Gesellschaft

Das Geschäft mit der Angst

Die Bankentürme von Frankfurt am Main (Hessen) scheinen kurz nach Sonnenuntergang aus vielen kleinen Eurozeichen zu bestehen, aufgenommen am 31.01.2014. Der Effekt entsteht durch eine Schablone in Form eines Eurosymbols vor dem Objektiv.
Eine ganze Branche lebt von wahrgenommenen und medial vermittelten Risiken. © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Johannes Zuber · 07.07.2014
Die Angst geht um. Menschen fürchten sich vor Armut und sozialem Abstieg. Politiker und Unternehmen haben das erkannt - und nutzen die Ängste der Bevölkerung für ihre eigenen Interessen.
Banken schüren die Angst vor der Geldentwertung, um inflationssichere Anlagen zu verkaufen; Versicherungen übertreiben alltägliche Risiken, um ihre Produkte attraktiv zu machen. Dabei sind viele der herrschenden Ängste unbegründet. Sie resultieren nicht aus objektiven Bedrohungen, sondern vielmehr aus wahrgenommenen und medial vermittelten Risiken.
Diese irrationalen Ängste machen die Menschen zur leichten Beute für rational kalkulierende Unternehmen. Im Feature räumen Psychologen und Risikoforscher mit einigen dieser Ängste auf, erklären, woher sie stammen - und wie sie sich überwinden lassen.
Psychologie und Wirtschaftstheorie
2002 erhielt der israelisch-US-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman den Wirtschafts-Nobelpreis für die Entwicklung der Prospect Theory. Kahneman erweiterte die Wirtschaftswissenschaft um psychologische Aspekte. Bis dahin basierten die meisten Theorien auf der Annahme, eines rational handelnden Menschen. Demnach wäre jede Entscheidung eine kühl kalkulierte Abwägung zwischen Nutzen und Risiken. Die Fragen wären: Welche möglichen Folgen hat eine Entscheidung? Und: Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Folgen auch eintreten? Nur: leider handeln wir nicht so rational, wie wir glauben. Vor allem, wenn wir Angst haben.
Das Wort Angst kommt vom lateinischen Angustia, Enge. Wenn wir uns fürchten, fühlen wir uns beengt, unsere Handlungsspielräume sind eingeschränkt. Und Angst haben die meisten Menschen laut Daniel Kahneman und seiner Prospect Theory vor allem vor Verlusten. Verluste bewerten wir viel größer als Gewinne in der gleichen Höhe. Eine Gehaltskürzung um 100 Euro schmerzt mehr, als eine Erhöhung um 100 Euro uns freut. Und dazu kommt, dass wir Wahrscheinlichkeiten falsch einschätzen. Sehr geringe Risiken werden oft viel höher eingeschätzt, als sie in Wirklichkeit sind. Die Kombination aus diesen beiden Erkenntnissen – Angst vor Verlusten und falsche Einschätzung von Risiken – ist Teil des Geschäftsmodells einer ganzen Branche.
Eine Branche lebt von der Angst
Fast jeder zweite Deutsche fürchtet, schwer zu erkranken. Mehr als die Hälfte hat große Angst vor Naturkatastrophen. Das ist das Ergebnis einer alljährlichen Umfrage der R+V Versicherung. Es ist wohl kein Zufall, dass es eine Versicherung ist, die eine solche Umfrage finanziert. Schließlich lebt die Branche davon, Ängste zu erkennen – und vermeintliche Hilfe anzubieten:
"Die größte Gefahr, die der Verbraucher hat, ist, dass ihm ein Bedarf aufgeschwatzt wird. Das heißt, dass man Szenarien kreiert, die zwar real existent sind, aber nicht ansatzweise so bedrohlich, wie man das denen versucht zu verkaufen. Die Gefahr ist halt, dass man entweder zu viele und oder zu teure Produkte mit nach Hause nimmt",
erklärt Walter Benda, 31 Jahre. Er ist ein unabhängiger Versicherungsmakler aus Köln:
"Es ist relativ schwer, sich gegen jemanden zu wehren, der geschult ist, die Knöpfe zu drücken, wo man emotional steuerbar ist. Und das ist eben Freude und Angst. Vor allem eben Angst, weil die meistens noch das rationale Denken außer Kraft setzt."
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