Gereon Sievernich

Feldforscher in der Berliner Kreativenszene

Gereon Sievernich
Gereon Sievernich war lange Jahre Direktor am Martin-Gropius-Bau. © imago/tagesspiegel
Moderation: Ulrike Timm · 08.05.2018
Er holte Künstler wie Ai Weiwei nach Berlin und realisierte viele große Ausstellungen: Gereon Sievernich entwickelte den Martin-Gropius-Bau zu einem internationalen Kunstort. Nun kümmert er sich um die Förderung wichtiger Kulturprojekte in Berlin.
Die Welt nach Berlin holen – diese Aufgabe verfolgt Gereon Sievernich seit Jahrzehnten. Bei den Berliner Festspielen organisierte er das Festival "Horizonte" mit Kunst aus Afrika, Asien und Südamerika. Als langjähriger Direktor des Martin-Gropius-Baus hat er renommierte Künstler wie Ai Weiwei und Rebecca Horn in die Hauptstadt gebracht – und nicht nur große Ausstellungen zur bildenden Kunst realisiert, sondern auch aus dem Bereich Fotografie, Archäologie und zeitgenössischer Architektur. Seit gut einem Monat ist der Kulturmanager und Ethnologe, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiert, Kurator des Hauptstadtkulturfonds und entscheidet über Kunst- und Kulturprojekte mit internationaler Ausstrahlung.

Die Kriegsruinen in Köln als Abenteuerspielplatz

Schon als Kind war Gereon Sievernich, Jahrgang 1948, ein Sucher und Sammler. Die Kriegsruinen in Köln waren sein Abenteuerspielplatz, dort kam mancher interessanter historischer Fund zu Tage:
"Wo immer in Köln gebaut wurde, in den 60er-Jahren bin ich da groß geworden, da gab es auch Scherben. Und ich glaube, in jeder Familie gab es Scherben zu Hause. Das war ein gutes Training. Vor allen Dingen, man musste die Augen trainieren: Nicht alles war römisch, manches war auch Merowinger-Zeit. Köln hat eine lange Geschichte – und das war spannend."

Direktor des Martin-Gropius-Baus

Nach dem Abitur ging er nach Westberlin, studierte an der frisch gegründeten Freien Universität unter anderem Ethnologie, eine gute Basis für seine späteren Tätigkeiten. Bei den Berliner Festspielen organisierte er das Festival "Horizonte", reiste um die Welt, um Kunst aus Afrika, Asien und Südamerika nach Deutschland zu holen. 17 Jahre lang leitete er den Martin-Gropius-Bau:
"Eine der schönsten Aufgaben, die Berlin zu vergeben hat. Vor allen Dingen: Man musste ja oft zittern, ob die Ausstellung auf die Bühne gelangt, ob man sie finanzieren kann. Aber das Schöne daran war, dass man in der Tat durch alle Zeiten und rund um die Welt nachdenken konnte: Was zeigt man hier dem ja doch immer gierigen Publikum? Die wollen ja jedes Mal was Neues. Eine Ausstellung dauert drei Monate, wir haben zehn bis zwölf pro Jahr gemacht. Das war immer eine Herausforderung, das Programm so aufzustellen, dass es auch verschiedene Generationen anspricht – wir sagen immer so von 8 bis 88. All das war sehr spannend."

Ringen um Ausstellung von Ai Weiwei

Besonders stolz ist er auf eine Ausstellung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei im Jahr 2014; ein Politikum, inklusive des Ringens um die Ausreise des Regimekritikers.
"Ich bin eingereist so ein bisschen natürlich unter dem Radar hindurch – das ging. Ich bin, glaube ich, dreimal nach China gefahren, und wir sind auch in seinem Studio gewesen. Man muss sich vorstellen: So 20 Kameras der Sicherheitsbehörden rund um das Studio, die alles beobachten. Also, die wussten natürlich auch, dass ich da bin, haben sich aber entschieden, vielleicht, mich nicht in die Mangel zu nehmen – glücklicherweise. Und später hat man erfahren: Abhöranlagen im Studio, und ich habe mit Ai Weiwei damals eben verhandelt – und er konnte nicht ausreisen. Erst lange nach unserer Ausstellung hat er ausreisen können. Und er war so ein wunderbar präziser Arbeiter: Also jedes Detail 1:1! Er hat es entwickelt, gezeichnet von seinen Leuten, und wir konnten es dann 1:1 umsetzen über diese Entfernung. Vielleicht erinnern sich noch einige an die Stühle im Lichthof: 5000 Hocker, die alle von irgendwelchen Bauerfamilien stammen. Und wir hatten sie aufgestellt – und ihm gefiel es nicht. Und dann hat er gesagt: Das müssen wir nochmal machen. Alle 5000 Stühle haben wir nochmal aufgestellt; und in der Tat: Es war gut, es war sehr viel besser."

Statt China nun Kreuzberg

Seit kurzem hat Gereon Sievernich eine neue Aufgabe – und Herausforderung: Als Kurator des Hauptstadtkulturfonds ist er verantwortlich für die Förderung bundesweit wichtiger Kulturprojekte in Berlin.
"Statt nach China und Japan fahre ich nach Kreuzberg und Neukölln und schaue mir dort die Theater an. Denn es geht ja darum, dass man sich das anschaut, was gefördert wurde, und dass man ein Gefühl dafür kriegt, für die Antragsteller und deren Arbeit. Und das macht mir sehr viel Spaß."
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