Geraubte Bücher

Von Blanka Weber · 13.08.2010
Bis heute lagert in Bibliotheken und Magazinen unentdecktes NS-Raubgut. Sie sollen an die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zurückzugeben werden. Auch in der Anna Amalia Bibliothek in Weimar gibt es solche Bestände.
"Wir gehen jetzt in das Tiefenmagazin, unter dem Platz der Demokratie, es gibt zwei Ebenen. Auf jeder Ebene sind 500.000 Bücher magaziniert."

Jürgen Weber widmet sich diesen Beständen, mehr noch, er geht auf Spurensuche. In einem extra Regal liegen auf etwa 10 Meter Fläche Bücher aus vier Privatbibliotheken. Bücher, die hier nicht rechtmäßig ihren Platz haben: "Sie sehen hier die Namen von den Velden, Mannheimer, Goldschmidt und Fleischer." Jenny Fleischer war in den 30er-Jahren Opernsängerin in Weimar. Sie teilt das Schicksal vieler: "Jenny Fleischer hat sich 1942 auch vor der Deportation zusammen mit ihrer Nichte umgebracht."

Zwei Jahre später hat das Finanzamt Weimar ihre Bücher übernommen. Heut hält sie Jürgen Weber in der Hand: "Aus den Schriften der Goethe-Gesellschaft: Goethes Schweizer Reise von 1775". Das Buch stammt von 1907. Hinzu kommen wertvolle Drucke von Goethes Zeichnungen. In einem der Bücher ist ein roter Stempel zu sehen, der später dick durchgestrichen wurde: "Fritz Fleischer, da haben wir jetzt einen Besitzstempel, das ist ihr Mann."

Die Spuren der einstigen Besitzer wurden bewusst verwischt oder einfach mit Papier überklebt: Eine hohe moralische Verpflichtung, nennt es Jürgen Weber. Das gilt auch für die Bibliothek von Arthur Goldschmied:

"Der Arthur Goldschmied war Sammler. Ursprünglich war der Getreidegroßhändler, der dann, als er den Handel verloren hatte, versucht hat, die Bücher zu verkaufen, er hat das versucht 1934, 1935 beim Goethe-Schiller-Archiv und man hat dort die Bücher angekauft für 2.000 Reichsmark. Das ist eine Art Zwangsverkauf, ein nicht angemessener Verschleuderungsschaden. Insofern ist es auch NS-Raubgut."

Es geht um 2000 kleine Bände, gesammelt nach Themen, die hier in der Bibliothek in einem extra Regal lagern: "Wir haben Kontakt mit den Erben. Das Restitutionsverfahren läuft." Die Erben können nun entscheiden, ob sie einem Ankauf für einen angemessenen Preis zustimmen oder die Familienstücke zurückhaben möchten.

Die Entscheidungen, manchmal auch familienintern, dauern Monate. Zwei Gutachter bemühen sich zudem um einen fairen Schätzwert der Bücher. Es ist ein langwieriger Prozess, weiß Jürgen Weber: "Seit 2005 recherchieren wir systematisch den gesamten Bestand nach NS-Raubgut. Im Moment muss man es so sehen, dass wir noch 4 Jahre brauchen, den Zeitraum 1933 bis 45 gründlich zu durchforsten."

Für zunächst 2 Jahre arbeitet ein Wissenschaftler extra an diesem Thema, achtet auf Zeichen, auf Einträge und vor allem auf die historischen Zugangsbücher aus den 30er-Jahren, die akribisch geführt worden sind:

"Man sieht hier eine laufende Nummer, das Datum der Erwerbung, den Titel des Buches, dann gibt es eine Einordnung, die Art der Erwerbung, ob einen Ankauf oder ein Geschenk. Hier haben wir als Lieferant: Frau von den Velden. Art der Erwerbung: Donum, also ein Geschenk. Es ist kein Preis angegeben."

In dieser Zeile ist von 20 Büchern zu lesen. Monate später folgen weitere. Heute weiß man: 450 Bücher sind allein von dieser Familie vereinnahmt worden. Die Bücher stehen nie geschlossen im Bestand: "Man hat sie, als man sie in den 40er- und 50er-Jahren vereinnahmt hat, den Sachgruppen zugeordnet, so dass der Inhalt dieser Bibliotheken verloren gegangen ist."

Nun heißt es, die "Nadel im Heuhaufen" zu finden mitten im Bestand von einer Million Bücher: "Wir müssen den gesamten Bestand von 1933 an überprüfen. Es mag sein, dass das auch eine Daueraufgabe zumindest einer oder zweier Generationen wird."

Die Forschungssammlung "NS-Raubgut in der Herzogin-Anna-Amalia Bibliothek" wird derzeit aufgebaut. Erste Teile sind vorhanden und damit auch erste Überlieferungsgeschichten der Bücher. Viele der Werke sollen digitalisiert werden.