Geschichten statt "noch 'ner Autobiografie"

Bernd Begemanns Schwäche für Schicksale

Bernd Begemann bei einem Benefiz-Konzert in Hamburg
Bernd Begemann bei einem Benefiz-Konzert in Hamburg © Imago / xim.gs
Bernd Begemann im Gespräch mit Andreas Müller · 15.01.2018
Für manche gilt er als "Pionier des deutsch-sprachigen Indie Pop". Aber deshalb ein Buch über sein Leben schreiben? Nein, sagt Bernd Begemann. Seine Art zu reflektieren seien Songs mit Geschichten. Und so hat der Musiker jetzt das Album "Die Stadt und das Mädchen" veröffentlicht.
Bernd Begemann ist einer der wichtigsten Pioniere dessen, was man deutsch-sprachigen Indie Pop nennen könnte. Seit mehr als 30 Jahren ist er aktiv, wenngleich er nie den Erfolg hatte, den von ihm beeinflusste Bands wie Blumfeld oder Die Sterne genießen konnten. Dennoch hat Begemann mit seinen Bands oder solo zahlreiche Alben aufgenommen und ist regelmäßig auf Tournee.
Andreas Müller: Zusammen mit dem Pianisten Kai Dorenkamp ist ein Liederzyklus entstanden, der den Titel: "Die Stadt und das Mädchen" trägt. Herr Begemann, damit haben Sie 'mal wieder einen bemerkenswerten Haken geschlagen...
Bernd Begemann: Da kam einiges zusammen: erstmal das Album, das wir davor aufgenommen haben, "Eine kurze Liste mit Forderungen" mit unserer Band "Bernd Begemann und die Befreiung" - 28 Lieder, ein perfektes Album meiner Meinung nach. Ich hatte das Gefühl: Das können wir nicht besser machen. Man braucht so eine Art "Reset". Einige Leute machen dann Cover-Alben von ihren Lieblingssongs, die sie als Teenager hatten. Da hatte ich keine Lust zu. Ich dachte meine eigenen Lieder sind irgendwie interessanter als "Roxy Music" oder sowas. Dann habe ich mich besonnen, wieviel Spaß mir das gemacht hat mit dem Pianisten, der in unserer Band "Die Befreiung" spielt, Kai Dorenkamp, nur zu zweit zu singen. Und dann dachte ich mir: 'Mann, das ist dann aber genau wie die Hermann-Prey-Alben, die mein Vater manchmal gehört hat und die ich nicht so gut fand als Punkrock-liebender Teenager.' Und das kam dann damit zusammen, dass mein Elternhaus platt gemacht wurde. Es wurde verkauft und da steht jetzt ein Mehrfamilienhaus. Also es ist ein Weg, mein Elternhaus zurückzukriegen auf eine Art.
Müller: Man kennt sie als Solokünstler. Sie waren auch viel unterwegs nur mit der elektrischen Gitarre begleitet. Jetzt also Kai Dorenkamp, der Pianist an ihrer Seite – was war da so die größte Herausforderung?
Begemann: "Herausforderung" ist mir so ein Reinhold-Messner-Begriff. Als Musiker, denke ich, sollte man sich mehr davon leiten lassen - naja, jetzt möchte ich nicht wie Beate Uhse klingen, aber mehr nach dem Lustprinzip sollte man gehen. Ich hatte wirklich Lust, das zu machen. Ich hatte wirklich Lust, die Geschichte zusammenzusetzen und eine wirklich epische Geschichte in Liedern zu erzählen und sie besser zu erzählen als einige Tausend-Seiten-Romane. Wir erzählen eine wirklich handlungsreiche komplexe Geschichte in einer halben Stunde in zwölf Liedern. Das soll Philip Roth erstmal nachmachen, meine Güte.
Müller: Das Info zur Platte verweist auf das 19. Jahrhundert, Werke wie "Die schöne Müllerin" oder die "Winterreise", sie haben ja Hermann Prey selbst eben schon genannt. Diese Geschichte, die sie erzählen ist eine, die beginnt im Dorf. Das Mädchen geht in die große Stadt. Es ist schwierig auch mit der Liebe. Es gibt eine Abtreibung, unerfüllte Wünsche, Hoffnungen und dann ein dramatisches Ende - interessanterweise aber erzählt mit Liedern, die ja schon da waren, aus drei Jahrzehnten Bernd Begemann. Ist das ihr Thema immer schon gewesen: aus der Provinz in die Metropole und dort sozusagen, wo alles möglich ist, das Scheitern, beziehungsweise der Aufstieg?
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Kai Dorenkamp und Bernd Begemann im Studio beim Deutschlandfunk Kultur© Deutschlandradio - Matthias Dreier
Begemann: Ja, eines meiner sechs Themen und dann kommt noch meine Vorliebe für Frauenschicksale im weitesten Sinne. Ich mochte immer so Schwarz-Weiß-Filme mit Joan Crawford, "Mildred Pierce" oder so, Betty Davis, "Dark Victory", Douglas Sirk-Filme. Einer meiner Lieblingsromane ist "Das kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun. Das ist ein bisschen diese Welt. Also man schaut sich um in der Großstadt. Man kriegt auf die Finger geschlagen. Man verschwindet irgendwo, man kommt irgendwo unter. Aber der Dreh von dem Album ist, dass es erzählt ist von einer mitfühlenden Stimme. Es ist sehr romantisch, es wird Anteil genommen. Aber es ist keine Liebessgeschichte. Der Erzähler, der Sänger ist kein verschmähter Liebhaber, kein lüsterner Jüngling. Er ist einfach jemand, der berührt wird durch die Anstrengung dieser jungen Frau, durch ihre Versuche und durch ihre kleinen Triumphe. Ich hoffe, dass man für sie fühlen kann durch diese freundliche Sicht von außen.
Müller: Sie sind sehr romantisch, oder?
Begemann: Nach meiner Definition ja, nach Nenas Definition nicht. Also viele Leute würden Romantik ja so definieren wie dieser Nena-Song: "Irgendwie fängt irgendwann irgendwo irgendwas, und so…" Das ist für mich nicht romantisch. Das ist für mich sehr "Wischiwaschi". Romantik ist nach meinem Empfinden, wenn wirklich etwas existiert zwischen zwei Menschen, wenn dort ein Band gewoben wurde. Eine gemeinsame Sprache, eine kollektive Erinnerung, die sich zwei Menschen teilen, das finde ich romantisch.

Müller: "Die Stadt und das Mädchen" ist das Album, das am kommenden Freitag erscheinen wird. Eine Geschichte wird in einem Zyklus erzählt. Es ist auch viel Biographie. Interessanterweise erscheint Ende des Monats ein neues Album von Tocotronic, das als Autobiographie tatsächlich auch gekennzeichnet ist, ganz explizit. Ist dieses Biographische gerade vielleicht wichtig, Bernd Begemann?
Begemann: Ich kann nur sagen, meine persönliche Biographie habe ich irgendwann in den Neunzigern gemacht. Mein Biographie-Album heißt "Solange die Rasenmäher singen". Das war's. Jetzt muss ich auch keinen Roman mehr schreiben über meine blöde Kindheit in den Siebzigern. Was ich so liebe an Liedern ist, dass man so viel erzählen kann. Mit perspektivischer Verkürzung auf engstem Raum kann man mehr sagen als ein Schriftsteller auf 100 Seiten. Deshalb bin ich auch stolz darauf, kein Buch geschrieben zu haben. Ich bin meiner Kunst verbunden geblieben. Also Respekt vor allem Schriftstellern, aber in Liedern erzählt man Sachen, die man eben nicht schildern kann in einem Spiegel-Artikel oder in einem autobiographischen Roman. Man kann mehr schmecken und Berührung empfinden, als wenn man nur liest. Also ich bin gespannt auf das neue Tocotronic-Album - es wird bestimmt super.
Müller: Ich will jetzt nicht spoilern und frage deshalb etwas allgemeiner: Das Album hört auf mit "Sie gehört den Sternen". Es ist das letzte Stück auf dem Album und nach dem ich all das vorher gehört habe, war ich sehr angerührt von diesem Schluss und habe mich gefragt: Ist es ein gutes oder ein trauriges Ende für die Frau, die Sie da beschreiben?
Begemann: Beides, natürlich, und wir wissen es nicht. Sie ist irgendwie aus unserem Gesichtskreis verschwunden. Sie lebt aber weiter fort in allen Menschen, die sich an sie erinnern, die kleine Anekdoten von ihr im Laufe der Zeit ausspinnen zu Legenden, zu urbanen Mythen und so weiter. Es ist auch ein Schluss in der Tradition der Romantik, weil die Romantik eine Tradition der Verklärung hatte. Und es ist ein Schluss der Verklärung. Also sie transzendiert das Treiben da unten. Sie transzendiert das schmutzige Hin- und Her in der Stadt. Sie ist zurückgekehrt zu ihrem ursprünglichen Ziel, aufzusteigen. Nicht gesellschaftlich aufzusteigen, sondern sich wirklich zu erheben. Das wollte ich andeuten und, dass, wer immer das singt, davon inspiriert wurde, sie gekannt zu haben.

Am 22. Januar gibt es ein Konzert von Bernd Begemann in der Hamburger Elbphilharmonie. Weitere Tournee-Termine auf der Homepage.

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