Gesundheit

Die Macht der Darmbakterien

Eine Besucherin steht am 27.03.2013 in einem acht Meter langen begehbaren Darm-Modell im Foyer des Geraer SRH Waldklinikums. Hier beantworten Ärzte Fragen zum Thema Darmkrebs und seine Vorstufen. Die Veranstaltung findet im Rahmen des bundesweiten Darmkrebsmonats März statt.
Ein begehbares Darm-Modell in einem Krankenhaus in Gera. © picture alliance / dpa / Bodo Schackow
Von Sigrun Damas · 17.05.2014
Wir haben fremdes Leben in uns, einen eigenen Mikrokosmos von Bakterien. Die meisten sind nützliche Untermieter, denn sie helfen uns, Nahrung zu verdauen, Nährstoffe zu gewinnen, Krankheiten abzuwehren. Forscher bezeichnen das Kollektiv der winzigen Darmbewohner als Mikrobiom.
Eine Reise in unseren Darm ist wie eine Reise in einen eigenen Kosmos. Denn unser Innerstes bevölkern Billionen fremder Lebewesen: Es sind Darmbakterien. Für Wissenschaftler wie den Bioinformatiker Peer Bork vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologieein faszinierendes Forschungsfeld:
"Wir haben anderthalb Kilo Bakterien in uns und ne Oberfläche von Tennisplätzen, wenn man den Darm auseinanderzieht, sozusagen. Die anderthalb Kilo besiedeln uns und die haben viel mehr Einfluss als wir uns bisher vorstellen konnten."
Zum Beispiel darauf, ob wir eine Allergie bekommen, Asthma, Darmentzündungen oder sogar Multiple Sklerose, vermuten Wissenschaftler heute. Auf die Spur gekommen sind sie den Darm-Mikroben erst vor wenigen Jahren, und zwar per Genanalyse. Eine Art Volkszählung im Bauch:
"Wir schauen in Stuhlproben nach, sammeln das Erbmaterial, alles was da kreucht und fleucht. Das Erbmaterial schlüsseln wir auf. Man nennt das Sequenzierung, Buchstabenketten des genetischen Codes. Aus diesen kleinen Stücken, die wir da finden, versuchen wir uns einen Überblick zu schaffen: Was gibt’s denn so in uns an Lebewesen?"
1000 Bakterienstämme sind bekannt
Es gibt da so Einiges, zurzeit sind etwa 1000 verschiedene Bakterienstämme bekannt. Wir sind auf ihre Hilfe angewiesen. Denn die kleinen Darmbewohner zerlegen unser Essen, gewinnen Vitamine und andere Nährstoffe daraus. Oder sie gehen gegen unerwünschte Krankheitserreger vor. Das Spannende ist: Jeder von uns trägt einen eigenen Bakterien-Cocktail in sich. Der individuelle Mikroben-Mix entwickelt sich bis zum vierten Lebensjahr in unserem Darm, abhängig von den Bakterien der Mutter und Umwelteinflüssen. Wichtig für unser Wohlergehen scheint aber nicht unbedingt die Art der Mikroben zu sein, sondern eher ihre Anzahl.
"Je mehr Bakterien wir haben , je diverser die sind, desto gesünder ist es wahrscheinlich. Weil, die können mehr Umwelteinflüsse abfangen. Wenn ich Alkohol trinke, dann ist jemand da, der sich damit beschäftigt, um die Balance nicht aus dem Ruder zu bringen."
Eine reduzierte Artenvielfalt im Bauch geht einher mit unerwünschten Eigenschaften, sagt Peer Bork. Zusammen mit anderen europäischen Forschern hat der Bioinformatiker die Darmflora von dicken mit der von dünnen Dänen verglichen:
"Das hat die Fettleibigkeitsstudie gezeigt, das ein Viertel der Leute ne reduzierte Artenvielfalt haben im Darm. Und das korreliert mit Eigenschaften, die nicht toll sind. Entzündungsrisiko, Morbus Cron, metabolische Marker, die Richtung Diabetes sprechen."
Wechselspiel zwischen Darm und seinen Bewohnern
Was zu einer Bakterienarmut im Darm führt, ist noch offen. Genauso wie die Frage, ob die Mikroben-Flaute im Darm nun Ursache oder nur Anzeichen von Erkrankungen ist. Wahrscheinlich findet ein Wechselspiel zwischen dem Darm und seinen Bewohnern statt, ein Austausch in beide Richtungen. Die Darmbakterien treten auf diese Weise direkt mit dem Immunsystem in Kontakt, erklärt Britta Siegmund. Sie ist Spezialistin für Magen-Darmerkrankungen an der Berliner Charité.
"Man denkt ja, das Immunsystem ist was, was nur im Blut ist. Aber die Kontaktmoleküle für das Immunsystem sind auch auf der Darmoberfläche. Und wenn da Bakterien andocken, werden bestimmte Signale an den Körper weitergeben. Kennen wir, bitte keine Entzündung. Oder kennen wir nicht, bitte jetzt Entzündung."
Die Vermutung ist: Je mehr Bakterien der Darm im Laufe seine Lebens durchgeschleust hat und je mehr Bakterien die Darmwand bevölkern, desto robuster ist unsere Krankheitsabwehr. Zu viel Hygiene ist für den Darm deswegen nicht unbedingt von Vorteil.
"Hinzu kommt, dass wir seit Ende des Zweiten Weltkriegs, Einführung des Kühlschranks, verbesserte hygienische Bedingungen haben und die Autoimmunerkrankungen: Asthma, Psoriasis, Rheumatische Arthritis, chronisch-entzündliche Darmentzündungen zunehmen."
Wie sprechen Immunsystem und Darmbakterien miteinander?
Auto-Immunerkrankungen, dabei läuft das Immunsystem aus dem Ruder und bekämpft plötzlich den eigenen Körper, mit Entzündungen zum Beispiel. Die große Frage ist jetzt, wie genau Immunsystem und Darmbakterien miteinander sprechen. Und ob man ihre Zusammensetzung so verändern kann, dass sie einen positiven Einfluss auf das Immunsystem nehmen. Alle Versuche mit einzelnen Bakterienstämmen und probiotischen Lebensmitteln sind bisher gescheitert. Wahrscheinlich ist die Sache komplizierter.
"Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man mit einem einzelnen Bakterium ausreicht. Die Frage ist, wie viele sind es? Sind es zwei oder drei, sind es 20? Wahrscheinlich wird’s irgendwo im zweistelligen Bereich liegen."
Wie diese guten Bakterien in den Darm und an das Immunsystem gelangen sollen – dieses Problem ist noch zu lösen. In Deutschland zerbricht sich ein ganzes Netzwerk von Forschern darüber den Kopf.
"Die Idealvorstellung wäre, man nimmt eine Kapsel, da sind die drin. Die Kapsel löst sich an der richtigen Stelle im Darm auf und die Bakterien entfalten dann dort ihre Wirkung."
Ein gesunder Bakteriencocktail gegen Asthma, Multiple Sklerose oder chronische Darmentzündungen. Bisher können Ärzte und Patienten nur davon träumen.