Gespräch statt Dschihad

Umgehen mit neo-salafistischer Radikalisierung

Mit Freizeitarbeit gegen Indoktrination -  Arbeit in muslimischen Gemeinden
Mit Freizeitarbeit gegen Indoktrination - Arbeit in muslimischen Gemeinden © picture-alliance/ dpa / Rolf Vennenbernd
Von Godehard Weyerer  · 30.08.2015
Ein Verein in Niedersachsen arbeitet mit Jugendlichen und will verhindern, dass sie sich dem Neo-Salafismus zuwenden. Mit dabei sind dabei Verbände und Wissenschaftler.
Mit Kindern, die gegen die Welt der Erwachsenen rebellieren, wieder ins Gespräch zu kommen: Das sei das Wichtigste, so Christian Hantel, was er den Eltern mit auf den Weg geben könne. Es klingt einfach und ist doch unendlich schwierig. Entsprechend verzweifelt sind die Eltern, die in die Beratungsstelle in der Nähe des Hannoveraner Hauptbahnhofs kommen.
"An der Stelle kann man sagen, dass der Neo-Salafismus die absolute Protestform ist gegen die Werte der Eltern, aber auch gegen die gesellschaftlichen Werte. Will man tatsächlich die Werte, für die unsere westliche Gesellschaft steht oder auch die Eltern stehen, infrage stellen und das in absoluter Weise tun, kann man das mit dem Neo-Salafismus in ansprechender Weise machen."
Jeder Heranwachsende muss sich von den Eltern lösen, muss zu ihnen und deren Werte und Normen auf Distanz gehen und einen eigenen Weg ins Leben finden. Je zerrütteter die Familienverhältnisse sind, desto radikaler und unversöhnlicher gestaltet sich die Abnabelung.
Der Berater, eine muslimische Sozialpädagogin und eine islamische Theologin
"Es soll nicht so sein, dass man diskutiert, was ist der richtige Glaube, der richtige Islam, was ist der falsche Islam. Wenn man in diese Diskussion geht, dann hat man eigentlich im Vorfeld schon verloren. Sondern da soll es um andere Dinge gehen, die eine Rolle spielen, was zum Beispiel die Freizeit anbelangt oder auch Unternehmungen, die man gemeinsam machen kann, um da auch einen neuen Weg zu gehen, etwas Neues zu finden."
Im Grunde, sagt Hantel, mache er eine Art Erziehungsberatung, weswegen er als Nicht-Muslim durchaus Zugang findet zu den Eltern, die häufig keine strenggläubigen Muslime sind. Neben ihm arbeiten noch eine muslimische Sozialpädagogin und islamische Theologin im Team.
"Wir können sagen, dass wir zur Zeit wirklich stark angefragt sind und werden, der Bedarf ist tatsächlich gegeben. Um da mit Zahlen zu sprechen, kann ich sagen, dass wir hier in unseren Räumen sicherlich 15 Beratungsgespräche durchgeführt haben jetzt in zweieinhalb Monaten."
In weiteren zehn Fällen fährt das dreiköpfige Team, das Sozialpädagoge Hantel leitet, zu den Angehörigen nach Hause. Aber nicht nur Familienkonflikte münden in eine religiöse Radikalisierung. Ebenso sind es fehlende soziale Anerkennung, Schulabbruch, unbeantwortete Bewerbungsschreiben, Diskriminierung auf der Straße oder beim Einlass in Diskotheken. Die Heranwachsenden isolieren sich zunehmend.
Finden sie unter Neo-Salafisten die erhoffte Aufwertung der eigenen Person, versetzen sie sogleich die Mehrheitsgesellschaft, von der sie sich ausgegrenzt fühlen, in Angst und Schrecken. Der Verfassungsschutz in Hannover schätzt, dass in Niedersachsen die Zahl der gewaltbereiten Islamisten auf 400 angestiegen ist. Früher wurden Polizisten vor Moscheen postiert, die im Verdacht standen, radikale Glaubensbekenntnisse zu verbreiten. Die Muslime fühlten sich unter Generalverdacht gestellt. Heute ist die vom damaligen Innenminister vorgelegte Checkliste zur Früherkennung von islamischer Radikalisierung zu den Akten gelegt, bestätigt Herbert Jelit, im niedersächsischen Sozialministerium zuständig für Migration und Teilhabe.
Jenseits des Glaubens
"Und haben dann im Laufe des Jahres 2014 darauf hingearbeitet, dass es zu einer Verständigung der islamischen Verbände Ditib und Schura kommt, die gewisse Vorbehalte aufgrund des Agierens der Vorgängerregierung mit der staatlichen Verwaltung hatten. Dieser Austausch hat dazu geführt, dass Ditib und Schura sich bereit erklärt haben, diesen Verein mitzugründen. Die Vereinsgründung hat dann im Dezember 2014 stattgefunden, und konnten dann am 8. April die Beratungstätigkeit offiziell aufnehmen."
Bei der Eröffnung der Beratungsstelle sprach Sozialministerin Cornelia Rundt von einem bundesweit einmaligen Konzept. Das könne auch so stehen bleiben, bekräftigt Herbert Jelit – obwohl es in anderen Bundesländern bereits vergleichbare Vorbilder gibt, in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Bremen.
"Die Einmaligkeit liegt darin, dass die islamischen Verbände hier den Verein mittragen, und dass wir das Ganze auch wissenschaftlich begleiten lassen durch die Uni Osnabrück, um im Laufe der Zeit noch bessere Ansätze zu bekommen, wie man Menschen aus einer entsprechenden Orientierungslosigkeit helfen kann. Das ist nach meinem Kenntnisstand an anderen Standorten nicht der Fall."
Finanziert wird die Beratungsstelle vom Ministerium – mit jährlich 500.000 Euro. Die Zuschüsse sind erst einmal auf fünf Jahre begrenzt. Dass danach über eine weitere Finanzierung der Beratungsarbeit neu verhandelt werden muss, steht für Herbert Jelit außer Frage.
"Die Finanzierung ist auf fünf Jahre ausgelegt. Das hat mit dem Haushaltsrecht zu tun. Wir gehen davon aus, dass es ein langwieriger Prozess ist. Es hat sich langsam aufgebaut und wird auch nur langsam zurückzubauen sein. Aber in fünf Jahren ist dann zu entscheiden, wie es dann weitergehen soll."
Die Gründe für eine religiöse Radikalisierung, so der Arbeitsansatz der Beratungsstelle in Hannover, liegen zumeist jenseits des Glaubens. Verletzte Ehre, soziale Diskriminierung und Perspektivlosigkeit würden oftmals in fundamentalistische Gewaltbereitschaft münden. Besorgniserregend sei insbesondere die steigende Zahl junger Mädchen und Frauen, die sich in den Dschihad stürzen. Christian Hantel und sein Team in der Beratungsstelle wollen helfen und eingreifen, bevor sich junge Menschen von ihrer Familie und der Gesellschaft abwenden.
"Das alles können wir nicht zurecht biegen, aber wir versuchen, gemeinsam mit den Angehörigen einen Weg zu finden, diesen jungen Menschen nicht zu lassen, sondern diesen Menschen miteinzubeziehen und anzusprechen und im Gespräch zu bleiben."
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Informationen der Beratungsstelle zu Prävention neosalafistischer Radikalisierung
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