nur wenige Kilometer entfernte Aquakulturzentrum der maltesischen Regierung.

"Hier in diesem Gebiet gibt es zwei Thunfischfarmen. Die maltesische Regierung arbeitet gerade an einer Aquakulturstrategie. Das Wasser ist gut durchflutet und hat eine ordentliche Tiefe, 30 bis 50 Meter. Das bedeutet, dass es keine Auswirkungen auf die Umwelt geben wird, wenn es richtig gemacht wird. Dann kann man hier nachhaltig Aquakultur betreiben."

Aquakultur ist das Pendant zur Agrikultur und eigentlich nur der Fachbegriff für Fischzucht. Karpfenteiche und Forellenbecken gibt es schon seit Ewigkeiten. Erst seit einigen, wenigen Jahren versucht man auch Meeresfische, Raubfische wie den Thun in Gefangenschaft zu halten und zu züchten. Malta ist da eines der führenden Länder. Wen wundert’s: Eine kleine Insel hat vor allem eines im Überfluss: Meerwasser.

"Zu den Spitzenzeiten war das die drittgrößte Industrie des Landes. Wir von der Regierung versuchen, die Industrie zu unterstützen, dass sie wächst, stabil und breit aufgestellt. Eine Einnahmequelle für das Land."

Vassallo Agius zeigt auf einen der gigantischen Thunfischkäfige im Meer und sagt: Da schwimmen gerade Fische im Gegenwert von sieben bis zehn Millionen Euro. Sechs solcher Fischfarmen gibt es auf Malta – alle setzen vor allem auf die Thunfischzucht. Genaue Umsatzzahlen veröffentlicht die maltesische Regierung nicht. Nur so viel: Die Fischfarmen verarbeiten etwa 1000 Tonnen Fischfleisch im Jahr. Der große Vorteil der Aquakultur: Man hat die Fische jederzeit verfügbar und ist nicht mehr auf das Glück von Fischern angewiesen. Morgen kommt ein großes Kühlboot aus Japan, dann beginnt die "Ernte", wie das auf den Fischfarmen heißt: Tuna Harvest. Klingt harmlos, ist aber eine ziemlich brutale Angelegenheit. Und dann muss alles ganz schnell gehen.

"Wenn der Fisch geschossen ist, wird er mit diesen kleinen Booten dort zu den Kühlschiffen gebracht, dort wird er sofort verarbeitet, damit die Qualität keinen Schaden nimmt. Wenn der Fisch tot ist, muss er schockgefroren oder auf Eis gelegt werden – und zwar sofort, sonst steigt die Temperatur des Thunfischs, seiner Muskeln, und das Fleisch beginnt zu verwesen."

Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace haben Videos von der Thunfischernte ins Netz gestellt. Die Schiffe fahren nah an den Käfig, mit einem Kran werden die toten Thunfische auf Deck gehoben und dort sofort geschlachtet. Keine Bilder für empfindliche Gemüter. Den Umweltschützern geht es dabei weniger um die blutigen Szenen, die sich auf diesen Schlachtschiffen abspielen. Als besonders skandalös empfinden sie, welche Mengen Thunfischs da aus dem Meer geholt werden – trotz Fangquoten, Artenschutz und strenger Auflagen.

Ein Besuch bei Saviour Ellul. Er kann einige dieser Fragen beantworten, einige will er nicht beantworten. Ellul ist Chef der Malta Fishfarming Ltd., die einen großen Thunfischkäfig vor der Küste Maltas ihr Eigen nennt.

"Die Aquakultur ist eine große Industrie", erklärt der Manager. Davon merkt man in der Zentrale der Malta Fishfarming Ltd. wenig. Ein schmuckloser Betonkasten mitten in einem Industriegebiet. Egal, das Geschäft wird ja vor allem auf dem Meer gemacht und in der großen weiten Welt.

"Wir haben weniger als eine halbe Million Einwohner. Eine Fischfarm unserer Größe gibt 95 Prozent der Produktion in den Export, und wir exportieren hauptsächlich nach Europa."

Also, nicht nur Japan. Auch in Europa haben sich die Essgewohnheiten geändert. Davon profitieren Firmen wie die von Saviour Ellul.

"Wir sehen definitiv eine Zukunft in der Aquakulturindustrie. Generell kann man sagen, dass die Menschen mehr Fisch essen wollen. In den letzten 20 Jahren gab es da drastische Veränderungen in der Welt. Der Fischkonsum wächst stärker als der Konsum anderer Lebensmittel."

Und wer verdient daran? "Wir nicht", erklärt Ellul im Brustton der Überzeugung. Die Gewinnmarge sei klein, denn es gebe ja noch die Futterindustrie, die Weiterverarbeitung, die Logistik. Da bleibe für jeden nur ein kleiner Anteil vom Gewinn. Ganz davon zu schweigen, dass ein Thunfisch aus Malta nicht auf dem Tokioter Fischmarkt landet und dort für Millionen versteigert wird. Nächste Frage: Woher kommt der Thunfisch? Auch hier wird Ellul nicht sehr viel gesprächiger. Der Thunfisch wird von Fischern im Mittelmeer mit großen Netzen gefangen. Die stecken ihn in einen Käfig, den sie an ihrem Boot befestigt haben, und transportieren ihn langsam zur Farm.

"Sie versuchen natürlich, die großen Fische zu fangen. Wir reden hier von Fischen mit einer Größe von 50 Kilogramm aufwärts, die 100, 150, bis zu 300 Kilo wiegen können. Das ist gemischt."

Die Fangquote ist in erster Linie Sache der Fischer. Maltas Fischer dürfen 16.000 Kilogramm Thunfisch im Jahr 2013 fangen, so hat es die Internationale Kommission für den Schutz des Atlantischen Thunfischs festgelegt. In den Käfigen von Malta Fishfarming und anderen Thunfischproduzenten schwimmen Hunderte dieser Prachtexemplare. Sagen wir: Ein Thunfisch wiegt 160 Kilo. 100 mal 160 macht 16.000. Damit wäre die Quote schon erfüllt. Natürlich kann man in internationalen Gewässern leicht den Überblick verlieren. Nicht alle Thunfische werden von maltesischen Fischern angeliefert. Und dann leistet ja auch noch die Fischfarm einen wichtigen Beitrag dazu, dass der Rote Thunfisch groß und schwer und vor allem fett wird.

Ein Bauernhof im Meer. Dreimal am Tag wird gefüttert, nur den Stall ausmisten muss man nicht, die Käfige sind ja gut durchflutet. Ein unabhängiges Institut überprüft im Auftrag der Regierung, ob Gewässer und Seegrund durch diese Form der massenhaften Fischzucht Schaden nehmen. Das Ergebnis fällt so aus, wie man es erwartet in einem Land, das seine Zukunft in der Aquakultur sieht: Positiv.

"In unserem Gebiet auf offener See konnte man keine Schäden feststellen, im Gegenteil: Wir haben durch die Käfige noch mehr Fische angezogen. Das ist ein Plus, würde ich sagen."

Umweltschutz auf Malta ist eine undankbare Aufgabe. Auf der kleinen Insel sind die natürlichen Ressourcen begrenzt: Land und Wasser. Und jeder Versuch, Raubbau zu verhindern, stößt auf massive Widerstände, weil man damit gleichzeitig die Existenzgrundlage der Malteser infrage stellt. Und deshalb muss Graziella Calvan ganz vorsichtig sein, auch mit ihrer Kritik an den Fischfarmen. Also fängt sie erst einmal mit dem Grundsätzlichen an: Es ist widernatürlich, einen Raubfisch wie den Roten Thun in Gefangenschaft zu halten. Die Fische sind es gewohnt, mit ihrer kräftigen Schwanzflosse mehr als 100 Kilometer pro Tag zurückzulegen.

"Sie leben im Atlantik und kommen dann ins Mittelmeer, um zu laichen, dann kehren sie wieder in den Atlantik zurück. Die Gegend hier ist wie ein Brutplatz für die Thunfische. Ich weiß nicht, ob Sie das schon mal gesehen haben: Die Fischer warten auf sie kurz hinter Gibraltar, die Fische sind bereit zum Laichen, und dann fangen sie sie mit riesigen Netzen."

Damit wird der Reproduktionszyklus, die Fortpflanzung der Thunfische, brutal unterbrochen. Ein Grund, warum der Fisch vom Aussterben bedroht ist. Und mit ihm gleich auch noch andere Fischarten. Denn Thunfische in Gefangenschaft brauchen Futter, viel Futter. Auf jedes Kilo Thunfisch kommen am Ende 15 bis 20 Kilo Futterfisch, hat Greenpeace ausgerechnet. In der Natur frisst ein Thunfisch vielleicht einmal in der Woche, sagt Graziella Calvan. In der Farm wird er dreimal am Tag gefüttert.

"Um die Thunfische in den Fischfarmen zu füttern, werden Makrelen gefangen. Und so überfischen sie die Makrelen. Und wir wissen von Fischern, die ihren gesamten Fang von Makrelen ausschließlich an die Farmen verkaufen. Sie fangen Tonnen von Makrelen, und so werden die überfischt."

Dass die Mast auf dem Meer keine Auswirkungen auf Meeresflora und -fauna hat, will Graziella nicht glauben. Sie wohnt an der Küste.

"Manchmal, wenn der Wind hereindrückt, riechen wir diesen stinkenden Fischgeruch. Wenn sie sie dann auf See herausholen und töten, dann treiben die Köpfe der Thunfische in der Bucht. Da ist nicht angenehm. Wir versuchen ja Touristen hierher zu bekommen, und dafür brauchen wir die Buchten und die Strände."

In Tourismusbroschüren präsentiert sich Malta als Insel mit unberührter Natur, Traumstränden, imposanten Klippen und großartigen Festungen. Der Ritterorden vom Heiligen Johannes, der aus Jerusalem vertrieben wurde, hat im Mittelalter die Insel eingenommen und an den wichtigsten strategischen Punkten mit Forts befestigt. In so einer Ritterfestung unweit der Bucht mit den großen Thunfischkäfigen residiert Robert Vassallo Agius.

Im Fort St. Lucien auf Malta tüftelt der Meeresbiologe an der genialen Lösung eines großen Problems, eines globalen Problems. Die Welt wächst unaufhörlich, mit ihr wächst der Hunger, vor allem der Hunger auf Fisch.

"Die Nachfrage nach Fischproteinen wächst weltweit und deswegen müssen wir mehr Fischproteine bereitstellen. Da die Kapazitäten des Fischfangs erschöpft sind, müssen wir jetzt über die Aquakultur den Bedarf an Fischproteinen befriedigen."


Robert Vassallo Agius steigt hinab in den Keller seiner Festung. Hier stehen riesige Bassins. Es ist dunkel, man sieht die Fische kaum, die darin schwimmen. Vortäuschung falscher Tatsachen: Für die Fische ist jetzt Nacht.

"Hier fängt im Prinzip alles an. Das ist eine Seebrassen-Brutanlage. Sehen Sie die Fische? Das sind die, die gerade in diesem Moment laichen. Man lässt das Wasser ab, um die Rohre zu säubern und jetzt wird es wieder aufgefüllt. Wenn die Fische laichen, kommen die Eier hier heraus und werden in einem dieser Netze aufgefangen."

Das ist das eigentliche Ziel der Aquakultur: einen Lebenszyklus zu schließen. Fische werden aus Eiern gezüchtet von Fischen, die ihrerseits in Gefangenschaft gezüchtet wurden. Die Domestizierung eines Tiers: Das wäre die Rettung einer bedrohten und gleichzeitig begehrten Fischart. Man müsste nicht mehr die Weltmeere leer fischen auf der Suche nach dem Roten Thunfisch. Die Fischfarmen könnten ihren Bestand aus eigener Zucht auffüllen. Das ist bis jetzt nur eine wissenschaftliche Theorie. In Malta arbeitet Robert Vassallo Agius im Auftrag der maltesischen Regierung an ihrer Realisierung. Bisher gingen Meeresbiologen fest davon aus, dass sich Thunfische in Gefangenschaft nicht fortpflanzen.

"Man glaubte lange Zeit, dass Thunfische in Gefangenschaft nicht brüten. Aber wir haben es geschafft, in breiten Käfigen mit der richtigen Größe und dem richtigen Futter, den richtigen Bedingungen. Und ja, sie brüten."

Thunfische sind Raubfische, die es nicht gewohnt sind, in wenige Meter breiten Bassins und Käfigen stupide im Kreis herumzuschwimmen, und so wird den jungen Draufgängern die Wand des Beckens zur tödlichen Falle. Aber Robert Vassallo-Agius ist überzeugt, nach einer Generation gezüchteter Thunfische ist das Tier domestiziert und gewöhnt sich an ein Leben in Gefangenschaft.

Von der Festung, in der der Forscher davon träumt, den ersten, künstlichen Thunfisch zu züchten, hat man einen wunderbaren Blick auf die Bucht von Marsaxlokk, ein kleiner Fischerort mit großem Hafen.

Hier leben 200 Männer ausschließlich vom Fischfang. Manche machen das noch von ihren traditionellen Booten aus – Luzzus genannt. Das sind lange, schmale, Holzboote, ein beliebtes Motiv für die Touristen, vor allem weil sie so farbenfroh bemalt sind. Doch nach heile Welt ist Mario Demicoli nicht zumute.

Der Präsident der örtlichen Fischereikooperative muss Lobbyarbeit für einen aussterbenden Berufsstand machen. Große Fischereikonzerne, Fangquoten und Auflagen der EU machen den selbständigen Fischern Maltas das Leben schwer.

"Es ist hart, und es wird immer schwieriger. Wir fangen weniger und dementsprechend werden unsere Einkünfte geringer."

Davon kann man keine Familie ernähren. Nein, seinen Kindern würde er diesen Beruf nicht empfehlen, sagt Demicoli. Immer mehr Fischer in Marsaxlokk hängen ihren Beruf an den Nagel und arbeiten auf einer Fischfarm. Für Demicoli unvorstellbar: "Ich bin doch kein Bauer."

"Das ist unser Problem. Fischen ist für mich eine Tradition. Sich zu ändern und auf Aquakultur zu setzen, das ist schwierig. Man kann ja seine Mentalität nicht ändern. Die meisten gehen lieber fischen, auch wenn sie nichts fangen, anstatt auf einer Fischfarm zu arbeiten."
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