Gerichtverfahren in der Türkei

"Politik der Einschüchterung"

Basil Kerski im Gespräch mit Anke Schaefer  · 05.12.2017
Der Publizist Basil Kerski blickt mit Sorge in die Türkei, wo hundert Akademiker wegen eines Friedensappells vor Gericht stehen. Der Chefredakteur des deutsch-polnischen Magazins "Dialog" spricht von einer tragischen Wende.
Mehr als tausend türkische Akademiker unterzeichneten Anfang 2016 einen Appell für Frieden in den Kurdengebieten der Türkei. Mehr als 100 von ihnen wird ab heute in Istanbul der Prozess gemacht. Der Vorwurf: Der Friedensaufruf sei Terrorpropaganda gewesen.
"So eine Politik dient der Einschüchterung", sagte unser Studiogast, der Publizist Basil Kerski im Deutschlandfunk Kultur. Es seien immer noch 50.000 Menschen in den Gefängnissen. "Das ist eine für mich unvorstellbare Zahl." Es gebe natürlich Menschen, die Widerstand zeigten und mutig seien. Aber die Mehrheit der Gesellschaft habe vermutlich das Recht auf einen gewissen Opportunismus und darauf, ihre Freiräume im außerpolitischen Raum zu suchen, sagte der Chefredakteur des deutsch-polnischen Magazins "Dialog". Oft gehe es bei dieser Schere im Kopf nicht um einen selbst, sondern um die Sicherheit und beruflichen Perspektiven der eigenen Familie oder von Verwandten.
Basil Kerski Portrait
Basil Kerski im Deutschlandfunk Kultur Studio© Deutschlandradio – Malte E. Kollenberg

Erdogans Kurswechsel

Kerski sagte, er empfinde den Friedensappell der türkischen Akademiker als besonders tragisch. "Erdogan steht heute, wenn man so will, als der autoritäre Führer der Türkei da, aber er hat noch versucht am Anfang seiner Zeit als Ministerpräsident den Dialog mit den Kurden zu suchen." Die Intellektuellen, die heute angegriffen werden, seien diesen Weg damals gegangen und hätten diese Politik unterstützt. Sie hätten damals nicht Erdogan unterstützt, seien aber dafür gewesen, dass die Türkei sich als multikulturellen Staat akzeptiert. Jetzt werden diese Menschen bestraft." Erdogan habe seinen Kurs inzwischen grundlegend verändert. "Das ist eine besonders tragische Wendung in der Türkei."

Unsichere Zukunft

Auch in Polen sei es heute schwer, seine Unabhängigkeit im Kontakt mit dem Staat zu wahren, sagte Kerski. Gerade in der Kulturpolitik seien immer die Regierungen die wichtigsten Geldgeber. Das erfordere einen gewissen Opportunismus und sinnvolle Kompromisse. "Die Stärke der Öffentlichkeit entscheidet, wie weit eine Politik geht", sagte Kerski, dessen Vertrag als Leiter des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig Ende Dezember ausläuft. "Auch in Polen gibt es immer noch eine sehr starke Öffentlichkeit." Sein neuer Vertrag sei noch nicht unterschrieben, obwohl eine Experten-Jury ihn in einem öffentlich ausgeschriebenen Auswahlverfahren erneut ausgewählt habe. Das von der regierenden PIS geführte Kulturministerium habe eine solche erneute Bewerbung gefordert. Aber bisher sei es noch eine offene Frage, ob das Ministerium diese Entscheidung von Experten akzeptiere.

Der Publizist Basil Kerski ist Chefredakteur des deutsch-polnischen Magazins "Dialog" und Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig.

Die ganze Sendung mit Basil Kerski hören Sie hier: Audio Player

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