Gesprächskultur

Mit Corona-Skeptikern reden - ein Erfahrungsbericht

04:08 Minuten
Ein Mann mit Mundschutz unter der Nase und hochgeschobener Anonymous-Maske schreit einen Polizisten an.
Es geht letztlich mehr um Glauben als um Wissen: Das erschwert in den Augen der Publizistin Sieglinde Geisel den Dialog mit Corona-Skeptikern. © Getty Images / Omer Messinger
Ein Einwurf von Sieglinde Geisel · 11.09.2020
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Es sei sinnlos, mit Corona-Skeptikern zu reden. So die Publizistin Sieglinde Geisel vor Kurzem in unserem Programm. Das hat ihr viel wütende Hörerpost beschert - die sie dazu gebracht hat, doch den Dialog aufzunehmen. Mit gemischtem Erfolg.
Es hat keinen Sinn, mit Leuten, die nicht diskutieren wollen, über Dinge zu diskutieren, bei denen es nichts zu diskutieren gibt. So habe ich vor vier Wochen an dieser Stelle behauptet. Ich habe viel Widerspruch erhalten auf meine Schlussfolgerung zur Corona-Demonstration vom 1. August. Jedoch: So apodiktisch mein Satz über die Corona-Leugner auch war – mir wäre es lieber, wenn ich damit nicht Recht behalten würde.
Diejenigen Zuschriften und Facebook-Kommentare, die sich nicht in Beschimpfungen erschöpften, habe ich versucht zu beantworten. Ich muss gestehen, dass es mir oft schwerfiel, denn viele E-Mails waren lang, oft sehr lang, und wenn ich sie verstehen wollte, musste ich die Texte genauer lesen, als sie geschrieben waren. Das heißt: Ich musste mir beim Lesen oft die Mühe geben, die sich mein Gegenüber nicht gemacht hatte.
Der Ton war freundlicher als erwartet: Wir begegneten uns von Mensch zu Mensch und nicht mehr von Lager zu Lager. Die meisten hatten nicht mit einer Reaktion gerechnet, ich wiederum war überrascht, wie schnell sich manche Wogen glätteten.

Letztlich geht es um Glauben, nicht um Wissen

Und doch bleibt für mich die Frage offen, ob dieser Dialog einen Sinn hat. Im Internetzeitalter hat jeder zu allem eine Meinung. Das ist der Preis für die Popularisierung der Debatten, und davon wird nun auch die Wissenschaft eingeholt. Die wenigsten von uns können epidemiologische Sachverhalte aus eigener Kompetenz beurteilen. Letztlich geht es nicht um Wissen, sondern um Glauben. Allerdings ist der Glaube hier nicht privat, sondern politisch.
Die Corona-Skeptiker berufen sich auf Wodarg, Bhakdi und Schiffmann. Leute wie ich wiederum besorgen sich ihre Wissensmunition bei Christian Drosten und dem Robert Koch-Institut. Dass es um Glaubensdinge geht, macht den Dialog so frustrierend: Mit Argumenten kommen wir einander nicht näher.
Manche verbringen jeden Tag viele Stunden im Netz. Sie seien eben "tiefer" in die Materie eingedrungen, heißt es dann, und in gewisser Weise sind sie tatsächlich Experten. Allerdings nicht auf dem Feld der Wissenschaft, sondern im weitläufigen und von keiner Instanz kontrollierten Gelände der alternativen Fakten. Es sei kein Virus, da nicht ansteckend, schreibt eine Kommentatorin auf Facebook: "Nach wie vor glaube ich an Schimmelpilze in der Nahrung."
Eine Sache eint alle: So kritisch sie gegenüber den "Mainstream-Medien" sind, so unkritisch nehmen sie alles auf, was durch die alternativen Medien geistert. Auch jene, die sich gegen Begriffe wie Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker verwahren, haben kein Vertrauen in Wissenschaft, Politik und Medien. Ihre Vorwürfe sind allerdings oft so pauschal, dass man darauf kaum antworten kann.

Niemand weiß, wie Pandemie geht

Es ist ermüdend, beim Lesen ständig ins Leere zu greifen, sich durch unbelegte Belege zu graben und – Leute, es frisst Zeit! – allen Links nachzugehen, und alle empfohlenen Videos anzuschauen, wäre ein Fulltime-Job gewesen. Und das gilt nicht nur für mich: Die Pseudodebatten rauben uns die Zeit und Energie für jene Dinge, über die wir dringend diskutieren müssten: Dinge, über die "auch vernünftige Menschen geteilter Ansicht sein können", wie es einer meiner E-Mail-Partner formulierte. Niemand weiß, wie Pandemie geht. Was wäre ein angemessenes Vorgehen zur Verhinderung von neuen Ausbrüchen? Wie verändern sich die medizinischen Erkenntnisse? Wo hört die Verantwortung auf und wo beginnt die Hysterie? Auf keine dieser Fragen gibt es eine einfache Antwort, und so sind Irrtümer und Fehlentscheide kein Skandal, sondern unvermeidlich.
Wie wäre es, wenn wir uns darauf einigen könnten?

Sieglinde Geisel studierte in Zürich Germanistik und Theologie und arbeitet als freie Journalistin. Von 1994 bis 2016 war sie Kulturkorrespondentin der "NZZ". Sie ist für verschiedene Medien als Literaturkritikerin, Essayistin und Reporterin tätig und lehrt an der Freien Universität Berlin sowie an der Universität St. Gallen.

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