Gernot Erler zum Ukraine-Konflikt

Diplomatische Annäherung

OSZE-Patrouille in der Region Donzek (Ost-Ukraine) am 26.12.2015.
Die OSZE überwacht in der Ostukraine die Verletzungen des fragilen Waffenstillstands © picture alliance / dpa / Sergey Averin
Gernot Erler im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 19.01.2016
Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung Gernot Erler setzt Hoffnung auf eine neue diplomatische Initiative in der Ostukraine. Er verwies dabei auf den neuen Moskauer Unterhändler für das Minsk-Abkommen und die nötige Verfassungsänderung in Kiew.
Es gebe Anzeichen dafür, dass Moskau an Lösungen für die Ostukraine interessiert sei, sagte der Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und die Länder der östlichen Partnerschaft, Gernot Erler, im Deutschlandradio Kultur. Der SPD-Politiker verwies dabei darauf, dass Präsident Wladimir Putin den früheren Parlamentspräsidenten und renommierten Politiker Boris Gryslow zum neuen Unterhändler der trilateralen Kontaktgruppe ernannt habe. Gryslow habe sich über die Chancen für eine Umsetzung des Minsker Abkommens positiv geäußert.
Hoffnung auf Ende der Sanktionen in Moskau
"Das hängt natürlich damit zusammen, dass die EU beschlossen hat, die Frage der Sanktionen gegen Russland zu koppeln an die Umsetzung des Minsk-Abkommens", sagte der SPD-Politiker, der auch OSZE-Sonderbeauftragter für den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 ist. Die Sanktionen seien bis Ende Juli verlängert worden.
"In Moskau hofft man natürlich sehr, zeigen zu können, dass man alles versucht, um Minsk umzusetzen, damit dann die Sanktionen beendet werden können."
Wenig Zeit für Verfassungsänderung in Kiew
"Es gibt auf jeden Fall eine neue diplomatische Initiative, um hier voranzukommen", betonte Erler. Allerdings laufe die Umsetzung des Minsker Abkommens bisher nicht so wie gewünscht. Eigentlich müsste die ukrainische Verfassung bis zum 2. Februar entsprechend angepasst werden. "Da ist nicht mehr viel Zeit", sagte Erler. Im Augenblick sei noch schwierig zu erkennen, wie die nötige Zweidrittelmehrheit zusammenkomme.
"Wir bemühen uns im Augenblick auch in direkten Gesprächen mit Abgeordneten der ukrainischen Rada dafür zu werben, dass dieser wichtige Schritt getan wird und in dem Kontext gibt es eben verschiedene diplomatische Bemühungen."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Am Wochenende wurde es ja bestätigt, dass der Iran alle geforderten Schritte übernommen hat, die im Atomabkommen mit dem Westen festgelegt worden waren. Das war ein großer Erfolg auch für eine langjährige Diplomatie. Und mancher anderswo auf der Welt fragt sich natürlich, wie die Chancen für andere Konflikte stehen, deren Konfliktparteien noch immer miteinander verhakt sind, zum Beispiel in der Ukraine. Zwar wurde im vorigen Jahr ein Waffenstillstandsabkommen über die Ostukraine ausgehandelt, unter Federführung von Frankreich und Deutschland, aber noch immer ist der Osten bekanntlich nicht befriedet. Im Gegenteil, die Beobachter der OSZE beklagen sich, dass sie immer öfter von den Separatisten gehindert, ja sogar angegriffen werden. Nun haben Frankreich und Deutschland einen neuen Anlauf genommen, einen diplomatischen, dieses Knäuel zu entwirren. Gernot Erler ist der Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Erler!
Gernot Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Diplomatischer Erfolg mit Iran als Vorbild
von Billerbeck: Im Iran hat die Diplomatie letztlich geholfen. Hat die internationale Diplomatie nach dem Erfolg dieses Iran-Abkommens jetzt auch Rückenwind und mehr Zuversicht, was die Ukraine betrifft?
Erler: Auf jeden Fall ist das ein ermutigendes Zeichen, und der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier betont immer wieder, dass nach diesem Vorbild es auch möglich sein sollte, voranzukommen bei der politischen Lösung des Ukraine-Konflikts, dem ja schon mehr als 9000 Menschen zum Opfer gefallen sind.
von Billerbeck: Aber nun wurde im vergangenen Jahr das Minsker Friedensabkommen abgeschlossen, trotzdem ist es bis heute nicht richtig umgesetzt. Beide Seiten verletzen dieses Waffenstillstandsabkommen immer wieder. Welche Chancen sehen Sie da?
Erler: Es gibt auf jeden Fall eine neue diplomatische Initiative, um hier voranzukommen. Das ist verabredet worden schon am 30. Dezember in einer Telefonkonferenz auf dieser Ebene des sogenannten Normandie-Formates, und das wird jetzt fortgesetzt mit diplomatischen Bemühungen, an denen die Normandie-Staaten teilnehmen. Und dahinter steckt, dass, wie Sie gesagt haben, tatsächlich die Umsetzung des Abkommens nicht in dem Zustand ist, den wir uns wünschen. Und es stehen auch einige wichtige Termine hier an. Bis zum 2. Februar müsste zum Beispiel diese Anpassung der ukrainischen Verfassung gelaufen sein. Da ist nicht mehr viel Zeit. Und im Augenblick ist es noch schwierig zu erkennen, wie die Zweidrittelmehrheit, die man da braucht für diese Verfassungsänderung, zusammenkommt. Und wir bemühen uns im Augenblick auch in direkten Gesprächen mit Abgeordneten der ukrainischen Rada, dafür zu werben, dass dieser wichtige Schritt getan wird. Und in dem Kontext gibt es eben verschiedene diplomatische Bemühungen.
Wichtige Rolle der OSZE-Beobachtermission
von Billerbeck: Das ist die eine Seite, was die Ukraine tun muss. Die andere Seite sind die russischen Separatisten. Wir haben immer wieder Klagen gehört von der OSZE-Beobachtermission, dass sie also nicht nur gehindert werden, sondern auch angegriffen werden. Mit wem reden Sie da eigentlich auf der Seite? Sie sprachen vom Normandie-Format, also Deutschland, Frankreich, Russland, die Ukraine. Und die Separatisten – was sind da die Ansprechpartner? Russland natürlich?
Erler: Ja, ich meine, es gibt ja diese trilaterale Kontaktgruppe in Minsk mit vier Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen, und da ist sozusagen die Gelegenheit immer wieder da, sich gegenseitig auszutauschen und eben auch solche Probleme zu beraten, was die Umsetzung des Minsk-Abkommens angeht. Da spielt die OSZE also eine ganz entscheidende Rolle, und sie spielt eben auch die entscheidende Rolle bei der Überprüfung vor Ort, also mit dieser "Special Monitoring Mission", die immerhin aus 660 Beobachtern besteht, von denen 530 im Osten der Ukraine eingesetzt sind. Und das ist unsere einzige Quelle für Informationen darüber, inwieweit eigentlich dieses Minsker Abkommen umgesetzt wird oder nicht. Und leider ist es bis heute noch nicht gelungen, dass überall wirklich diese Beobachter Zutritt haben. Und zuletzt am 16. Januar hat es eben auch einen Beschuss von einem Konvoi hier gegeben. Das heißt, diese Aufgabe ist gefährlich und ist nicht immer erfolgreich.
von Billerbeck: Müssten die nicht auch dann am Ende doch von bewaffneten UN-Kräften begleitet werden, um ihre Arbeit durchführen zu können? Denn die OSZE-Beobachter sind ja unbewaffnet.
Erler: Traditionell sind sie unbewaffnet. Daran will auch keiner was ändern. Wir hören gelegentlich von ukrainischer Seite eine Wiederholung dieser Forderung, die uns schon bekannt ist, dass doch entweder eine UN-Mission oder eine EU-Mission hier für einen solchen Schutz sorgt, aber dafür gibt es einfach keine Mehrheiten und auch keine Bereitschaft, sodass wir weiter auf die Tätigkeit der OSZE hier angewiesen sind.
Russische Bemühungen
von Billerbeck: Ein Land, das ja unbedingt in diesen Gesprächen mitredet, ist ja Russland. Es steht ja, wie wir alle wissen, derzeit ökonomisch sehr unter Druck. Der Ölpreis, der sinkende, ist ein Grund, und auch die Sanktionen des Westens. Und diese Wirtschaftslage spürt natürlich die russische Bevölkerung sehr. Könnte es da sein, dass die russische Führung da eben gerade besonders aggressiv wird, um da die Probleme von außen nach innen eben abzulenken? Und wenn wir lesen heute in der "Bild"-Zeitung, dass Putin jetzt also auch Geld in die Ostukraine schickt, dann fragt man sich, ist das eher der diplomatische Weg zur Lösung des Konfliktes oder eher das Gegenteil?
Erler: Sie haben vollkommen recht, dass auf jeden Fall dieses ganze Problem Ostukraine auch sehr teuer ist für die Russische Föderation. Aber was wir beobachten im Augenblick, ist eigentlich eher, dass die Bemühungen auch Russlands sich intensiviert haben, was jetzt die Umsetzung von Minsk angeht. Vor Kurzem hat Putin einen vertrauten, aber auch recht renommierten Politiker, Boris Gryslow, zum neuen Russland-Unterhändler für diese Arbeit der trilateralen Kontaktgruppe benannt. Der war ehemaliger Duma-Präsident und hat sich inzwischen auch positiv geäußert über die Chancen der Umsetzung von Minsk. Also, es gibt hier Anzeichen, dass Russland interessiert ist. Und das hängt natürlich damit zusammen, dass die EU beschlossen hat, die Frage der Sanktionen gegen Russland zu koppeln an die Umsetzung des Minsk-Abkommens. Die Maßnahmen, die Sanktionen sind ja noch mal verlängert worden bis Ende Juli dieses Jahres. Und in Moskau hofft man natürlich sehr, zeigen zu können, dass man alles versucht, um Minsk umzusetzen, damit dann die Sanktionen beendet werden können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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