Gewalttaten in Berlin

Neues Sicherheitskonzept für den Brennpunkt Alexanderplatz

Passanten gehen Mitte September über den Alexanderplatz. Am Alexanderplatz in Berlin-Mitte war es erneut zu einem Übergriff gekommen. Eine Gruppe junger Männer bedrängte in der Nacht zum 13. September erst eine Frau und griff dann einen 23-jährigen Mann an, der der Frau zu Hilfe eilte.
Passanten gehen Mitte September über den Alexanderplatz. Am Alexanderplatz in Berlin-Mitte war es erneut zu einem Übergriff gekommen. © picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Von Manfred Götzke · 29.12.2017
Es wurden Flaschen geworfen und Messer gezückt: Am Berliner Alexanderplatz gab es mehrfach gefährliche Auseinandersetzungen zwischen jungen Geflüchteten, vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Der Berliner Senat hat reagiert - mit mehr Polizeipräsenz und Jugendarbeit.
"Hier auf der Seite des Fernsehturms ist eher der Bereich, wo sich die jungen geflüchteten Männer aufgehalten haben."
Sozialarbeiter Tino Kretschmann steht im Schatten des Berliner Fernsehturms. Auf den Treppen und Metallbänken am Sockel des Turms ist heute so gut wie nichts los. Ein paar Touristen blättern in ihrem Reiseführer, drei Schülerinnen starren auf ihre Handys. Wie der gefährlichste Ort der Hauptstadt wirkt der Alexanderplatz an diesem Dezembermorgen jedenfalls nicht. Dabei hat es genau hier vor ein paar Wochen immer wieder heftige Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten gegeben.
"Das gab einmal 'ne Situation, wo sich hier nachmittags vier fünf junge Leute mit anderen gekloppt haben, und dann kam am nächsten Tag die Retourkutsche, dann waren es 20, die sich hier in der Wolle hatten."

Mehr schwere Körperverletzungsdelikte

In der Wolle haben heißt: Es wurden Flaschen geworfen und Messer gezückt. Gewalt habe es am größten Platz Deutschlands schon immer gegeben, erzählt Kretschmann, der sich als Platzmanager schon seit vielen Jahren um die Jugendlichen dort kümmert. Doch es hat sich in den vergangen Monaten etwas verändert: Die Berliner Polizei registriert häufiger schwere Körperverletzungsdelikte. Die Täter stammen vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.
"Dass junge Männer, die einen geflüchteten Hintergrund haben, aus einer völlig anderen Gesellschaftssituation kommen, wo Gewalt alltäglich ist und man Dinge im Zweifelsfall untereinander mit Gewalt geregelt hat: Dass solche Dinge dann hier auch schneller zum Zuge kommen, nach dem Motto, ich regle meine Sachen selber und im Zweifelsfall mit Gewalt – also die Hemmschwelle kann ich fühlen, dass sich da was verändert hat."
Der Berliner Senat hat auf dieses Problem inzwischen reagiert. Mit mehr Polizeipräsenz und Jugendarbeit. Ein paar Meter neben dem Plateau des Fernsehturms steht seit ein paar Wochen ein weißer Bau-Container, eingezwängt zwischen den Stellwänden einer U-Bahn-Baustelle. Ein Jugendtreff, der sich vor allem an geflüchtete Jugendliche wendet, erzählt Kretschmann.
"Wir wollen positive Impulse setzen im öffentlichen Raum, deswegen werden wir weniger mit den heftigen, Schwerstgewalttätigen zu tun haben, die wollen wir hier eher raushaben, sondern wir wollen denen, die noch nicht da angedockt sind, eine Alternative bieten, was man miteinander im öffentlichen Raum machen kann und auch eine Vertrauenssituation schaffen, über die ins Jugendhilfesystem bei Bedarf weitervermittelt werden kann."
Kretschmann kann sich da einiges vorstellen: Sport, Gesellschaftsspiele im Container, Foto-Projekte. Vor ein paar Tagen seien auch zwei Studentinnen vorbei gekommen, die mit den Geflüchteten Deutsch üben wollen.
Im Moment lassen sich allerdings kaum Jugendliche hier blicken, zu kalt und zu viel Polizei, erzählt Kretschmann. Man müsse in den nächsten Monaten erstmal Vertrauen aufbauen.

"Polizeiwache sorgt schon subjektiv für mehr Sicherheit"

300 Meter weiter nördlich strömen Menschmassen aus den Bögen des S-Bahnhofs über den Platz, peilen die umliegenden Einkaufsgeschäfte an.
Zwischen Weltzeituhr und Toilettenhäuschen steht seit wenigen Tagen ein weiterer Container. Er ist etwas größer, die Fronten sind aus Glas, an seinen Ecken sind Videokameras angebracht. Es ist die neue Wache am Alexanderplatz, mit der die Polizei vor allem klar stellen will: Wir sind hier, wir sind präsent, sagt Polizeisprecher Thomas Neuendorf:
"Wir haben festgestellt, dass eine Polizeiwache direkt auf dem Alexanderplatz schon allein subjektiv für mehr Sicherheit sorgt, es sind dort regelmäßig Ansprechpartner von der Polizei, wir sind zusammen mit der Bundespolizei und dem Ordnungsamt in dieser Wache. Jeder, der auf dem Alexanderplatz Probleme hat, kann sich dann an die Kollegen wenden."
An Tagen mit großen Menschenansammlungen setzt die Polizei außerdem einen Video-Wagen ein. Ein blauer Anhänger, auf dem mehrere Kameras angebracht sind.
Neuendorf: "Das ist ein Anhänger, der eine Videobeobachtung ermöglicht, und wenn Straftaten festgestellt werden von den Kollegen, dann kann auch eine Aufzeichnung gestartet werden, um das dann beweissicher für die Gerichte zu machen."
An diesem Nachmittag ist vom "starken Staat" am Alex nichts zu sehen. In ihrem Container haben die Beamten die Jalousien heruntergezogen, nur ein kleines dunkelgraues Schild am Dach der Wache weist darauf hin: Hier ist die Polizei.
Henze: "So wie die gebaut ist, ist es doch ziemlich viel vergebene Liebesmüh oder hilflose Symbolpolitik. Die Polizei hat sich da ja eingeigelt."

Jan-Gerd Henze schlendert mit seiner Frau an der Wache vorbei, sie wohnen hier, nur 200 Meter entfernt in einem der großen Wohnblöcke. Henze ist Datenschutzbeauftragter einer Berliner Behörde. Mit den Kameras am Polizeicontainer hat er dennoch keine Probleme, im Gegenteil:
"Was ich begrüßen würde, wäre zum einen eine deutliche Ausweitung der Aufnahmen, beschränkt hier auf den Platz. Zum anderen eine Polizeiwache, die wirklich Wache heißt, und nicht nur Wache schiebt. Mit einem Aussichtsturm oben drauf, so wie in New York auf dem Times Square."
Die BVG und die Polizei laufen gemeinsam Streife am U-Bahnhof Alexanderplatz in Berlin; Aufnahme vom April 2017
Die BVG und die Polizei laufen gemeinsam Streife am U-Bahnhof Alexanderplatz in Berlin; Aufnahme vom April 2017© imago/Olaf Selchow

Die erwachsenen Kinder meiden den Alexanderplatz

Seit Mitte der 90er wohnt Henze am Alexanderplatz, er habe immer gern hier gelebt, mitten im Herzen Berlins. Jetzt fühle er sich aber nicht mehr wohl.
Henze: "Meine Kinder, die alle drei erwachsen sind, meiden den Alexanderplatz spätabends, wenn wir zusammengesessen haben und sie aufbrechen. Und das find ich traurig. Die Kinder sind junge, kräftige Menschen und haben trotzdem Angst oder zumindest Bedenken, hier über den Alexanderplatz zu gehen zu einer Uhrzeit, zu der man früher nicht solche Angst haben musste."
Am anderen, südlichen Ende des Platzes schließt Tino Kretschmann seinen Container-Treff, bis 20 Uhr können die Jugendlichen heute vorbei kommen.. Er will die Probleme nicht kleinreden. Ja, es werden hier im Durchschnitt jeden Tag zwei Körperverletzungen begangen.
Kretschmann: "Man soll auch benennen, wenn Geflüchtete hier Sachen machen, die für die Gesamtbevölkerung eine Belastung sind, oder die ganz klar kriminell sind. Das ist nicht in Ordnung. Man muss aber trotzdem gleichzeitig gucken, was sind die Ursachen dafür. Und auf der anderen Seite muss man es immer in eine Relation stellen, denn das ist der größte öffentliche Raum mit einer unglaublichen Nutzungsdichte, was an Menschen hier draufläuft – und in dem Verhältnis möchte ich das auch gesehen haben."

"Unsicher in der sichersten Stadt Deutschlands" − hören Sie aus der Sendung "Länderreport" auch die Reportage von Tobias Krone über München.
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