Gestürzter Held

11.07.2011
Mit Witz und Ironie führt Klaus Blume in die geschlossene Gesellschaft des Radsports ein, die in seinen Augen mafiöse Züge trägt. Er fragt, warum Jan Ullrich geopfert wurde, während andere des Dopings Verdächtigte weiterfahren dürfen.
"Des Radsports letzter Kaiser?" analysiert Aufstieg und Fall des bisher einzigen deutschen Tour de France Siegers Jan Ullrich. Der Titel des Buches von Klaus Blume, der seit Ende der 1960er-Jahre intensiv den internationalen Radsport begleitet und über ihn berichtet, greift eine Schlagzeile von 1997 auf: Die französische Zeitung "Le Figaro" huldigte dem Radprofi nach seinem damaligen Tour-Triumph als "Kaiserlichem Ullrich". Das Buch ist weder der Versuch, den vermeintlichen Dopingsünder Jan Ullrich zu entlarven, noch stellt sich der Autor schützend vor den einstigen Star. Vielmehr geht es ihm darum, anhand der Person des früher geradezu "vergötterten Ulle" den Alltag eines Spitzensportlers in all seinen Facetten darzustellen. Einen besonderen Blick wirft er auf die Rolle der Medien, Sponsoren und Fans. Sie sind aus seiner Sicht für eine, wie er es nennt, Sensationsindustrie verantwortlich, die es einem erfolgshungrigen Athleten wie Ullrich schwer machen, sich nur auf sein Talent und das tägliche Training zu verlassen.

Im ersten Teil seines Buches führt Blume mit Witz und Ironie in die geschlossene Gesellschaft des Radsports ein. Diese trägt in seinen Augen mafiöse Züge. Auch unter den Fahrern gilt nämlich so etwas wie ein Schweigegelübde, vor allem wenn es um Doping geht. Blume vergleicht Jan Ullrichs Absturz vom Himmel in die Hölle mit historischen Figuren, wie zum Beispiel mit Romulus Augustus, dem letzten Regenten des Römischen Reiches. Der Radsportler wie der Römer wurde von denen, die sie auf den Thron gebracht hatten, auch wieder gestürzt. Darüber hinaus berichtet Blume aus der Erinnerung und eigenen Aufzeichnungen beziehungsweise Gesprächen mit Wegbegleitern und Vertrauten des tragischen Helden. In den folgenden acht Kapiteln untersucht er mit Hilfe von Doping-Experten, Psychologen, warum ausgerechnet Jan Ullrich geopfert wurde, während andere Doping-Verdächtigte, wie zum Beispiel der spanische Tour-Titelverteidiger Alberto Contador, bislang weiterfahren dürfen.

Ist Ullrich 2006 womöglich vom damaligen T-Mobile-Team fristlos entlassen worden, weil er trotz seiner sportlichen Erfolge das schwächste Glied in der früheren Mannschaft des Bonner Telekommunikationsunternehmen war? Zudem stellt Blume die Frage, ob Medien und Fans auf einem Auge blind sind: Denn nach den Dopingskandalen der letzten Jahre wenden sie sich vom Radsport ab, während sie sich zugleich unbeschwert an nationalen Sporterfolgen wie etwa im Biathlon berauschen – wo doch auch der Wintersport, gerade die Ausdauerdisziplinen, alles andere als frei von Dopingverdacht sind.

In mehreren Essays verdichtet Blume seine Betrachtung zu einer detailierten Charakter- und Milieustudie des Radsportgeschäfts, in dem er eine Selbstreinigungsaktion nur dann für möglich hält, wenn sich das gesamte System in dieser Sportart ändert. Nach 16 Kapiteln schließt Klaus Blume mit der Feststellung, dass Jan Ullrich eine späte Rehabilitation verdient hätte, die er in Deutschland jedoch wohl nie bekommen wird. "Des Radsports letzter Kaiser?" ist nicht nur ein Muss für Radsportfans. Es dürfte auch diejenigen interessieren, die bislang immer nur vom schmutzigen Geschäft Radsport gehört haben und gerne einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen wollen. Es ist trotz des ernsten Inhaltes kurzweilig, zuweilen auch amüsant und sehr anschaulich geschrieben.

Besprochen von Thomas Wheeler

Klaus Blume: Des Radsports letzter Kaiser?
Covadonga Verlag, Bielefeld 2011
271 Seiten, 14,80 Euro
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