Geschichten aus dem ewigen Eis

12.06.2011
Die Navigationskünste der Pinguine, eisbrechende High-Tech-Schiffe, mutige Forscher: Ein neues Buch erzählt von den faszinierenden Aspekten der Polarregionen dieser Erde.
Ein Schamane lebte am Meer. Wenn ihn fror, schlug er Bäume zu Feuerholz. Fiel ein Scheit ins Wasser, geschah ein Wunder: Das Holz verwandelte sich in einen Fisch. Bald gab es keine Bäume mehr - nur noch die endlose, fischreiche Weite der Arktis.

Noch immer stecken die Polarregionen der Erde voller Geheimnisse, nur handeln heutige Geschichten von den Navigationskünsten der Pinguine, von Schiffen, die auch das dickste Eis mit ihren High-Tech-Nasen durchbrechen können oder von Forschern, die sich tief in Gletscher bohren, um herauszufinden, wie es vor hunderttausend Jahren dort unten ausgesehen haben mag. Ein neues Buch erzählt davon: "Arktis und Antarktis" heißt es, kommt aus dem Mare Verlag, der ersten Adresse für alle Meeres-Liebhaber, und zeigt einmal mehr, dass der gute Ruf des Verlages nicht von ungefähr kommt.

Nach heutiger Lesart war es wohl kein Schamane, welcher der Arktis ihr gegenwärtiges Gesicht verlieh. Die Ursache für die Vereisung der Nordpolarregion liegt erstaunlicherweise in den Tropen, berichten die Autoren. Als sich vor mehr als vier Millionen Jahren zwischen Nord- und Südamerika eine Landbrücke bildete, konnte das warme Wasser der Karibik nicht mehr nach Westen abfließen. So entstand der "Golfstrom ", mehrere hundert Meter tief und fünfzig Kilometer bereit. Er transportiert mehr Wasser als alle Süßwasserflüsse der Erde zusammen. Viel seiner warmen Feuchtigkeit verdunstete und ließ Wolken entstehen, die im Norden des Planeten als Schneemassen zu Boden kamen.

Wie trickreich sich Pflanzen und Tiere an die eisigen Umstände angepasst haben, ist dem Buch gleich mehrere Kapitel wert. Um wandernde Pinguine geht es hier und ausgestorbene Wollnashörner, Fische mit eingebautem Frostschutz und einen wahren Energiesparkünstler, den riesigen Albatros. Mit einer speziellen Flugtechnik, dem sogenannten "dynamischen Segeln", nutzen die Tiere Windrichtungen und Windgeschwindigkeiten so geschickt aus, dass sie in Bewegung gerade einmal 30 Prozent mehr Energie verbrauchen als beim Schlafen. Wissenschaftliche Daten zeigen, dass mancher Albatros an einem einzigen Tag fast tausend Kilometer zurücklegen kann.

Angenehm schnörkellos und unaufgeregt bereitet das Buch seine Themen auf und schafft dabei doch immer eine Atmosphäre von Spannung und Abenteuer. Hautnah entführt es in die Vergangenheit des ewigen Eises - Blütenmeere, Schmetterlinge! - oder lässt den Leser am harten Alltag der Forscher teilnehmen, die monatelang hoch oben im Norden oder tief unten im Süden ausharren, um Natur und menschengemachten Umweltveränderungen auf die Spur zu kommen.

Einen wunderschönen Kontrapunkt zur wissenschaftlichen Ausrichtung der Texte liefern die Illustrationen von Jürgen Willbarth. Mit ihrer schlichten Wärme und Geradlinigkeit hätten sie ebenso gut in ein Kinderbuch passen können und unterstreichen das Grundgefühl beim Lesen dieses Buches: unverstellte Freude an den Wundern dieser Welt, die es - auch das betont das Buch - mehr denn je zu schützen gilt.

Besprochen von Susanne Billig

Roland Knauer, Kerstin Viering: Arktis und Antarktis - von Pinguinen, Polarlichtern und stürzenden Stürmen
Mare Verlag
320 Seiten, zahlreiche farbige Illustrationen, 26 Euro