Gesellschaft

Was tun gegen die Kinderarmut in Deutschland?

Hilfsbedürftige Kinder erhalten am 03.08.2016 in Dresden (Sachsen) Zuckertüten zum Schulanfang, die von verschiedenen Sponsoren bei der AWO Aktion Zuckertüte gespendet wurden.
Hilfsbedürftige Kinder erhalten in Dresden Zuckertüten zum Schulanfang. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Gäste: Claudia Held, Kinderschutzbeauftragte der Berliner Stadtmission und Volkswirt Stefan Sell, Hochschule Koblenz · 03.12.2016
Aus armen Kindern werden oft arme Erwachsene, warnt Stefan Sell. Er glaubt: Maßnahmen gegen Kinderarmut müssen bei der Familie ansetzen. Claudia Held sagt: Arme Kinder brauchen eine besondere Form der Lebensbegleitung. Wir diskutieren mit unseren Gästen, was man gegen Kinderarmut tun kann.
Deutschland gehört zu den reichsten Ländern der Welt: Die Wirtschaft brummt, die Zahl der Arbeitslosen ist auf einem Rekordtief, wir gelten als Wachstumsmotor in Europa. Alles bestens – oder? Nein, denn trotz dieser Topwerte leisten wir uns eine hohe Armutsquote, besonders bei alten Menschen – und bei Kindern. Jedes siebte Kind in Deutschland, so neueste Zahlen der Bertelsmann-Stiftung, wächst in Armut auf. Besonders betroffen sind Kinder mit nur einem Elternteil oder zwei und mehr Geschwistern. Die Folgen sind fatal – denn aus armen Kindern werden allzu oft arme Erwachsene.
"Arme Kinder würden nie sagen, dass sie arm sind", sagt Claudia Held.
Die Sozialarbeiterin ist die Kinderschutzbeauftragte der Berliner Stadtmission und betreut mehrere Projekte in den sozialen Brennpunkten der Stadt, hauptsächlich in Kreuzberg. Die meisten der Kinder haben einen Migrationshintergrund.

Armut wirkt sich auf Selbstbewusstsein aus

Ihre Beobachtung: Oft tragen gerade Kinder aus benachteiligten Familien die teuersten Turnschuhe, um sich mehr Selbstbewusstsein zu verschaffen. "Aber bei den Klamotten haben sie oft nur eine Garnitur, die sie immer tragen."
Ob in der Hausaufgabenhilfe, im Mädchentreff, auf dem Bauspielplatz oder in der Fahrradwerkstatt – Claudia Held geht es immer auch darum, den Kindern mehr Selbstbewusstsein zu vermitteln. Es geht ihr um Bildung, gesellschaftliche Teilhabe, und darum, ihnen ein anderes Rollenvorbild vorzuleben, als sie es oft von zu Hause kennen. "Es geht um Lebensbegleitung und Beziehungsarbeit – einfach ums Menschsein."

Arme Kinder haben schlechtere Startbedingungen

"Kinderarmut ist immer abgeleitete Elternarmut", sagt Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz. "Sie tritt nur ein, weil die Erwachsenen arm sind – und das betrifft besonders Alleinerziehende. Die armen Kinder können nichts dafür, es ist letztlich Familienarmut – und alle Maßnahmen müssen da ansetzen, an der Familie."
Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit Langem mit den Auswirkungen von Armut und wird nicht müde deren Folgen anzuprangern. "Diese Kinder, obwohl sie die gleichen Potentiale haben wie die anderen, haben deutlich schlechtere Startbedingungen und landen später oft in schwierigen Situationen. Es wird sich bitter rächen. Die Probleme, die man sich einhandelt, weil man in der Kindheit der Betroffenen zu wenig investiert, trägt lebenslang sehr bittere Früchte: niedrigere Einkommen und höhere Arbeitslosigkeit."
Was tun gegen die Kinderarmut in Deutschland? Darüber diskutiert Matthias Hanselmann am 3.12.2015 von 9:05 Uhr bis 11 Uhr mit Claudia Held und Stefan Sell. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de – und auf Facebook und Twitter.
Informationen im Internet:
Über die Kinder- und Jugendarbeit der Berliner Stadtmission
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