Gescheitert an einer zu großen Rolle

11.04.2011
August, so hieß Goethes einziger Sohn. Dass es mehr eine Last als eine Freude war, Sohn eines Dichterfürsten zu sein, lässt sich leicht erahnen. Seine Lebensunlust ertränkte Goethes Sohn im Alkohol. Anne Weber hat den August wieder auf die Bühne geholt.
Für August, Goethes Sohn, fiel dem deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte folgender Sinnspruch ein: "Einziger Sohn des Einzigen in unserem Zeitalter. Zählen Sie mich unter diejenigen, die am aufmerksamsten beobachten werden, ob Sie würdig sich bilden des Vaters Platz einst auszufüllen."

Die Chancen dafür, so kommentiert es Anne Weber in ihrem Buch "August. Ein bürgerliches Puppentrauerspiel", standen bereits zu Fichtes Zeiten denkbar schlecht. Und auch in den folgenden zweihundert Jahren fand sich niemand, dem es gelungen wäre, diesen Platz einzunehmen. Auch Schlegels Sprüchlein im Poesiealbum von August Goethe erweist sich mehr als Fluch, denn als Segen: "Des Theuren Züge tragend, erbe seinen Geist." An dieser Last musste zerbrechen, wem nicht der radikale Befreiungsschlag gelang. August Goethe gelang er nicht. Vierzigjährig starb er in Rom an den Folgen einer Alkoholkrankheit. Auf dem Grabstein fehlt sein Name, stattdessen wird darauf verwiesen, dass hier Goethes Sohn begraben liegt.

Der am 25. Dezember 1789 in Weimar Geborene, Sohn von Christiane Vulpius und dem bereits zu dieser Zeit weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus bekannten Dichtergenius Johann Wolfgang von Goethe, war ein uneheliches Kind. Die Eltern heirateten erst 1806, zum Ärgernis der höfischen und der bürgerlichen Gesellschaft, die mit Spott und Hohn auf die unstandesgemäße Verbindung reagierte.

In ihrem "Puppentrauerspiel" überlässt Anne Weber den vermeintlich aufgeklärten Bürgern die Bühne. Es treten auf: Die Frohnatur Christiane, Goethes getreuer Assistent Eckermann, die von Liebe zu Goethe dahinschmelzende Bettina von Arnim, Schillers Frau nebst Sohn, Ottilie, die Gemahlin von August, noch manche andere und, in der Hauptrolle, August Goethe.

August aber ist überhaupt nicht damit einverstanden, dass er von Anne Weber erneut auf die Bühne gezerrt wird, weshalb er im dritten des aus fünf Akten bestehenden Prosastückes rebelliert: "Jemand will meine Unruhe, jemand will, dass es nie aufhört. Jemand gönnt mir den Tod nicht. Jemand zieht die Fäden und schaut zu." August will nicht mehr mitspielen, schon gar nicht, nachdem er seine Ruhe gefunden hat. Sein Leben lang musste er eine Rolle spielen, an der er scheiterte, scheitern musste.

Dass selbst der Tod keine Ruhe garantiert, darauf macht Anne Weber in ihrem Puppentrauerspiel aufmerksam, das keine Biographie über den tragisch Gescheiterten sein will. Vielmehr zeigt sie in sehr einfühlsamen Dialogen und äußerst überzeugend, dass es kaum Möglichkeiten gibt, auf der Lebensbühne "nicht mitzuspielen". Doch dieses Stück, in dem August seine Rolle spielte, ist noch nicht zu Ende. Und weil sie davon überzeugt ist, dass auf der Bühne Puppen wie Marionetten bewegt werden und eben keine freien Bürger agieren, die selbstbewusst nur ihrem eigenen Verstande gehorchen, spricht sie von einem "Puppentrauerspiel" und eben nicht von einem bürgerlichen Trauerspiel. Auf dieser Bühne, dafür schärft Anne Weber unsere Sinne, ist der Vorhang noch längst nicht gefallen. "August" ist ein sehr nachdenkliches, ein höchst lesenswertes und äußerst intelligent geschriebenes Buch über eine Fehlbesetzung.

Besprochen von Michael Opitz

Anne Weber, August. Ein bürgerliches Puppentrauerspiel
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011
159 Seiten, 16,95 Euro
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