Gesellschaft

Schmelztiegel der Mythen und Vorurteile

Gesichter des Karnevals - Menschen in bunten Kostümen und farbigen Make-Ups nehmen am 19.05.2013 in Berlin am Festumzug des Karnevals der Kulturen der Welt teil.
Vielfalt beim Karneval der Kulturen in Berlin © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Barbara Zillmann · 30.06.2014
Ein Bundestagsabgeordneter mit afrikanischen Wurzeln, eine Nachrichtensprecherin mit türkischem Namen, ein Chef aus China: Was in Deutschland gerade möglich wird, ist noch lange nicht normal.
"Ich bin ja als kleines Kind nach Deutschland gekommen in die damalige DDR, meine Eltern haben da studiert, und das war dann ne Zeit, wo es ganz ganz wenig schwarze Menschen gab und wo wir meistens so die exotischen Ausnahmen waren."
Fiaza Makumbi-Kidza, 55, geboren in Uganda.
"Und das hatte vielleicht auch vor dem Hintergrund, dass damals ja die Leute dort nicht reisen konnten, für viele eher mal was Interessantes, und ich hab das später zum Beispiel von ner guten Schulfreundin gehört, als ich damals in die Klasse gekommen bin, hat sie sich vorgenommen, dass sie meine Freundin sein will, weil ich eben was Besonderes war."
"So mein extremstes Erlebnis war, dass die Erzieher mit ner Wurzelbürste in meinem Gesicht gekratzt haben, um den Kindern zu zeigen, ich bin nicht aus Schokolade, sondern schwarz. Also da entsteht zum ersten Mal n Bewusstsein des Andersseins."
Ika Hügel-Marshall, 67, geboren in Bayern als Kind eines schwarzen Besatzungssoldaten, aufgewachsen im Kinderheim.
"Damals ist man ja davon ausgegangen, dass man uns in dem ganz allgemeinen Stadtbild ja nicht sehen wollte, also wir verkörperten ja allein schon durch die Hautfarbe, dass Deutschland auch den Krieg verloren hat. Man hat damals gerade so den weißen Müttern nahegelegt, uns in Heime zu geben, nach dem Motto: Es sei wirklich besser für die Kinder, wenn man sie ins Heim gäbe."
"Ich meine, vor 50 Jahren war‘s noch was total Neues, dass dann Menschen aus Italien kamen, heute redet da niemand mehr drüber."
Renate Schürmann, 54, geboren in Köln.
"An unserer Schule haben wir viele Kinder, wo die Eltern ihre Wurzeln in Italien, Spanien, Polen, der Türkei haben, auch Russland, aber auch aus Ländern wie Iran, Irak, Afghanistan, zum Teil auch afrikanische Länder."
"Ick frag die Jungs immer: wo wollt ihr mal hin? Dann kommt da meistens: Job, Familie, ein ganz normales Leben, die wollen nicht unbedingt reich werden, sondern ganz normal leben wie wir auch. Und das muss man nehmen und sagen, wo können wir euch unterstützen, ne."
Thomas Jansen, 52, geboren in Berlin.
"Unser Ziel ist es einfach gerade in Brennpunkten Perspektiven zu schaffen zu Drogen und Kriminalität. Aber irgendwie ham sie alle das Ziel, det Leben so zu gestalten, dass es lebenswert ist."
"Der Erste, der studiert"
"Damals mein Opa ist als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen wie jeder andere Opa, zum Arbeiten, um der Familie ein besseres Leben zu geben."
Sahin Cinar 28, Berliner, geboren in einer kurdisch-türkischen Familie.
"Mein Vater, hat 15 Jahre lang gearbeitet in der Produktion, leider hat das Unternehmen geschlossen, er hat mal hier mal dort gearbeitet, versucht selbstständig zu werden, mal Arbeitslosigkeit, mal kleinere Jobs, so ist es dann weitergegangen. Er hat jetzt für sich selbst keinen Wert auf Bildung gelegt, sonst für die Kinder, er hat uns auch zu Nachhilfelehrern, Nachhilfeschulen geschickt. Von der dritten Generation bin ich der Erste, der studiert."
Die Bildungsnation Deutschland und der mühsame Aufstieg, wenn man nicht dazugehört.
Makumbi-Kidza: "Meine Mutter hatte in Leipzig studiert und hat später in einem kleinen Dorf im Südharz gearbeitet, und da war das so, bevor wir da hin kamen, hat der Chefarzt der Klinik, in der meine Mutter dann anfangen sollte zu arbeiten, der ist durchs Dorf gegangen und hat dann praktisch die Leute instruiert. Also die sollen freundlich zu uns sein, die sollen nicht Neger sagen, die sollen irgendwie uns nicht so anstarren und so, naja, anscheinend hatte der so seine Befürchtungen, dass das sonst schwierig werden könnte."
Hügel: "Und ich hab dann auch gemerkt, dass eben Weiße auch die sind, die mich anders behandeln als andere Kinder, die mir klar machen, dass ich nicht so intelligent bin wie andere Kinder und so weiter und sofort."
Makumbi:"Ich frag mich schon heute manchmal, was gewesen wäre, wenn ich da nicht so immer zu den Klassenbesten gehört hätte, ob ich dann nicht einen viel schwierigen Stand gehabt hätte."
Hügel: "... daher rührt natürlich auch son Misstrauen und auch ein Kampf, der ganz schön an deinen Kräften zehrt, eben das Gegenteil zu beweisen, während andere mal ganz locker so ihr Studium, wo man gar nicht zweifelt an der Intelligenz- ja - das alles nachzuholen. Aber ich hab’s immerhin geschafft und bin ganz stolz darauf."
Ika Hügel Marshall ist heute Dozentin an einer Fachhochschule für Sozialarbeit. Fiaza Makumbi-Kidza zog mit ihrer Familie aus der DDR nach Westdeutschland und begann ein Medizinstudium in Marburg.
Makumbi-Kidza: "Und da sind schon auch in den Vorlesungen rassistische Bemerkungen gefallen, oder bei Prüfungen gab's die die Schwierigkeit, dass Leute aus arabischen Ländern schlechter bewertet wurden. Ich kann mich erinnern an eine Situation, wir waren alle aufgeregt, und der eine Kommilitone, der hat halt geschwitzt, und der eine Prof sagte dann: ja schaffen Sie diesen stinkenden Araber hier raus."
Deutschland ein Einwanderungsland
Heute bekennt sich Deutschland dazu, ein Einwanderungsland zu sein. Offener Rassismus wird sanktioniert. Doch nach wie vor haben Bewerber mit fremd klingendem Namen weniger Chancen, Ausbildungsplatz, Stipendium oder Arbeit zu bekommen. Sahin Cinar hatte Glück.
Sahin Cinar: "Zu der Ausbildung bin ich durch nen Freund gekommen, war eigentlich nicht mein Bereich sag ich mal, aber heutzutage ne Ausbildung zu finden, n Beruf, ist sag ich mal sehr schwer, schreibt man zig Bewerbungen, und da hat dann die Chance sich ergeben, dass ich dann ne Ausbildung machen durfte bei AEG Signum, es war ne Ausbildung als Elektroanlagenmonteur."
Angemessene Arbeit fand er nicht, also lernte er weiter: Fachabitur, Hochschule für Wirtschaft und Technik. Aber das Problem wird bleiben:
Cinar: "Es hängt ja von den Menschen ab, die ja am längeren Hebel dann sind, bei denen man sich vorstellt für den Job. Das machts dann halt aus. Dass da halt, obwohl da bessere Qualifikationen sind, beziehen die sich einfach auf den Migrationshintergrund. Nicht offen, indirekt. Aber man merkt es. Man ist nicht blöd."
Identitätssuche, Unsicherheit, Rassismus.
Makumbi: "Manchmal merkt man erst im Nachhinein oder fragt sich erst im Nachhinein, hm, warum hat der jetzt so und so reagiert, hat es was mit meiner Hautfarbe zu tun? Ich lauf ja nicht ständig in dem Bewusstsein rum, ja ich bin schwarz, ich seh anders aus als die andern, ich nehme mich eben so wahr, wie ich mich gerade fühl an dem Tag, aber nicht so jetzt irgendwie ´die andere`."
Hügel: "Ich bin damals eben im Heim aufgewachsen, hab da auch meine ganz starken Verletzungen erfahren, Und so wie ich aufgewachsen bin, war das schon so, dass meine Erfahrung mit Weißen grundsätzlich negativ war, dann gabs das Misstrauen von mir, Misstrauen ist ja auch ne Überlebensstrategie. Also ich hab schon Weiße so ziemlich über einen Kamm geschert, das war auch in Ordnung so, ja, das waren eben auch meine Erfahrungen."
Makumbi: "Also bei nem früheren Freund, da weiss ich, als die Mutter mich zu ersten Mal gesehen hat, - ich war da bei denen eingeladen zum Essen - Familienfeier oder so - da ist der der Mund aufgeklappt und wieder zugeklappt und die hat sich auf dem Absatz umgedreht und hat nicht mit mir gesprochen - Das ist schon so, dass es einen dann doch auf ne Art und Weise so unverhofft trifft, das tut einfach nicht gut. Also bin da schon, abgehärtet ist also schon jeder Schwarze, jede Schwarze hierzulande, aber, ja, da merkt man eben, dass man nicht willkommen ist und fühlt sich da mit seiner Kultur so - entwertet."
Hügel: "So, und irgendwann hab ich auch gemerkt, das ist nicht ne Welt, in der ich leben möchte. Mich so abzusondern."
Makumbi: "Also ich war vor einigen Jahren das erste Mal in New York, hab Freunde besucht in Brooklyn, da hab ich das Gefühl gehabt, ich bin ganz normal - es gibt viele Schattierungen, viele Schwarze, es gibt viele Weiße. Ich seh ja in Deutschland fast nie ältere schwarze Frauen. Da hatte ich das Gefühl, so genau könnt ich aussehen in zehn, zwanzig Jahren - und ich konnt mich da gar nicht satt sehen, ich hab gemerkt, wie wichtig das ist für die eigene Identität, dass man Menschen um sich rum hat, die halbwegs so aussehen wie man selber, und an denen man sich so orientieren kann - jetzt nicht nur an Tina Turner oder so."
Hügel: "Und ich kann heut auf Weiße locker zugehen, und ich werd dann merken, ob sie mich respektieren oder nicht, das ist was ich erwarte, aber ich möchte Weißen genauso respektvoll begegnen."
"Rassismus ist die Spitze des Eisbergs"
Makumbi: "Ich glaube, dass Rassismus so in gewisser Weise die Spitze des Eisbergs ist und dass es im Grund genommen darum geht, das Fremde und das Andere nicht so sehr als Bedrohung zu sehen, sondern eher mal sich darauf einzulassen und vielleicht für sich zu akzeptieren, dass es verschiedenste Perspektiven gibt und solange das nicht genügend - mehr Normalität gewinnt und solange man sich nicht darin auch übt, die Dinge mal von ner andern Warte aus zu betrachten, solange wird das Problem immer wieder auftauchen - ob das jetzt Schwarze sind, Sinti und Roma, Leute von sonst woher sind."
Hügel: "Und ich seh das wirklich erst mal als ne absolute Unsicherheit und nicht als den Rassismus. Es ist ne totale Verunsicherung oder es sind übernommene Klischees, die sie einfach weiter benutzen, aber es ist nicht so von Grund auf son richtiger Rassist oder Rassistin, das habe ich eigentlich nicht erlebt - es ist eher die Unsicherheit, auch nicht zu wissen, wie geh ich eigentlich damit um, ja."
Das Eigene und das Andere.
Cinar: "Also ich höre jetzt zum ersten Mal, dass mein Akzent zu hören ist - weil normalerweise sprechen mich die meisten drauf an, dass ich akzentfrei spreche, aber freut mich auch, dass immer noch mein Akzent zu hören ist ehrlich gesagt."
Sahin Cinar ist Moslem. Bald macht er seinen Bachelor als Wirtschaftsingenieur für Bauwesen. Er wird also jemand sein, den die deutsche Wirtschaft dringend braucht. Wie auch seine türkischstämmige Frau.
Cinar: "Meine Frau ist auch religiös, ist Muslima, die hat ihr Studium beendet, ist auch Wirtschaftsingenieurin, sie hat dann eher Richtung Fertigungstechnik, Maschinenbau studiert und arbeitet in einem Unternehmen hier in Berlin. Meine Frau trägt kein Kopftuch, die Familie, die Mutter, die Schwester schon."
Cinar: "Sind schon unterschiedliche Kulturen auf jeden Fall, die deutsche und die türkische, allein, dass türkische Familien sehr groß sind - bei Hochzeiten ist der Saal rappelvoll - mit 500 Gästen - in deutschen ist es eher gemütliches, kleines Festmahl, sieht man, hört man so das deutsche Hochzeiten eher für 40 Personen gedacht sind, pi mal Daumen."
Thomas Jansen: "Also ich wurde sehr oft auch zu arabischen Hochzeiten eingeladen oder zu türkischen, det is ne Bereicherung - da würde mir wat fehlen, wenn ich da nicht wüsste, wat passiert. Dat die hupend über die Straße fahren nervt mich auch, aber feiern können die! Und zwar nicht wie manche Deutsche, die dann bis zum Exzess sich den Alkohol geben, sondern ist n lebenslustiges Volk oder Völker, dass ich sage, ist eigentlich nur ne Bereicherung, aber nehmt sie ernst, toleriert det und lebt mit ihnen. Aber lebt mitihnen, darum gehts, nicht nebeneinander her."
Thomas Jansen, ehemaliger Profiboxer, heute Sozialarbeiter, trainiert Jugendliche aus vielen Nationen. Für ihn wie auch für Renate Schürmann gehört es zum beruflichen Alltag, eigene Vorstellungen zu hinterfragen.
Dreißig Jahre Erfahrung in der Integrationsarbeit
Schürmann: "Ich hab eben erlebt, dass wenn ich dann in ner Familie war, dass Frauen vorher in der Schule mit Kopftuch und Mäntel waren, so dass ich mir überhaupt keine Vorstellung über diese Mutter machen konnte, dann bin ich nach Hause gekommen, die Mutter lief ohne Kopftuch rum, hatte farbenfrohe Kleidung an, war sehr lebhaft, erzählte, ging sehr liebevoll mit ihrem Kind um, so dass man dann n vollkommen anderes Bild auch von dieser Mutter bekam. Also man kann sie dann im häuslichen Bereich völlig anders erleben, viel aufgeschlossener, da trauen sie sich auch mehr zu."
Renate Schürmann hat dreißig Jahre Erfahrung in der Integrationsarbeit an Schulen. Sie unterrichtet Kinder mit Hörschäden, viele kommen aus Flüchtlingsfamilien.
Schürmann: "Natürlich kriegen wir mit, dass Schüler und Schülerinnen auch noch die Koranschule besuchen am Wochenende, oder dass sie auch noch die Muttersprache der Eltern oder Großeltern noch parallel zu dem Pensum unserer Schule lernen."
Cinar:"Mehrere Sprachen zu können ist n Reichtum würd ich sagen. Wenn ich mal Kinder hab, würd ich wollen, dass die eigene Oma, meine Mutter halt, mit dem Kind dann kurdisch redet. Auf jeden Fall sollen sie von allem alles haben, vom deutschen und vom türkischen - Wenn man schon das Glück hat, sollte man alles aufnehmen."
Sahin Cinar nennt sich stolz "gebürtiger Berliner".
Cinar: "Auf jeden Fall. Berlin ist ja bekannt für Multikulti - und ist auch besser so, ist auch schöner so, sonst wäre ja Berlin sehr grau und langweilig, ehrlich gesagt. Nur Beton. Wenn‘s nur alles hier mit den eigenen Leuten - den Deutschen - dann wärs schon langweilig."
Konfliktlinien. Wie weit darf Toleranz gehen?
Ton Schürmann: "Ich hatte zum Beispiel den Fall, dass ich einen älteren Schüler unterrichtet habe, der aus einer traditionell muslimischen Familie geprägt war, und dass der am Anfang doch ganz große Schwierigkeiten bei uns in der Schule hatte, weil da auf einmal lauter Lehrerinnen warn. So und dass der so in Situationen kam, dass er sagte, ich will jetzt den Schulleiter sprechen, das war eben ein Mann, dass man ihm sagen musste, so, weißt du, du bist jetzt hier in Deutschland, und das ist jetzt unsere Schule und ich unterrichte die und die Fächer und ich bin jetzt der Boss in dieser Stunde. Und wenn du dann noch mal mit meinem Schulleiter sprechen möchtest, dann kannst du das gerne in der Pause machen. Aber jetzt möchte mein Schulleiter, dass ich dich unterrichte. So, und das war für den son Prozess, wo der erst mal durch musste."
Cinar: "Ich wär der Meinung, wenn zwei Personen mit unterschiedlicher Religion heiraten, können sie sich vielleicht prima verstehen. Aber spätestens mit der Erziehung der Kinder oder des Kindes würden die ersten Probleme entstehen. Mischmasch würde nach hinten losgehen."
Schürmann: "Dann kommt natürlich heute dazu durch den Satellitenanschluss sind sie global vernetzt und heute können sie eben auch arabische Sender sehen, spanische, französische. Es gibt dann schon Situationen, wo dann schon unterschiedliche Vorstellungen von Leben sozusagen dann auch miteinander konkurrieren."
Den Sozialarbeiter Thomas Jansen ärgert auf dem Weg zur Boxhalle in Neukölln immer wieder eines: die vielen türkischen und arabischen Ladenschilder ohne Übersetzung.
Jansen: "Warum erlaub ich als Gewerbeamt ne ausländische Beschriftung für einen Laden, der in Deutschland ist und ich als Deutscher nicht mal weiß, wat da eigentlich für Waren feilgeboten werden. Dann fang ick an zu sagen, jetzt leben wir in ner Parallelgesellschaft. Und da sag ick mir, wo ist unser Selbstwert?"
Unterschiedliche Wertvorstellungen
Und da ist noch etwas. Wenn neue Jungen in den Boxkurs kommen, müssen die Eltern Formulare ausfüllen, und mit der Quittung für den Vereinsbeitrag gehen sie dann zum Sozialamt. Jansen macht es manchmal stutzig, wenn ein Kind nicht den Namen des Vaters trägt, vielleicht ein Neffe ist, oder wenn eine Familie zwei Wohnsitze hat.
Jansen: "Dat geht mir richtig aufn Keks, wenn Familien doppelt kassieren, und unsern Sozialstaat bescheißen und noch auf ihn schimpfen. Zu sagen Scheiß Bullen, Scheiß Amt - so - aber ey! Leute! Du kriegst Geld, deine Mutter kriegt Geld und dein Vater kriegt Geld, ihr kriegt zweimal Miete, - ja - det ist ein Ausnutzen. Und da hat unser Staat einfach Angst! Angst dagegen vorzugehen. Und dat ist dat wat mich nervt."
Ika Hügel Marshall bildet Sozialarbeiter und Pflegekräfte aus. Unterschiedliche Wertvorstellungen prallen auch dort aufeinander.
Hügel: "Ich sprech das sofort an, ich sag: Wir haben hier einen Konflikt, den wollen wir auch nicht unter den Tisch kehren und wir können daran nur arbeiten, wenn wir offen damit umgehen, das gelingt hier nicht immer."
So fühlte sich eine Frau gemobbt und war plötzlich isoliert, weil sie ganz nebenbei autoritäre Ansichten zur Kindererziehung vertrat.
Hügel: "Das war so gelaufen, sie sagte wenn ihre Kinder nicht gehorchen, dann werden sie halt geschlagen, das ist, sagte sie, in meiner Kultur so üblich, da haben sich natürlich andere tierisch drüber aufgeregt, weil man schlägt keine Kinder, und Gewalt und so weiter und so fort."
Was tun, wenn die in Deutschland gesetzlich geforderte gewaltfreie Erziehung infrage gestellt wird?
Hügel: "Ich find es wichtig, dass jeder die Meinung vertritt, aber nicht mit dem Ziel, ihr das alles überzustülpen, und sagt: deine Sicht der Dinge ist falsch und unsere ist absolut richtig, man kann sagen: ich bleib bei meiner Meinung, und es ist das, was ich mir vorstelle - ich mag diese Form der Gewalt nicht, vielleicht ist es für dich keine Gewalt, aber ich möchte, dass du meine Ansicht erst mal respektiert und ich respektiere deine, auch wenn es nicht meine Überzeugung ist, das ist mir wichtig, ja."
Schürmann: "Wenn ich mitbekomme, dass Kinder immer wieder geschlagen werden, dann muss man auch Eltern sagen, wenn ich es sehe, das blaue Flecke da sind, oder das Kind verstummt, verschreckt ist, muss man sagen: wir leben hier in Deutschland, da ist das verboten, und wenn das jetzt noch mal vorkommt, dass man dann das Jugendamt einschalten muss."
Hügel: "Das ist natürlich auch immer einfacher, in andere Kulturen zu gucken, da kann man sich besser aufregen als bei sich selbst zu gucken",
sagt Ilka Hügel Marshall, die unter Erziehungsgewalt gelitten hat. Vor wenigen Jahrzehnten in deutschen Kinderheimen. Ähnliches gilt für den Streit über die Gleichberechtigung der Geschlechter. Renate Schürmann:
Schürmann: "Es gibt Familien, da spielt Religion eine ganz wesentliche Rolle, wo man da auch an seine Grenzen kommt, da merkt man halt für sie sind bestimmte Strukturen wichtig oder auch bestimmte Rollen von Jungen und Mädchen, wo man das auch einfach so stehen lassen muss. Letztendlich würde man ja auch einer deutschen Familie nicht vorschreiben, wie sie mit ihren Kindern umzugehen haben, ne."
Hügel: "Und trotzdem bin ich davon überzeugt, dass die Leute drüber nachdenken, weil das ist, wie wenn alles immer so läuft und du unterbrichst das einfach, dann verändert das auch n Stück weit."
Schürmann: "Das braucht seine Zeit. Es hat sich auch in den letzten Jahren etwas verändert bei den Eltern mit Migrationshintergrund, hab ich so den Eindruck, es gibt auch ne Anzahl von Eltern, die auch für die Töchter ne bessere Schulbildung möchten."
Gewalt oder: was guckst du?
Cinar: "Einmal hatt ich n Vorfall gehabt, und zwar in einem Supermarkt, wo vorne solche Backshops sind. Und ich hab n Kaffee getrunken. Und einer wollte rein und kam wieder zurück und ist dann genau auf mich zu gekommen. Er hat dann angefangen mit ´warum guckst du mich an?` Ich war völlig verwirrt, hab nicht mit so etwas gerechnet. Er meinte ja, du darfst mich nicht angucken. Er sagte: ich bin Deutscher und Christ und du Türke oder Araber, auf jeden Fall Moslem, merkt man. Darfst mich nicht angucken. Ich sage, ist ok. Geh mal in den Supermarkt. Dann auf einmal fing er an zu schubsen."
Der verbalen Provokation wird Nachdruck verliehen. Dann gibt es eine Überraschung.
Cinar: "Ja, bin leider auch unglücklich gefallen mit dem Gesicht, so dass ich Blutungen hatte. Und dann hab ich gemerkt, dass die Person gegenüber schockiert war, dass es soweit gekommen ist, hab ich nur gehört, dass er zu mir gesagt hat: was hast du gemacht! Ist dann ganz schnell abgehauen aus dem Supermarkt raus!"
"Zuwendung ist wichtig"
Jansen: "Unser Schirmherr ist Wladimir Klitschko und unser Projekt ist an fünf Standorten in Berlin, alles Brennpunkte, - da sind‘s russische Aussiedler - da sind's arabische Großfamilien - da ist die rechte Szene in Treptow- Friedrichsfelde. So, und wie wir det machen? Das heißt Zuwendung, das ist wichtig, aber auch klarmachen: rote Linie."
Thomas Jansen ist Sozialarbeiter bei "Kick im Boxring“.
Jansen: "In meiner Boxhalle seid ihr Gast. Genauso wenn ich zu euch nach Hause komme, zieh ick mir die Schuhe aus, weil ich bin Gast! Nicht dass ihr in Berlin Gast seid, du hast ja n deutschen Pass. Aber du bist bei mir hier in meinem Wohnzimmer. Und verflucht noch mal beweg dich auch so. Und sie kommen gerne in mein Wohnzimmer."
Nicht nur rechtsradikale Jugendliche, auch Jungen aus Migrantenfamilien haben diverse rassistische Sprüche auf der Zunge. Worte wie "Kartoffel", "Schweinefresser" oder Nazi? für die Deutschen sind da noch harmlos.
Jansen: "Det ham die irgendwo gehört oder wurden so sozialisiert und stellen fest, dass wir hier mit unseren Jugendlichen 16 Nationen unter einen Hut kriegen, ohne dass et Mord und Totschlag gibt,ne."
Im babylonischen Sprachgewirr kann ein Streit unbemerkt eskalieren. Deshalb heißt eine Regel: es wird deutsch gesprochen. Nur so kann Thomas Jansen die Kontrolle über sein Wohnzimmer behalten. Beim Sport sollen die Jungs Achtung und Respekt neu lernen. Doch viele brauchen nicht nur den Boxtrainer Jansen, auch den Lebensberater.
Jansen: "Einfach da sein und zuhören und auch sich sorgen - wenn sie erzählen. Wenn z. B. ein Mohammed kommt und sagt: Schule ist mir zu viel, ich hab den Kopf nicht dafür, ich kann des nicht lernen. Bin ich jetzt schon auf dem absteigenden Ast oder ist meine Zukunft schon gelaufen? So denen andere Optionen zu geben, ok, dann probieren wer mal, du bist ja kein schlechter Mensch, du bist fleißig, du bist vielleicht nicht der Hellste, aber du findest hier auch deinen Platz, ne."
Sozialarbeiter Jansen mag das Ringen miteinander, auch in der Gesellschaft. Wenn es fair bleibt. Migrantenfamilien haben inzwischen an vielen Stellen gleiche Rechte wie Deutsche und nutzen sie auch.
Jansen: "Jetzt isset so und ihr habt alle dieselben Voraussetzungen. Aber verflucht nochmal bewegt euern Hintern. Und da mein ick uns Deutsche vor allen Dingen. Wenn ihr wat verändern wollt, müsst ihr wat tun und nicht nur labern. Oder schimpfen - genauso wie die andere Seite – sondern für sein Recht zu kämpfen."
Einwanderungsland Deutschland.
Makumbi: "Es kann sogar sein, dass da insofern n Vorteil ist, als die Menschen ja wissen, dass ich aufgrund meiner Herkunft ja auch schon die ein oder andre Schwierigkeit überwinden musste oder eben auch als Außenseiter angesehen wurde."
Fiaza Makumbi Kidza hat eine Praxis für psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
"Deutschland hat im Laufe der Zeit auch gelernt"
Makumbi: "Also ich hab ja lange in Kliniken gearbeitet, und als ich mich selbstständig machen wollte mit ner eigenen Praxis - hab ich überlegt, kommen die Leute denn zu mir, oder steh ich da und das trägt sich alles nicht? Und mir hat das unheimlich viel Auftrieb gegeben, dass wirklich in dem Herbst, als ich da angefangen hab mit meiner eigenen Praxis, dass da in den USA n schwarzer Präsident gewählt worden ist - und das ist jetzt n Zufall, als Barack Obama gewählt wurde, war das der erste Tag in der Praxis - ich hab das als gutes Zeichen angesehen. Meine Haltung war viel selbstbewusster, als wenn ich das Gefühl hätte, ich weiß nicht, ob n Schwarzer in nem westlichen Land es zu was bringen kann."
Hügel: "Auf der andern Seite denk ich, hat Deutschland mittlerweile im Laufe der Zeit auch gelernt, mit andern Kulturen, mit Menschen aus andern Kulturen, anderer Hautfarbe anders umzugehen. Aber wir müssen ein Auge drauf haben."
Makumbi: "Also für mich ist es zum Beispiel richtig traurig, dass ich jetzt, wenn ich mal in den Osten fahre - also ich bin ja in Leipzig zur Schule gegangen und Leipzig als Stadt ist ok, aber die Umgebung, im ländlichen Bereich, ja, dass da auch das Thema gewalttätiger Rassismus ziemlich problematisch ist. Ich kann nicht einfach irgendwohin fahren, und das find ich n Unding, dass man heutzutage in Deutschland überlegen muss, ist das sicher genug hier, also tagsüber sich irgendwo zu bewegen. Das ist traurig."
Cinar: "Da mein Opa auch selber sehr viel gekämpft hat, seh ich es erst recht so, dass wir weiterhin hier in Deutschland bleiben und nicht wieder zurückgehen, weil wenn die schon solche schwere Zeiten hatten und es trotzdem geschafft haben, müssten wir es erst recht schaffen, weil wir auch ne gute Basis haben."
Schürmann: "Ich denke, Gemeinschaft verändert sich ja immer. Und ne Gesellschaft ist ja auch immer von neuen Einflüssen abhängig, um sich weiterentwickeln zu können."
Jansen: "Gebt allen die gleiche Möglichkeit und dann siehste die Talente. Dann siehste, wo geht’s hin. Jeder macht etwas anderes. Ist ja nicht nur Rechnen und Schreiben, sondern die Individualität stärken, die Ressourcen."
Fiaza Makumbi Kidza: "Ich bin halt richtig schwarz und mir sieht mans richtig an. Es gibt ja immer das Klischee so mit Sport und Musik so - meistens denken die Leute auch, die mich sehen, dass ich mit Sport zu tun habe. Wenn ich dann sage, nee ich bin Ärztin, merkt man, dass sie überrascht sind, was dann leicht auch umswitscht in dieses positive Vorurteil - naja, klar, n Schwarzer kann ja auch mal was sein, aber dass es nicht selbstverständlich ist. Es wäre schöner, wenn die Menschen dir ganz offen begegnen, ohne jetzt n großen Hype daraus zu machen, aber ohne da erst mal auch fünfmal schlucken zu müssen."
Mehr zum Thema