Gesa Ufer liest Musik

Schlafengehen statt Exzess

Ein schlafender Engel
Für den Liebenden in Philipp Dittberners "Wolke 4" ist die Luft im siebten Himmel zu dünn. © picture alliance / dpa / Wolfram Stein
Von Gesa Ufer · 09.04.2015
In den sozialen Netzwerken hat es Philipp Dittberners Song "Wolke 4" mit über einer Millionen Klicks schon weit gebracht. Jetzt ist die erste Single des jungen Berliner Musikers auch in den deutschen Verkaufscharts weit nach oben geklettert. Gesa Ufer hat sich den erstaunlich vernünftigen Songtext genauer angeschaut.
Abgefahrener Künstlername? Lieber nicht. Philipp Dittberner bleibt mit seinen noch nicht einmal 25 Jahren lieber auf dem Teppich. Oder wenigstens in Bodennähe. Das lyrische Ich in seinem Song schwingt sich immerhin mit seiner Liebe bis zu Wolke 4 auf. Höher soll die Reise aber bitte nicht gehen.
Lass uns die Wolke vier bitte nie mehr verlassen
Weil wir auf Wolke sieben viel zu viel verpassen
Ich war da schon ein Mal, bin zu tief gefallen
Lieber Wolke vier mit Dir als unten wieder ganz allein
Verliebte wähnen sich sonst gern auf Wolke sieben oder im siebten Himmel. Und das wahrscheinlich schon seit Aristoteles. Der griechische Philosoph unterteilte den Himmel in sieben Gewölbe, von denen das siebte die Welt mit all ihren Planeten, Sternen, Monden und Sonnen gegen das Nichts abschloss. Auch im Talmud und im Koran gibt es die Vorstellung von den sieben Himmeln, von denen der siebte jeweils der höchste ist. Dahinter kommt nur noch die Welt der Fantasie, der Wünsche und Träume. Für Dittberners Liebenden wird die Luft hier oben zu dünn, die Fallhöhe zu groß.
Lieber Wolke vier mit Dir als unten wieder ganz allein
Lieber Wolke vier mit Dir als unten wieder ganz allein
Für ihn gilt: Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
Wolken besang auch schon Reinhard Mey
Allein: Stammen Weisheiten wie diese nicht traditionell von Menschen, die einige Jahrzehnte mehr auf dem Buckel haben? Und gehören Wolken motivgeschichtlich nicht eher zu Freiheit, Glück und Überschwang? So wie bei Reinhard Mey …
Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
… oder dem Rostocker Rapper Marteria, dessen Lila-Wolken-Hymne längst von flotten älteren Herrschaften wie Heino oder dem ewigen Rockabilly Peter Kraus gecovert wurde:
Wir leben immer schneller,
feiern zu hart,
wir treffen die Freunde und vergessen unsern Tag,
wolln' kein Stress, kein Druck,
nehm'n Zug, noch'n Schluck vom Gin Tonic,
guck in diesen Himmel: wie aus Hollywood!
Rot knallt in das Blau,
vergoldet deine Stadt,
und über uns zieh'n lila Wolken in die Nacht!
Hook:
Wir bleiben wach bis die Wolken wieder lila sind!
Wir bleiben wach bis die Wolken wieder lila sind!
Vernünftig und gegen den Exzess
Hier ist einer sehr viel jünger und plädiert in seinem Song trotzdem – um in diesem Bild zu bleiben – fürs Schlafengehen und gegen den Exzess. Für die vernünftige und vor allem alltagstaugliche Partnerschaft und gegen die Amour fou.
Ziemlich gut, wie wir das so gemeistert haben
Wie wir die großen Tage unter kleinen Dingen begraben
Der Moment, der die Wirklichkeit maskiert
Es tut nur gut zu wissen, dass das wirklich funktioniert.
In der Soziologie hat das Phänomen "Wolke 4" längst einen anderen Namen: Philipp Dittberner macht sich mit der hier beschriebenen Haltung zum Prototypen der gründlich beforschten Generation Y oder besser: Generation Y (Englisch). Diese Gruppe der zwischen 1990 und 2010 Geborenen, vor dem Grundrauschen weltweiter Krisen und Kriege Aufgewachsen, hat es zur Meisterschaft im Zweifeln, Taktieren und Improvisieren gebracht. Den Ypsilonern wird nachgesagt, Vor- und Nachteile geschickt abzuwägen, im Hinblick auf Konsum, Ethik und Lifestyle sogar wenn nicht revolutionär so doch mit großem politischem Gewissen zu handeln. Es sind nicht die radikalen Ideen, die diese Generation prägen, sondern die vernünftigen. Auch was die Liebe betrifft, so kommt uns diese Haltung eher warm- als heißblütig vor. Die Soziologie jedoch bescheinigt dieser Generation, die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Von dem "heimlichen Revolutionären" ist die Rede die – ähnlich wie dieser musikalisch solide gezimmerte Elektro-Ohrwurm – jede Menge Potenzial haben.
Wolke 7? Können die anderen gern besingen! Für die Generation Y reicht Wolke 4. Und was den Spatz in der Hand betrifft: Am Ende schwingt der sich wahrscheinlich noch zu ungeahnten Höhen auf und lässt die Täuberiche auf den Dächern alt aussehen.
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